Wieland Barthelmess

ECHNATON


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fern. Einfache Menschen wie er hatten keinerlei Zugang zu ihnen und mussten deren Priester bitten, für sie zu sprechen. So, wie sie hofften, dass der Pharao sich mit Fürbitten an die Götter um ihr Schicksal kümmern würde. Direkt ansprechen konnten sie nur die unzähligen Halbgötter und Dämonen wie Bes oder Tawret und natürlich den widderköpfigen Basepef. Sie waren für die alltäglichen Dinge zuständig, wie eine glückliche Empfängnis, eine problemlose Geburt oder eine auskömmliche Ernte. Die anderen Götter jedoch waren schlichtweg zu groß und viel zu mächtig, als dass sie sich um das Schicksal der einfachen Menschen kümmern würden. „Ich bin dumm und ungebildet und weiß von alledem nichts“, meinte Ani. „Und deshalb vermag ich mir kaum vorzustellen, dass es fast ebenso viele Götter gibt wie Menschen auf der Welt. Doch vielleicht sind die vielen Götter ja auch nur unterschiedliche Namen für ein und dasselbe, einzelne Charakterzüge einer einzigen göttlichen Seele, eines einzigen göttlichen Wesens.“

      Amenhotep wurde bleich und sah seinen Freund erstaunt an. „Du darfst so etwas keinesfalls in der Öffentlichkeit sagen!“, zischte er und klopfte auf das Polster neben sich, damit Ani dort Platz nehme. „Es ist Häresie, was du da sagst, schlimmste Ketzerei.“

      „Das tut mir leid“, stammelte Ani. „Ich wollte niemanden mit meinen dummen Überlegungen verletzen.“

      „Dann schweig!“ Amenhotep sah sich unauffällig um. „Wo hast du das denn überhaupt her?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sprich niemals mehr darüber – außer im Kreise der Familie. Vielleicht sind deine Gedanken ja weniger dumm als du glaubst. Aber außerhalb der Mauern des Palastes, darfst du sie nie wieder äußern. Verstehst du mich?“

      Ani nickte stumm, ohne auch nur im Entferntesten zu ahnen, welche Bedeutung und schließlich auch Folgen, das soeben Geäußerte hätten. Er war einfach nur erstaunt, Amenhotep so aufgewühlt und furchtsam zu sehen. Hatte er doch immer gedacht, dass ein Sohn des Guten Gottes, äußern könne, was immer er wolle.

      Das blaue Haus der Meister der Einbalsamierung hob sich deutlich vom Braun des dahinströmenden Nils ab. Ein paar Atemzüge noch und er würde seinen Vater noch einmal sehen können. Einerlei wie sich sein Schicksal nach den siebzig Tagen der Vorbereitung für die Ewigkeit auch gestalten sollte, ob er den Palast wieder verließ oder aber dort bleiben würde - sein altes Leben war endgültig dahin. Ein Ehrenkuss auf Vaters Hand würde die letzte Berührung sein, die ihn noch mit seiner alten Welt verband. Ani kamen die Tränen. Hätte einer der Götter, die vielleicht nur ein Einziger waren, ihm die Möglichkeit gegeben, diese neue Welt von Sauberkeit, Reichtum und Wohlgerüchen gegen das Leben seiner Eltern und der kleinen Schwester einzutauschen - er würde nicht einen Augenblick zögern, deren Leben zu erbitten.

      Das blaue Haus war kühl. Ani zog ein Schauer über den Rücken als sie eintraten. Er bemerkte, dass es Amenhotep ebenso erging. Die Luft brummte von den tiefen Stimmen, die in fernen Räumen geheimnisvolle Rituale vollzogen. Es roch eigenartig schwer und süßlich - wie beim Schlachter in Anis Dorf. Ani wollte den Gedanken besser nicht zu Ende denken … Die Glut Dutzender von Räuchergefäßen reinigte mit ihren Aromen die Luft, die mit erstaunlich stetem Zug den Raum durchwehte. In einem winzigen Nebenraum, der eher einem in den Fels gehauenen Alkoven glich, lag sein Vater auf einer Bank aus leuchtendem Marmor. Aus drei kleinen Luken, die man in der Decke ausgespart hatte, trafen die Sonnenstrahlen allein auf die marmorne Bank und brachten sie solcherart zum Leuchten. Ani musste schlucken, denn so hatte er seinen Vater noch nie gesehen: Ein Schendschut aus edelstem Leinen bedeckte seine Lenden, ein geflügelter Skarabäus lag auf seiner Brust und sein Gesicht sah geschminkt um Jahre jünger aus. Rasiert und frisch gewaschen konnte er sich nun auf seine letzte Reise vorbereiten lassen. Fast mochte Ani meinen, der Vater schliefe nur. Er wollte schon eintreten, um seinen Vater zu berühren, als einer der beiden Balsamierer, die sie hereingeführt hatten, sich ihm in den Weg stellte. „Es ist besser so. Glaub es mir“, hörte Ani ihn in einem Tonfall sagen, der erkennen ließ, dass er diesen Ratschlag schon tausendmal gegeben hatte. „Wir tun unser Bestes. Doch manchmal reicht selbst das nicht aus. Es ist besser, du siehst nicht seine andere Seite.“

      „Ich danke dir“, sagte Ani tonlos. Woraufhin ihm der Balsamierer die hohle Hand entgegenstreckte. Amenhotep warf etwas hinein und Ani meinte, etwas Goldenes gesehen zu haben, bevor die Hand sich flink und fest darum schloss.

