Wieland Barthelmess

ECHNATON


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      „Ha, ich sagte dir doch schon: Du wirst dich ganz schnell daran gewöhnen!“ Amenhotep gab dem Diener einen Wink, der sich augenblicklich daran machte, dem zunächst widerstrebenden Ani das Gesicht zu waschen. Kaum hatte er es ehrfurchtsvoll trocken getupft, erschien der vorhin noch Violette mit den eingewebten Mandragora-Früchten, den Ani vom Schiff her kannte. Inzwischen trug er ein Gewand aus einem seltsamen Gewebe, das Ani bislang nur bei der irrsinnig gewordenen Nebenfrau Pharaos gesehen hatte. Auf seinem Kopf thronte eine derart groteske Perücke, dass Ani ein Lachen nur mit Mühe unterdrücken konnte.

      „Eure Hoheit, verzeiht!“, schnaubte der Atemlose. „Min-kamutef hat sich verletzt, so dass ich ihn vertreten muss.“

      „Was ist geschehen, Schesehmu?“, fragte Amenhotep besorgt.

      „Wir übten neue Perücken-Kreationen“, dabei deutete er auf das zerzauste Gebilde auf seinem Kopf. „Und mein armer Min-kamutef hat sich seine sonst doch so geschickten Händchen verbrannt.“

      „Schlimm? Braucht er einen Arzt?“

      „Ach was! Man weiß doch, wie schreckhaft der Kleine ist. Ich habe ihm aber zur Sicherheit gleich einen dicken Salbenverband gemacht …“

      Während des ganzen Gesprächs fuhrwerkte Schesehmu wie ein von Schakalen Getriebener in Anis Gesicht herum und hielt ihm unvermittelt einen Spiegel vor. „Ich hab ihn nur ein wenig abgepudert und seine schönen Augen mit einem sehr schlanken Lidstrich betont. Um die Augenbrauen muss ich mich später einmal ausgiebiger kümmern. Heute habe ich sie nur ein bisschen nachgezogen, damit seine erwachende Männlichkeit…“

      „Das hast du hervorragend gemacht, Schesehmu. Wie immer“, sagte Amenhotep schnell, griff seinen Freund bei der Hand und zog ihn aus dem Raum. Lachend liefen sie durch meilenlange Flure, ohne so recht zu wissen, warum sie eigentlich so ausgelassen waren. Vielleicht, dachte Ani, weil sie im Augenblick nichts weiter als Freude am Leben hatten.

      Der Innenhof, auf dem sie plötzlich standen, war schnell überquert, auch wenn Ani sich zusammenreißen musste, nicht nach den einzelnen Pflanzen zu sehen, die in zahllosen Kübeln überall herumstanden. Blüten, die er noch nie zuvor gesehen hatte, leuchteten im warmen Nachmittagslicht. Fremdländische Bäume spendeten ihren Schatten und seltsame Büsche verbreiteten würzige Düfte. Er nahm sich fest vor, so bald als möglich, dorthin zurückzukehren, um sich daran satt zu sehen. Schon waren sie im nächsten Innenhof, der wiederum vollkommen anders gestaltet war. Seine Säulen waren bunt bemalt und seine Mitte bildete ein großes Wasserbecken, auf dem alle Arten von Lotus blühten. Der Duft war atemberaubend. Amenhotep zupfte Ani am Arm. „Sag mal, stimmt es, dass ihr Bauern Lotus esst?“

      „Wenn wir am Verhungern sind, dann schon. Na, und die Kinder versuchen natürlich immer, an die Knollen heranzukommen, denn die schmecken ein wenig süß.“

      „Dafür haben wir Honig. Ihr etwa nicht?“

      „Honig ist eine Speise für Götter. Wer von uns Bauern einen Bienenstock ausnimmt, dem wird die Hand abgeschlagen.“

      „Oh!“

      Und schon waren sie im zentralen Hof angelangt, den Ani sofort wegen des Badehauses wiedererkannte. „Endlich einmal etwas, das ich wieder erkenne und das mir nicht neu und unbekannt ist“, lachte er und winkte auch aus eben demselben Grund Rechmire zu, der noch immer darauf achtete, dass alles mit rechten Dingen zuging. Offenkundig schien der sich über Anis Begrüßung zu freuen, denn er lächelte herzlich zurück, zwinkerte ihm zu und deutete sogar eine Verbeugung an.

