Wieland Barthelmess

ECHNATON


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und küsste zärtlich ihre Hand. „Sei so lieb und kümmere dich darum“, meinte er zu ihr gewandt. „Er braucht auch eine eigene Wohnung …“

      „Oh, kann er vorerst nicht auch bei mir wohnen?“ Amenhotep war ganz aufgeregt.

      „Nun, für die siebzig Tage der Einbalsamierung mag das wohl angehen. Für später sehen wir dann. So wie es zurzeit aussieht, werden wir sowieso bald wieder größere Umbauten im Palast in Auftrag geben müssen.“ Der Vater blickte seine Frau bedeutungsvoll an.

      „Hat Tuschratta geschrieben?“, fragte sie.

      „Ja, das hat er. Eben kam der Bote aus Mitanni. Er würde mir seine Tochter Taduchepa gerne zur Frau geben.“

      „Das ist ja wunderbar!“, rief Amenhoteps Mutter, was Ani ein wenig befremdete. „Endlich wärt ihr dann Brüder. Und der Frieden wäre gesichert. Ein für alle Mal. Haben sich all die endlosen Verhandlungen dann doch noch gelohnt. Welch schöne Nachricht!“ Voller Begeisterung sprang sie auf und küsste ihren Mann auf die Wange. „So und nun lasst uns schnell in den Speisesaal gehen. Die Kinder warten schon und ihre Mägen sind gewiss längst am Knurren.“

      „Meiner knurrt auch“, pflichtete Amenhoteps Vater bei. „Und auf unser anschließendes Mittagsschläfchen freue ich mich auch schon.“ Als ob Amenhotep und Ani plötzlich Luft wären, gingen sie, einander an Händen haltend, an ihnen vorbei auf eine weitere Tür zu, hinter der Diener warteten, die sie eilfertig öffneten. Noch bevor sie die Tür durchschritten hatten, konnte Ani sehen, wie Amenhoteps Vater den Po seiner Frau zärtlich streichelte. Es schien ihr zu gefallen. Denn sie lachte ein so herzliches Lachen voller Glück, dass Anis Seele vor Freude jubelte, während Amenhotep nur ein Kichern unterdrückte.

      Kaum war die Tür geöffnet worden, verstummte das laute Geschnatter im Speisesaal. Ani kam mit dem Zählen gar nicht mehr nach, denn überall lagen sie auf dicken Polstern herum: Mädchen – und zwar jeden Alters. Jede von ihnen hatte zwei oder drei Zofen, die zumeist im Alter ihrer Herrin waren und sie befächelten, an ihrer sowieso kaum vorhandenen Kleidung herumzupften oder auch Senet mit ihnen spielten. Inmitten der heiteren Schar saß ein missmutig dreinblickender junger Mann. Ani sah sofort, dass er keine Jugendlocke mehr trug. Er hielt sich den Bauch und hatte die Augen verdreht, als die Tür aufgegangen war.

      „Ah, welch Anblick!“, rief Amenhoteps Vater mit gespieltem Erstaunen. „So viele schöne Wesen auf einen Streich. Meine Goldstücke! Meine Rosenknospen! Meine kleinen Göttinnen!“ Unverhohlen genoss er die Zuneigung, die ihm aus leuchtenden Mädchenaugen entgegenstrahlte. Dann ging er schnurstracks auf den Mürrischen zu. „Und dir knurrt sicher schon der Magen, Thutmosis. Ist es nicht so?“

      „Ja“, kam beleidigt die Antwort. „In diesem Weiberhaufen wird auf die Wünsche und Bedürfnisse eines Kriegers ja kaum Rücksicht genommen.“

      „Kaum“, bestätigte der Vater und grinste breit. „Da kann ich dir nur beipflichten.“

      „Papperlapapp!“ Amenhoteps Mutter ging auf die Jüngste unter den Mädchen zu. Die Kleine konnte gerade erst gehen und fing ausgerechnet jetzt, wo das Geschnatter ihrer Geschwister aufgehört hatte, lauthals an zu schreien. „So ist sie nun mal, unsere Nebet-tah“, sagte Amenhoteps Mutter und alle lachten.

      „Nebet-tah bedeutet Herrin des Palastes“, klärte Amenhotep Ani auf. „Sie hält uns alle wahrlich auf Trab.“

      „Amenhotep!“ Ani nahm die Gelegenheit wahr, um seinen Freund endlich fragen zu können. „Dein Vater“, flüsterte er, „der ist doch nicht wirklich Gärtner, nicht wahr?“

      „Was redest du da?“ Dieses Mal war es Amenhotep, der nicht wusste, wovon überhaupt die Rede war. „Wieso Gärtner? Er denkt sich so einen Garten oder solche Malereien doch nur aus. Machen dürfen es dann andere, die auch was davon verstehen. Es sind wahre Künstler, Meister ihres Fachs, die…“

      „Aber was ist dein Vater dann eigentlich?“

      Amenhotep staunte. „Du hast es noch immer nicht kapiert? Na, da scheint mir also doch was dran zu sein, dass die Bauern allesamt ein wenig schwer von Begriff sind.“

      Ani meinte, den Boden unter sich zu verlieren. Nur Amenhoteps Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass er kein Aufsehen verursachte. Denn schnell hatte der ihn auf eines der Polster gesetzt und ihm einen Becher mit Wasser gereicht. Ani konnte den Becher kaum an den Mund setzen, so sehr zitterte seine Hand.

