Thomas Jütte

Steinige Jagd


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zu stehen, sondern zu hocken. Aus hygienischen Gründen ist sie der im Okzident gängigen Sitz-Toilette prinzipiell vorzuziehen, da sie weder eine Toilettenbrille noch eine andere, zum Sitzen einladende Möglichkeit hat.

      Stattdessen hockt der Proband kontaktlos über einem Loch. Dabei handelt es sich um einen Abfluss, der, mit etwas Glück, an die Kanalisation angeschlossen ist.

      Voraussetzung für die reibungslose Nutzung einer Steh-Toilette ist eine normal bis gut trainierte Beinmuskulatur. Für gesunde, sportliche Menschen dürfte das eher unproblematisch sein. Diese können den Fokus ihrer Konzentration auf den Erhalt der Sauberkeit der heruntergelassenen Beinkleider richten.

      Was Betroffene mit fortgeschrittenen Knie- oder Hüftproblematiken in diesem Fall machen, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis, war sicherlich auch noch nie Gegenstand entsprechender Studien.

      Ungemütliches Gehocke, schoss es Claus durch den Kopf und attestierte dieser flachen Keramik ein „mangelhaft".

      Im Gegensatz zur europäischen Sitz-Toilette, auf dem der Nutzer durchschnittlich 10 Minuten tagt - Zeitungsleser weitaus länger -, hält man es in der hockenden Stellung höchstens drei Minuten aus, bevor die Menisken der Kniegelenke zu Brei gedrückt sind oder die Patellasehnen ein Fall für den Knochenchirurgen werden.

      Santu, gehandicapt durch seinen unvorteilhaften Bodymaßindex, schaffte kaum die Hocke, und diese noch nicht einmal eine halbe Minute.

      Mit einem schmuddeligen Wasserschlauch, der über einen rostigen Wasserhahn an der Seitenwand provisorisch aufgehängt war, beseitigte er nur notdürftig seine - und sicherlich auch die seiner unzähligen Vorgänger - Spuren. Für eine gründlichere Reinigung der Keramik, hätte es schon den fetten Strahl eines C-Rohrs der Berufsfeuerwehr von San-Francisco bedurft.

      Klar, dass man sich hier noch nicht einmal die Hände waschen kann. Zumindest seine „unreine“ rechte Hand hätte das nötig gehabt, wir er mit Bedauern feststellte, schlug dann aber schulterzuckend den Weg zum Dolmus ein.

      Demre

      Nach 40 weiteren Fahrminuten hatten sie ihr Ziel erreicht.

      Der Karpfen stoppte sein Gefährt mitten im Zentrum von Demre, ganz in unmittelbarer Nähe eines schmucklosen Hotels namens Kiyak. Nachdem sie den geforderten Fahrpreis entrichtet hatten, der im Gegensatz zu den Taxigebühren eher einer Almose entsprach, stiegen sie aus.

      Auf Nimmerwiedersehen, du gräulicher Osmane, verabschiedete sich Santu im Stillen von dem Fahrer, um sich dann erst einmal gründlich umzusehen.

      Nur wenige Menschen trieben sich auf der Straße herum. Bei den wenigen Touris hier hätten wir gar nicht buchen müssen, glaub' ich. Aber Sicherheit ist die Mutter aller Porzellankisten oder so... Dann betraten sie das Hotel.

      „Guten Abend. Wir haben eine Reservierung", sprach Rooperti den Mann an der Rezeption an, der - passend zur Herberge - ebenfalls einen recht traurig bis ungepflegten Eindruck machte. Dieser schreckte unwillig aus seinem Halbschlaf hoch. Nach kurzem Blick auf den Monitor seines alten Dell-Laptops lächelte der Unrasierte erst den kleinen, dicklichen Mann, dann seinen hageren Gegenüber an, um mit süffisanter Stimme nachzufragen: „Ein Doppelzimmer?"

      Jawohl, ging es Santu durch den Kopf. Ein Doppelzimmer, du Schmierlappen. Was gibt's da so dämlich zu grinsen? Was meinst du eigentlich, wer wir sind? Elton John und Georg Michael in den Flitterwochen?!?

      "Ja bitte. Ein Doppelzimmer, wie gebucht."

      Mit einem zweideutigen “Ich wünsche Ihnen eine entspannende Nacht“ übergab Ihnen der Rezeptionist den Zimmerschlüssel und deutete auf eine Treppe im hinteren Teil des Empfangsraums.

      Die Zimmer in dem dreigeschossigen, rosafarbenen Hotel waren sehr schlicht, um nicht zu sagen spartanisch.

      „Schatz, äh, Chef, wollen Sie zuerst unter die Dusche? Wir können auch gemeinsam…", versuchte Rooperti die laten angespannte Situation mit gequältem Humor zu entkrampfen. Gemeinsam über Nacht in einem Zimmer? Das hatte es noch nie gegeben.

