Thomas Jütte

Steinige Jagd


Скачать книгу

Das grenzt ja schon an Wucher!", meckerte Rooperti. Der Taxifahrer hatte ihm soeben mit unbewegtem Gesichtsausdruck den Fahrpreis genannt. Nur widerwillig händigte der Knecht den geforderten Betrag aus. Santu hatte zuvor bestimmt, dass er für das Bezahlen zuständig sei. Zumal er ja schließlich auch das Taxi gerufen hätte.

      Dem Chauffeur war das egal, von wem er die Kohle bekam. „Sei mal froh, dass ich Sie und diesen komischen Typ mit seiner albernen Kappe überhaupt mitgenommen habe", und wies mit seinem doppelten Kinn unhöflich in Richtung Santu.

      Komischer Typ? Meint der jetzt komisch mehr als lustig oder merkwürdig? Und alberne Kopfbedeckung? Warum beleidigt diese arme Sünderseele meine selbstgestrickte phrygische Mütze. Soll ich hier etwa mit der Mitra herumlaufen? Schließlich sind wir inkognito unterwegs. Ignorant, Unverschämter!

      Im Grunde genommen war ein Spruch dieser Art nicht eine Frage ob sie kommt, sondern wann sie kommt. Ähnelte seine ausgebeulte Mütze, die tatsächlich von den antiken Phrygern zu stammen schien, doch auffallend der Kopfbedeckung eines Gartenzwergs, des deutschen Michels oder eines jakobinischen Revolutionärs: Sie hatte einen längeren rundlichen Zipfel, der mal lustig zur Seite, mal adrett nach hinten und mal störend in Richtung Stirn fiel.

      Üblicherweise war eine solche Mütze aus Wolle. Es gab sie aber auch aus Leder. Überliefert wurde, dass die phrygische Mütze ein gegerbter Stier-Hodensack einschließlich umliegender Fellpartie sei (Fell, da war es wieder…). Die alten Griechen waren der Meinung, dass dadurch die Fähigkeiten des Stiers auf den Mützenträger übergingen. Fähigkeiten, mit denen der Weihnachtsmann wahrlich nichts am Hut hatte.

      In der überschaubaren Flughafenhalle spürte man nur wenig vom Duft der großen, weiten Welt. Kein nervendes Gedränge, kein hektisches Treiben, das man normalerweise in einem Abflugterminal erwartete.

      Die wenigen, antiquierten Chrom-Strahler, allesamt schon grünbräunlich angelaufen, schmissen ihre unangenehm gleißendhellen Lichtkegel gegen schmucklose Wände und auf einen stumpfen Fliesenboden.

      „Überwältigend", staunte Rooperti beim ersten Flughafenkontakt seines Lebens.

      „Trostlos“, moserte Santu, der den erfahrenen Aeronauten gab. „Das ist kein Flughafen, dass ist ein besseres Flugplätzchen. Eher was für Segelflieger. Modellsegelflieger …“

      Die meisten der wenigen Check-in-Schalter dieses so herabgewürdigten Verkehrsknotenpunktes waren geschlossen. An den spärlich besetzten Abferigungseinrichtungen standen sich, mangels Sitzplätze, bepackte Reisende Löcher in den Bauch. Nach kurzer Suche steuerte das „Dynamische Duo“ auf den einzigen Finnair-Schalter zu.

      Betont unauffällig legten sie der netten blonden Airline-Angestellten ihre Reisepässe vor, die Santu extra für diese Aktion hatte anfertigen lassen. Man war ja schließlich kein Anfänger.

      „Herr Virtanen, Herr Korhonen", wurden sie von der netten Blondine nach einem kurzen Blick in die Ausweise begrüßt. Dabei nickte sie ihnen freundlich zu.

      Virtanen? Korhonen? Amüsiert verzog Rooperti sein Gesicht. Na, unauffälliger ging's wohl nicht.

      Ging es wirklich nicht. Denn dabei handelte es sich um die mit Abstand häufigsten Nachnamen in Finnland, vergleichbar etwa mit Müller oder Schulz in Deutschland, Smith oder Brown in den USA, Garcia oder Lopez im spanisch sprechenden Raum. Menschen, die sich mit solchen Namen vorstellen, sind automatisch verdächtig...

      „ICH bin Herr Korhonen", konnte sich Rooperti nicht verkneifen, das Humorverständnis der Angestellten zu überprüfen. Dafür erntete er von Claus einen unauffälligen, aber schmerzhaften Fußtritt mit der Schuhspitze seitlich gegen die Kniescheibe, die protestierend aus ihrem Gleitlager rutschte.

      Die Frau schien verwirrt. „Nein, nein", verbesserte er schnell seinen Knecht, der, kalkweiß im Gesicht und mit zusammengebissenen Zähnen, wieder die Kniescheibe richtig positionierte.