      „Was ist denn mit dem los?“, fragte das Älteste der Mädchen, die schon fast zur Frau geworden war. „Und wer ist das überhaupt?“

      Als habe er sie überhaupt nicht wahrgenommen, sagte Amenhotep zu Ani: „Das ist Sit-amun, meine älteste Schwester. Sie ist ständig schlecht gelaunt und dabei auch noch wahnsinnig neugierig.“

      „Blödmann!“, konterte die so unvorteilhaft Vorgestellte beleidigt und schon war sie aufgestanden und gegangen.

      „Sag mal Ani, hast du wirklich nichts geahnt?“ Amenhotep begriff jetzt erst, dass sein Freund tatsächlich völlig unvorbereitet in diese Gegenüberstellung mit einer ihm vollkommen fremden Welt geraten war.

      „Man wird mich pfählen“, stammelte Ani verzweifelt, „man wird mich vierteilen, mich den Krokodilen zum Fraß vorwerfen…“

      „Na, wenn schon, dann den Hyänen. Das ist passender“, versuchte Amenhotep die Situation mit einem wenig gelungenen Witz aufzulockern.

      „Ach, Amenhotep“, raunte Ani, „ich hab dem Guten Gott in die Augen geschaut! Man wird mich töten dafür. Bring mich wieder fort von hier. Ich gehöre nicht hierher. Ich bin der Sohn eines Bauern. Ich habe noch nicht einmal jemals mit unserem Ortsvorsteher gesprochen. Wie kann ich dann… hier… mit…“ Ani sah sich hilflos um. „Ich meine… Ich traue mich noch nicht einmal, es auszusprechen …“

      „Ach was!“, wiegelte Amenhotep ab. „Da wirst du dich ganz schnell dran gewöhnen, glaub mir.“

      „Und was ist, wenn dein Vater, der Gute Gott, er möge leben eine Million Mal eine Million Jahre, mich anspricht?“

      „Wozu sollte er? Du bist doch nur mein Leibdiener.“

      „Oder die Gute Göttin“, Ani wurde wieder schwindelig, „sie möge leben eine Million Mal…“

      „Hör auf mit dem Geschwafel!“, unterbrach ihn Amenhotep. „Wenn wir unter uns sind, unterlassen wir diese Floskeln. Draußen ist es natürlich etwas anderes. Da liegen alle vor meinem Vater im Staub.“ Und mit gedämpfter Stimme fuhr er fort. „Meine Mutter ist übrigens nicht die Gute Göttin. Diesen Titel gibt es nicht. Was sie allerdings außerordentlich ärgert.“ Amenhotep kicherte. „Sie ist die Große Königliche Gemahlin und Mutter des Thronfolgers Thutmosis. Ich weiß gar nicht, was sie will: Mehr geht doch nun wirklich nicht.“

      Als hätte sie gespürt, dass über sie geredet wurde, stand Amenhoteps Mutter plötzlich vor ihnen, die zufrieden an ihrer Brust nuckelnde Nebet-tah auf dem Arm. „Das arme Jungchen ist fahl wie Natronsalz“, sagte sie zu ihrem Sohn. „Achte mal ein bisschen besser auf ihn. Er hatte heute einen schlimmen Tag, der Arme. Schau, dass er was zu essen bekommt.“

      Wie Traumgesichte schossen die Bilder durch Anis Kopf. Die eingewickelte tote Mutter, auf deren Körper er die Erde gehäuft hatte. Seine Schwester, die ihr neues Leben kaum gekostet hatte und von der er noch nicht einmal wusste, wie sie überhaupt aussah. Der totgeschlagene Vater, dessen Körper man den Krokodilen vorgeworfen hatte und der jetzt im Einbalsamierungshaus lag …

      Doch als riesige, silberne Platten hereingetragen wurden, die über und über mit den erlesensten Leckereien bedeckt waren, meldete sich Anis Magen abermals und gab jenes entsetzliche Knurren von sich, das vorhin schon die Dienerinnen im Bad erschreckt hatte. Alle starrten ihn an, denn es war just in jenem Augenblick mucksmäuschenstill geworden. Erst als Pharao lauthals in Gelächter ausbrach, lachte der ganze Saal mit. Ani spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Und da er nicht wusste, was