Thomas Jütte

Steinige Jagd


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Puppe montiert, die die Schachfiguren bewegt hatte. Dieser Automat gewann die meisten seiner Partien. Der Trick: Im Inneren versteckte sich ein Schachmeister, der die Figuren über Hebel bewegte. Der Schwindel flog allerdings auf. Seitdem wurde der Ausdruck "einen Türken bauen" zum Sinnbild für tricksen und fälschen.

      Santu Claus lief es wechselweise heiß und kalt den Rücken herunter. Er war nur langsam in der Lage, die für sie so wichtigen Informationen einzuordnen.

      „Und da sind Sie sich ganz sicher, Herr Korhonen?"

      „Entschuldigen Sie werter Herr, aber ich bin schließlich Professor für Altertumsgeschichte. Und der Heilige Nikolaus ist mein Spezialgebiet - und auch meine Lebensaufgabe", betonte Korhonen mit wichtigem Gesichtsausdruck. „Ich bin nicht nur sicher, sondern ich WEISS es, da ich die Reliquien - die falschen in Bari und die echten in Istanbul - höchstpersönlich in Augenschein nehmen durfte, wenn auch nur kurz."

      Das stach.

      Also Istanbul.

      Jetzt würde der Weihnachtsmann doch noch in „sein" altes Konstantinopel kommen.

      „Vielen Dank, Herr Professor", hatte er es jetzt eilig. „Bitte entschuldigen Sie uns. Sie haben uns sehr geholfen. Wir sind schon spät dran. Komm Rooperti."

      „Kein Problem, Herr Claus", kommentierte der Professor jovial, der die plötzliche Eile der beiden aufmerksam wie verwundert registrierte, „Übrigens, nette Mütze. Sieht aus wie eine alte phrygische..." Aber das hörten Santu und sein Adlatus schon nicht mehr.

      Schnellen Schrittes eilte das Duo aus der Kirche in Richtung Ausgang. Erneut passierten sie das Kassenhäuschen.

      „Das war aber ein kurzer Besuch", sprach sie der Eintrittskartenverkäufer von der Seite an.

      „Rufen Sie schnell die Polizei!", rief ihm Rooperti im Vorbeieilen aufgeregt zu, „Der Sarkophag wurde aufgebrochen und der heilige Nikolaus ist weg…!"

      "Was? Aufgebrochen? Weg?!? Aber, wieso..." Dann nach einer kurzen Denkpause: "Ach sooo. Ein Scherz. Diese Westeuropäer. Immer ein Scherz auf Lager", murmelte er kopfschüttelnd und verzog schräg sein Gesicht. "Aber zumindest des rechten Glaubens..."

      Im Hotel passierten die beiden Wahl-Finnen eilig die Rezeption, hinter der sich der schlafende Angestellte unruhig hin und her wälzte. Zurück in ihrem Zimmer legten Santu und Rooperti ungewohnte Betriebsamkeit an den Tag: Als erstes wurde der Airport Antalya angerufen, um einen Flug zu buchen: 18.40 Uhr, mit Onur-Air, und dann die Reisetaschen gepackt. Dann ging es zum Ausschecken. Alles im Dauerlauf.

      An der Rezeption hatte sich nichts geändert.

      Als hätte er die beiden Männer gespürt, schreckte der chronisch Müde aus dem Halbschlaf hoch. Pennt der denn nur? Was macht der eigentlich nachts?

      „Und?", fragte der Schmierige anzüglich, sofort Herr seiner Sinne, und blinzelte verschwörerisch mit einem Auge, „Tüm Iyi? Gut Aufenthalt? Gut Amüsement? Schnell fertig? Viel Spaß?"

      „Sehr gut", betonte Rooperti in dessen Sprache, um mit schmerzhaft verzogenem Gesicht und sein Hinterteil massierend hinzuzufügen: „Mir tut immer noch alles weh, und ich kann immer noch nicht richtig sitzen…"

      Claus verstand zwar kein Wort, aber er konnte sich denken, mit welchen Kommentaren sein Knecht den Rezeptionisten bedient hatte, so wie dieser Mund und Augen aufriss. Der Mann war nun schlagartig munter, als wäre er in einen Bottich mit Flüssigstickstoff gefallen.

      Mit einem Stoßgebet zum Himmel zerrte Santu seinen unberechenbaren Mitarbeiter an dessem ausgeleierten "Fass-Ärmel" in Richtung Ausgang. Mit unschuldiger Mine ließ sich Rooperti nach draußen ziehen, ohne sich nicht noch einmal umzublicken.

      Draußen eilte das Paar schnellen Schrittes zur Dolmus-Haltestelle. Nach kurzer Wartezeit - gelobt sei das türkische Personennahverkehr-System - hielt ein staubgrauer Minibus unbekannten Fabrikats vor deren Nase. Ach Gott, wie klein ist die Welt...