      „Der Oberste der Balsamierer lässt noch fragen, ob es denn tatsächlich eine königliche Vorbereitung für die Ewigkeit sein soll.“

      „Das hat er heute Mittag schon gefragt, obwohl ich klare Anweisungen gegeben hatte.“ Amenhoteps Stimme klang kalt und gebieterisch. „Sollte er noch einmal fragen, lasse ich ihm die Ohren abschneiden. Sag es ihm! Und du, Ani“, wie selbstverständlich legte er dem Freund die Hand auf die Schulter, „bist du bereit, für heute Abschied zu nehmen? Wenn dein Vater für die Ewigkeit vorbereitet ist, wirst du ihn wieder sehen. Und wie ein guter Sohn wirst du dann das Mundöffnungsritual an ihm vollziehen.“

      „Einen Augenblick noch“, flehte Ani. „Ein Ehrenkuss noch. Ich werde ihn ja nie mehr wieder sehen …“

      Gerade als sie das Einbalsamierungshaus verlassen wollten, kam ein dunkel gekleideter Mann aus einer der Nischen hervor und verbeugte sich tief.

      „Ah, dich kenn ich“, schmunzelte Amenhotep nach kurzem Überlegen. „Du bist der Schatzmeister des Hauses, nicht wahr?“

      „Hehehe“, mit falschem Lachen versuchte der Beamte, die Peinlichkeit zu umgehen. „Unsere Kasse ist so gut wie leer. Die Außenstände, du verstehst. Wir müssen aber neue Essenzen besorgen und Wachs und Leinenbinden werden auch knapp. Insbesondere die königlichen…“

      „Ich verstehe.“ Ohne eine Miene zu verziehen, streifte Amenhotep einen der goldenen Reifen von seinem Arm. „Und die Begleichung durch die Staatskasse dauert dir zu lange, nicht wahr?“ Mit spitzen Fingern hielt er den Reifen in die Luft und ließ ihn schließlich in die begierig darunter gehaltenen Hände des Schatzmeisters fallen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließen der Prinz und sein Begleiter das Haus.

      „Aber Amenhotep“, Ani war erschüttert über die Tatsache, dass selbst ein Prinz für alles bezahlen musste. Dachte er doch, dass der sich einfach nehmen könne, was immer er wollte. „Dein Armreif! Er war sicher ein Erinnerungsstück. Vielleicht sogar ein Geschenk.“

      „Und ob“, lachte Amenhotep. „Von Sobekmose, dem Vorsteher des Schatzhauses.“ Und gleichgültig fügte er hinzu: „Ich werde mir gleich morgen einen neuen bei ihm holen.“

      „Einfach so?“

      Amenhotep zuckte mit den Schultern. „Natürlich einfach so.“

      Schweigend fuhren sie im letzten Licht der Abendsonne den Kanal zurück. Ani war froh, der ungewohnten Kälte des Einbalsamierungshauses entkommen zu sein. Er spürte wie die warmen Strahlen der Sonne ihn zu liebkosen schienen; wie Hände, die sanft seine Haut streichelten, die Wärme und Leben brachten. Von irgendwo her glaubte er, leise Musik zu hören. Tatsächlich: Jemand spielte auf einer Harfe und sang leise eine Melodie dazu. Amenhotep deutete auf das Größte der Häuser, die vereinzelt an ihnen vorüberzogen. „Unsere Musikschule. Mein Vater liebt Tanz und Musik über alles. Stell dir vor, letztes Jahr hat er Aha, einen Lauten-Spieler, zum Oberhofmeister und Vorsteher der königlichen Musikschule gemacht. Das war vielleicht ein Gerede. Aber“, Amenhotep hob anerkennend den Finger, „Aha hat sich bewährt. Na, du wirst ihn ja bald kennen lernen. Er ist für die musikalische Unterhaltung bei Hofe zuständig und schenkt uns immer wieder wundervolle Abende. Vater hat ihn nämlich die besten Musiker des Landes hier in seiner Schule versammeln lassen, um diese Kunst auf neue Höhen zu heben.“

      „Dein Vater ist ein wahrer Künstler“, sagte Ani beeindruckt. „Man wird sich auf alle Ewigkeit seiner erinnern. Und zwar nicht, weil er die Fremdländer mit Feuer und Schwert unterworfen hat, sondern weil er allerorten Schönheit und Kunst erblühen ließ. Er bringt den Menschen das Licht der Anmut.“

      „Genau das ist er“, bestätigte Amenhotep nickend. „Ein Künstler. Aber die Widerstände sind nicht zu unterschätzen. Als er die Musikschule gegründet hatte, gab