      „Ja, will ich", kehrte sein Chef den Chef raus. „Und du kannst schon mal auf den Stadtplan gucken, wie wir am besten zur Nikolauskirche kommen."

      „Sie sind immer noch der Überzeugung, dass wir dort diese Tafel oder etwas Ähnliches finden, stimmt's?"

      „Ja, bin ich", antwortete der Angesprochene energisch. „Wofür, meinst du, haben wir diese ganze Tortur auf uns genommen? Um hier gepanschten türkischen Honig zu kaufen?“

      „Aber vielleicht verrottet die Tafel in irgendeinem Museum, Gott, wer weiß wo."

      „Schnickschnack. Dann werden wir Gott-wer-weiß-wo da-nach suchen", erwiderte er und machte sich auf den Weg ins Bad. „Aber nicht durchs Schlüsselloch pillern." Rooperti staunte nicht schlecht: Sein Boss verstand ja doch Spaß.

      Gut eine halbe Stunde lagen sie im Doppelbett, getrennt durch die kleine Mittelspalte, die von den beiden Einzelmatratzen erzeugt wurde.

      „Gute Nacht, Chef."

      „Gute Nacht, Roopi-Boy."

      Rooperti verzog das Gesicht. Er drehte sich zur Seite und löschte das Licht, um noch ein müdes „Gute Nacht… Grand-Pa" zu murmeln. Aber da ratzte Santu Claus bereits, derart niederfrequent, dass Kolonien von Hausstaubmilben erschreckt ihre Spinnenbeinchen in die Hand nahmen und panisch die Flucht ergriffen.

      Nikolauskirche

      Nach einer ruhigen - und ungestörten - Nacht fühlte sich Santu wie neugeboren.

      Rooperti war bereits auf. Er stand mit seinem alten Nokia-Handy am Fenster und telefonierte. Konzentriert starrte er dabei auf den Parkplatz vor dem Haus, der von wildem Gesträuch fast völlig umrahmt wurde.

      Er schien den erstaunten Blick von Claus in seinem Nacken gespürt zu haben, denn wie ein ertappter Sünder beendete er abrupt das Gespräch. Rooperti am Telefonieren? Der weiß hoffentlich, dass Auslandsgespräche, und gerade hier, im Heidenland, ein Heidengeld kosten… Na ja, ist nicht mein Problem.

      „Ich habe eben mal im Touristenbüro nachgefragt, wo wir diese Kirche finden“, stotterte Roopertier, fing sich aber gleich wieder.

      „Ach übrigens: Wo wachsen denn hier die Weidenruten? Das da draußen sind keine."

      „Ist im Moment unwichtig. Lass uns erst einmal frühstücken gehen", bewies Santu Pragmatismus. "Ich wette, unterwegs finden wir dann schon welche. Übrigens: Wir haben doch einen Ortsplan..."

      Gesagt getan. Nach einer Dusche im spartanischen Bad ihres bescheidenen Zimmers und einem dürftigen kontinentalen Frühstück im dürftigen Salon des Hotels, machten sie sich unter der wegweisenden Leitung eines Michelins auf die Socken.

      Demre, oder auch Demre-Kekova, ist recht überschaubar. Gerade mal 25.000 Einwohnern verteilen sich in dem kleinen Städtchen. Und es ist alt, steinalt. Viele Bauten, zum Teil ruinöser als Pompeji nach der Katastrophe, zeugen von einer langen Geschichte.

      Bekannt ist die Stadt durch sein malerisch gelegenes griechisch-römisches Amphitheater, die pittoresken Felsengräber, die mächtigen Rankensarkophage und durch das Wirken des heiligen Bischofs Nikolaus, der klerikalen Allzweckwaffe der Spätantike.

      Denn neben der Errettung der angeblichen Jungfrauen vor der Prostitution sprach man dem Heiligen weitere Wunderwerke zu. So zum Beispiel die Rettung von drei Offizieren vor dem Tode, die unschuldig des Hochverrates angeklagt und in einen Turm gesperrt worden waren. Weiter soll er drei Schüler davor bewahrt haben, von einem verbrecherischen Gastwirt geschlachtet und eingepökelt zu werden. Geschlachtet und gepökelt. Schüler. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen...

      Damit aber noch nicht genug der Ehre. Denn Nikolaus soll auch ein in Seenot geratenes Schiff gerettet haben: Die Matrosen hätten angeblich während eines Sturms in höchster Not nach Nikolaus geschrien. Als dieser "erschien" hätte sich angeblich das Meer beruhigt und der Sturm aufgehört zu toben.

      Harter Tobak, war Santu