      „Mein Kollege hat nur einen kleinen Scherz gemacht. Es ist schon richtig: ICH bin Herr Korhonen. Sie erkennen das ja auch anhand der Passbilder."

      Mit einem gequälten Lächeln reichte die Hostess ihnen die Bordkarten und Ausweise zurück und zwang sich zu einem stereotypen „Na, dann guten Flug."

      Der Aufruhr

      Von ihrer Gepäcklast befreit schlenderten Herr Korhonen und Herr Virtanen zum Abflugbereich. Dort erwartete sie bereits eine überschaubare Schar Mitreisender, die gespannt auf den Aufruf ihres gemeinsamen Fluges warteten.

      „Onkel, warum hast du so rosige Bäckchen?" Eine etwa Sechsjährige hatte sich mit verschränkten Armen vor Santu aufgebaut und musterte ihn unverhohlen.

      „Von drauß‘ vom Walde komme ich her, und dort ist's halt lausig kalt, mein liebes Kindchen", missbrauchte er mit gütiger Stimme wahrscheinlich zum tausendsten Male den alten Fontane, zumindest partiell.

      „Und warum hast du einen sooo langen weißen Bart?", bohrte der neugierige Fratz weiter.

      „Na, weil ich ihn hab‘ wachsen lassen und ihn nicht abgeschnitten habe. Was meinst du denn?!"

      „Kitzelt der nicht? Doch, der kitzelt, stimmt's?" Langsam beginnt die Göre zu nerven.

      „Nein, mein Kind, der kitzelt nicht, und deshalb muss ich auch nicht kratzen. So, jetzt reicht es aber mit der Fragerei, ok? Geh‘ schön spielen", antwortete er nun etwas ungehaltener als beabsichtigt, konnte sich aber eine rhetorische Gegenfrage nicht verkneifen: „Die Härchen auf deinen Milchzähnen kitzeln ja auch nicht, oder?"

      Fehler, wie er zu spät merkte. Denn mittlerweile waren andere Fluggäste auf sie aufmerksam geworden. Ach, wie unangenehm.

      „Und wie lustig: Deine Nase sieht ja aus wie eine Kirsche…", prustete die Göre plötzlich los.

      „Ich finde, meine Nase sieht NICHT wie eine Kirsche aus", zischte der Gepiesackte zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor, nur noch mühsam beherrscht.

      „Chef, darf ich?", fragte ihn Rooperti mit erwartungsvollem Gesicht und öffnete ohne auf eine Antwort zu warten seinen Mantel, um ihm und der Rotznase sein hölzernes Schlagwerkzeug zu präsentieren, das drohend an seinem Gürtel baumelte.

      Erschreckt wich die Sechsjährige zurück. „Maaami!"

      „WAS haben Sie dem Kind da gezeigt?", krakelte ein unglaublich dickes und großes Weib los und baute sich, ihre wurstigen Finger in die schwammigen Hüften gestemmt, vor den beiden auf.

      „Ich hab‘ dem Kind nur meine Rute gezeigt. Was geht Sie das denn an?", raunzte Rooperti unfreundlich zurück.

      Ach du heilige Sch…, murmelte Claus, das war nicht klug.

      „Iiiiihhh - Sittenstrolche! Polizei! Polizei!", schrie die Korpulente und begann, mit ihren fleischigen Fäusten wie mit einem Dampfhammer auf Rooperti einzuhämmern.

      Der Aufruhr war perfekt.

      Komisch, schon das zweite Mal heute, dass wir als Strolche bezeichnet werden, ging es Claus durch den Kopf. Ob das wirklich an unserer Verkleidung liegt? Doch nicht etwa an meiner schönen Mütze, dachte Santu und beobachtete interessiert die vergeblichen Abwehrbemühungen seines Knechtes.

      Kurze Zeit später wurde der Innenstirnkreis, der sich mittlerweile um sie aufgebaut hatte, rücksichtslos durch ein uniformiertes Quartett durchbrochen: Vier Polizisten mit grimmig zur Schau gestellten Mienen waren im Sprint herbei gestürmt und drängten sich nun zwischen den Weihnachtsvertretern und der zu Fleisch gewordenen Furie und forderten die beiden Störenfriede auf, mitzukommen. Und das ohne vorherige Klärung des Tatherganges. Das nervöse Öffnen und Schließen ihrer Hände in Höhe der Pistolen-Holster leistete der schneidenden Aufforderung unmissverständlich Nachdruck.

      Schön, dass sie uns nicht gleich mit finalem Rettungsschuss zur Stecke bringen, atmete Santu erleichtert auf, der den Auftritt der Staatsgewalt mehr als überzogen fand. Ach, wie gern hätte er noch etwas der hämmernden Matrone zugeschaut, die seinen hilflosen Knecht auf das Fürchterlichste in der Mangel hatte.

      „Deine