      „Viele Glück, Sie sehen wieder", freute sich der alte Lykier... nicht wirklich, hielt ihnen dennoch wie guten Bekannten die Hand hin.

      Während Roperti den Handschlag freundlich erwiderte, salutierte Santu militärisch salopp mit zwei Fingern an seinem Mützenrand. Ohne den Gruß zu erwidern stierte der Grauhaarige wortlos erst ihn an, dann auf seine Mütze. Ach, das alte Procedere. Wie nett…

      „Taschen hinten", befahl er auf - noch nicht mal fehlerfreiem - türkisch, „und du und du sitzen vorne."

      Die beiden Reisenden machten es sich so gut es ging in ihren ausgeleierten Sitzen bequem, direkt hinter dem streng riechenden Fahrer, dessen Kleidungsstücke wohl mehr Kilometer hinter sich gebracht hatten als sein Träger selbst. Und das wahrscheinlich, ohne durch einen, geschweige mehreren Waschgängen olfaktorisch beeinflusst worden zu sein.

      Und schon ging es los. 60 Kilometer die Küste entlang. Dieses Mal aber in anderer Richtung.

      Auf halber Strecke überraschte der Fahrer seine bunte und laut plappernde Reiseschar wieder mit einem unerlässlichen Zwischenstopp. Der Haltepunkt - diesen als Rastplatz zu bezeichnen wäre sicherlich mehr als geschmeichelt gewesen - war ihnen zur allgemeinen gemischten Freude wohlbekannt und weckte bei Claus schon vor dem Halten ihres Gefährts ein beunruhigend würgendes Gefühl, das sich vom Magen aus langsam in Richtung Hals bewegte.

      "Chef, was ist? Kommen Sie mit? Wird bestimmt wieder spannend."

      Doch von Abenteuer dieser Art hatte Santu die Nase gestrichen voll - im wahrsten Sinne des Wortes.

      "Von wegen. Das Schlamassel reicht so schon zu, in das du uns manövriert hast... Geh' ruhig alleine. Ich hatte schon 'mal das Vergnügen."

      Nach Beendigung der obligatorischen Stoffwechselprozesse einer kleinen Minderheit, startete der Stoppelbärtige sein qualmendes Vehikel für ihre letzte Etappe.

      An den wächsernen Gesichtern einiger Reisegenossen ließ sich unschwer erkennen, wer die Pause zweckbestimmend genutzt, und wer darauf wohlweislich verzichtet hatte.

      Selbstzufrieden über seine Weitsicht, vor Abfahrt gewisse Dinge prophylaktisch geregelt zu haben, nutzte Claus die nächste Zeit für ein kleines Nickerchen, das trotz der widrigen Begleitumstände recht zufriedenstellend ausfiel.

      Am Goldenen Horn

      Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie den Flughafen in Antalya. Die Anzeigetafel in der Abflughalle wies zu ihrer Erleichterung aus, dass ihr Flug nach Istanbul pünktlich um 18.45 Uhr starten sollte. Nachdem sie ihr Gepäck aufgegeben und die Boarding-Pässe entgegen genommen hatten, stärkten sie sich in der Flughafen-Lounge für die bevorstehenden Aufgaben erst einmal mit kräftiger Honigmilch und ein paar breiigen Lebkuchentalern mit Mandelsplittern.

      Dann machte sich das Duo langsam auf den Weg in Richtung Gate. Nach der Passage der Sicherheitskontrolle warteten sie in der Abflughalle auf den Aufruf zu ihrem Flug.

      Diesmal schien alles glatt zu gehen. Keine vorlauten Gören mit unverschämten Fragen. Keine kampfbereiten Muttertiere - zumindest auf den ersten Blick.

      „Chef, ohne meine Rute fühle ich mich ein wenig nackt", erinnerte Rooperti an die prognose Santus, dass es in der Türkei nur so an Weidenruten wimmelte.

      „Und ich fühle mich hier, ohne deine Rute und angesichts der vielen Blagen hier ziemlich relaxed und sicher", entgegnete er. „Also beruhig‘ dich. Du hast ja für den Fall der Fälle noch deine Leihgabe, den Regenschirm."

      „Ich finde trotzdem, dass hier sehr viele ungezogene Kinder 'rumlaufen", nahm der Knecht den Faden auf, „darf ich vielleicht…?"

      „Ja, und es gibt hier viele kräftige Muttis, noch kräftigere Vatis und vor allem entspaßte Polizisten."

      Das stimmte.

      Bekanntlich sind die türkischen Ordnungshüter nicht gerade für ihr hohes Maß an Aufklärungsraten bekannt, dafür mehr für ihre Nervenschwäche, gepaart mit Humorlosigkeit und Selbstkontrollverlust. Das führt in der Regel