      Schon waren sie durch das große Tor gelaufen und befanden sich inmitten der Handwerkerstadt. War Ani der Trubel bei seiner Ankunft schon beträchtlich vorgekommen, so machte ihm der gegenwärtige Rummel regelrecht Angst. Zwar hatte sich auf Rechmires Anweisung hin wieder ein Trupp von sechs Bewaffneten um sie gebildet – zwei vorneweg, einer links, einer rechts und zwei hinterher -, der dafür sorgte, dass sie unbehelligt durch die Menschenmassen kamen, doch es wurde überall derart aufgeregt umhergerannt, geschrieen, gefeilscht sowie seine und Amenhoteps Gegenwart kommentiert, dass Ani fürchtete, der Mob könnte sich irgendwann, aus welchem Grund auch immer, auf sie stürzen. Doch demütig machte man den Weg frei, verbeugte sich ehrfurchtsvoll und rief ihnen Glückwünsche für Millionen und Abermillionen von Jahren zu. Ein paar Vorlaute fragten sogar nach, wer es denn sei, der die Ehre habe, den Prinzen begleiten zu dürfen. Die Frage schien viele der Menschen zu beschäftigen, denn je näher sie dem Schiff kamen, desto häufiger wurde sie gestellt. Als dann eine Frau, die offenbar zum Schrein der Hathor unterwegs war, um ihr Blumen zu opfern, aus vollen Händen Blütenblätter auf sie regnen ließ, brach Ani in ein fast schon hysterisches Gelächter aus. Amenhotep schaute ihn ratlos an. „Ich habe dir bei der Ankunft heute Mittag doch gesagt, dass wir froh sein könnten, dass zur selben Zeit die Tiere ausgeladen wurden, da wir somit weniger Beachtung fänden.“ Und da Ani noch immer Mühe hatte, sich zu beherrschen und unentwegt gluckste, setzte Amenhotep herrisch hinzu: „Ab morgen wirst du erst einmal Unterricht nehmen. Man wird dir als Allererstes beibringen, was man hier bei Hofe tut und was nicht. Blödes Lachen gehört jedenfalls nicht dazu. Das Benehmen eines Menschen zeigt nämlich seine Gesinnung - und seine Herkunft.“ Wobei Amenhotep das Wort „und“ besonders betonte.

      „Ach, Amenhotep, ich bin ein einfacher Bauernsohn! Gestern noch hat man Dreck nach mir geschmissen und heute streut man Blütenblätter auf mich.“

      „Nun, dein Benehmen zeigt zwar deine edle und reine Gesinnung …“ Stolz hob Amenhotep den Kopf, als sie gerade über die ausgelegten Planken das Schiff betraten. „Aber warum solltest du ungefragt und völlig grundlos jedermann deine Herkunft mitteilen?“ Amenhotep sah Ani fragend an. „Ach, und übrigens: Die Blütenblätter hat man für mich gestreut, du gingst bloß daneben. Vergiss das nicht.“

      „Ich weiß, wem ich das alles verdanke“, sagte Ani ohne jeden Anklang eines spöttischen Untertons. „Und ich weiß natürlich auch, dass du es bist, dem die Blumen galten. Doch sie fielen auch auf mich. Auf mich, der heute vor Mittag noch ein ganz anderes und vor allem ein sehr viel kürzeres Leben vor sich hatte. Dass es noch heute Blütenblätter auf mich regnen würde, hätte ich nie gewagt, mir auch nur träumen zu lassen, als ich heute Morgen erwachte.“

      „Ich verstehe“ nickte Amenhotep. „Aber gewöhne dich dennoch bald an den Gedanken, dass die Blütenblätter nur für mich sind.“ Missmutig hielt er nach dem Kapitän des Schiffes Ausschau. „Wann fahren wir endlich, Arhonuphis?“

      Keinen Atemzug später legte das Schiff unter dem Jubel der Menschen ab und nahm schnell Fahrt auf. Amenhotep hatte es sich wieder auf dem Podest mit den zahllosen sauberen Kissen bequem gemacht und schaute unbeeindruckt von den Heilrufen der Menschen starr geradeaus. „Weißt du, Ani, die Verhaltensregeln, die du ab morgen lernen wirst, sind vor allem dazu da, damit du weißt, wie du dich zu verhalten hast. Sie geben dir Sicherheit und Selbstvertrauen. Wenn du weißt, wie du dich angemessen zu benehmen hast, kann dich keine auch noch so ungewöhnliche Begegnung mehr verunsichern.“

      „Aber meinst du nicht, Amenhotep, dass die Menschen dir so oder so zujubeln werden, egal was du tust und wie du dich verhältst?“, fragte Ani unsicher. „Du bist der Sohn des Guten Gottes und alleine dafür lieben sie dich.“

      „Wir alle müssen ihnen dennoch Tag für Tag beweisen, dass wir ihre Zuneigung und ihr Vertrauen auch verdient haben.“ Amenhotep hob die Arme wie zum Gebet. „Wir sind größer als sie und sie wollen sich an uns aufrichten. Wir sind es, die ihnen den Weg zeigen müssen für ein dem Gott gefälliges Leben. Wir sind es, die an ihrer statt und für sie zu den Göttern sprechen. So wie der Pharao Jahr um Jahr mit seinen Bittgebeten dafür sorgt, dass die Nilflut wiederkehrt ohne ihre Häuser und Dörfer zu zerstören, so gewährleistet er jeden Tag aufs Neue die Wiederkehr des Aton am östlichen Horizont, der glänzenden Sonnenscheibe, die allein erst Leben möglich macht. Wir sind die Garanten, dass die Maat, das Gleichgewicht der Dinge, erhalten bleibt. Ohne uns sind sie wie verwilderte Kinder, die ziel- und ratlos durch das Leben irren. Doch wären wir nicht anders als sie, nämlich den Göttern näher und ähnlicher, würden sie das Vertrauen in uns verlieren und bald