Wieland Barthelmess

ECHNATON


Скачать книгу

      Amenhotep lachte. „Das ist er, wie Gott weiß. Sein zweiter Horusname lautet „Starker Stier, Herrscher der Herrscher“. Diesen Namen hat er sich also selbst in sein Lebensbuch geschrieben. Das verpflichtet. Aber meine Mutter hat ihn gezähmt. Sie bewegt in manches Mal zu konzilianterem Verhalten, als es meiner Meinung nach nötig wäre. Im Fall der Musikschule hat man sich spitzfindig einfallen lassen, dass der Palast ja genauso wie ein Tempel als heiliger Bezirk angesehen wird, er also auch über eigene Musiker verfügen können muss. Eine weitere große Niederlage für die Amun-Priester. Denn jetzt ist die Musik frei, außerhalb ihrer Kontrolle, mit der sie dieses verboten und jenes gestattet haben.“ Ani konnte die Freude darüber in Amenhoteps Gesicht deutlich sehen. „Thutmosis und ich hätten die Gelegenheit genutzt, um es auf ein endgültiges Kräftemessen mit der Amun-Priesterschaft ankommen zu lassen. Wir hätten sie vernichtet. So aber haben wir sie noch immer am Hals. Aber Thutmosis’ Zeit wird kommen. Und ich hoffe, dass er sie dann nutzen kann. Er ist manches Mal so wankelmütig und schwach …“ Amenhotep stockte und erschrak sich offenbar über seine eigenen Worte. „Ani, was ich eben gesagt habe, bleibt ungesagt, verstehst du? Ich werde meinem Vater gegenüber immer loyal sein. Und später einmal, in eine Million Mal eine Million Jahren, ebenso meinem Bruder. Ani, ich möchte, dass du bei mir bleibst, weil ich einen Freund brauche. Einen Freund, dem ich all das erzählen kann, was ich sonst niemandem zu sagen wage. Einen Freund der nicht Speichel leckt und kriecht, sondern mir ehrlich sagt, wenn ich seiner Meinung nach ungerecht bin oder in die Irre gehe. Und Ani – solltest du wem gegenüber auch immer je ein Wort darüber verlieren, was ich jetzt oder in Zukunft sage, so werde ich dir die Zunge herausschneiden, dir die Ohren mit flüssigem Blei verschließen und deine Augen mit glühenden Eisen ausstechen lassen. Also erspare mir und dir diese scheußliche Prozedur. Es bräche mir das Herz.“ Amenhotep lächelte.

      „Ich werde versuchen, dir zu genügen“, sagte Ani ohne zu lächeln. „Du hast mir ein neues Leben voller Wohltaten geschenkt. Und so gehört es dir. Doch vielleicht bist du es, der mich fortschickt nach den siebzig Tagen … Mein Schweigen aber, das schwör ich dir.“

      „Wer weiß“, Amenhoteps Miene hatte wieder jenen Ausdruck angenommen, den er üblicherweise außerhalb des Palastes aufsetzte. „Vielleicht schick ich dich ja wirklich wieder weg. Wir werden sehen …“ Mit einem Strahlen in der Stimme sagte er plötzlich: „Sieh nur, dort, Ani, dort in der Ferne! Das Haus der Millionen von Jahre, das mein Vater sich erbauen lässt, damit man sich auf alle Ewigkeit an ihn erinnern möge. Und schau nur, wie die versinkende Sonne den beiden Statuen am Eingang ihre letzten Strahlen schenkt. Von der anderen Seite des Nils, von Waset aus sieht man ihre Häupter von einem Strahlenkranz aus Sonnenlicht umgeben. Es ist wirkliche Magie. Dies sind die größten Statuen, die jemals aus Stein gehauen wurden. Sie allein werden auf alle Ewigkeit von Vaters Größe künden.“ Und obwohl sie weit entfernt am Rande des überschwemmten Fruchtlandes in den Himmel ragten, war Ani von ihrer schieren Größe überwältigt. Es musste wahrlich ein Gott sein, wer solches erbauen konnte. „Weißt du, Ani, wo ich nun schon einmal dabei bin, dir meine Geheimnisse anzuvertrauen … Mein Vater möchte, dass ich eines Tages Onkel Anen in seiner Führerschaft der Amun-Priester ablöse.“

      „Oh“, entfuhr es Ani. Zwar hatte er keinerlei Vorstellung welche Art von Bedrohung die Amun-Priester darstellten, aber dass Amenhotep nicht gut auf sie zu sprechen war, hatte er inzwischen mehr als einmal mitbekommen. Zudem waren sie es gewesen ‑ und das brachte sein Blut in Wallung ‑, die seinen Vater erschlagen hatten.

      „Mein Bruder Thutmosis und ich sind uns einig, dass ich dereinst unter seiner Herrschaft die Ressorts Kunst und Propaganda beaufsichtigen werde. Ich werde seinen Ruhm in den erlesensten Reliefs verkünden und ihn die beeindruckendsten Bauwerke errichten lassen. Es wird nicht leicht sein, das Haus der Millionen Jahre meines Vaters zu übertreffen. Aber ich habe schon ein paar Ideen …“ Amenhotep zwinkerte. „Es wird jedoch, so hoffe ich inständig, noch lange bis da hin sein. Zunächst muss ich die Eltern erst einmal davon überzeugen, dass ich nicht der Richtige bin für den Amun-Kult. Mein Onkel Anen, der Bruder meiner Mutter, ist schon seit Jahren Zweiter Prophet des Amun. Die Priester verhindern mit allen Mitteln sein Weiterkommen. Und dabei glaubt er inzwischen sogar wahrhaftig an ihren Mummenschanz. Die haben tatsächlich sein Innerstes von Oben nach Unten gekehrt. Was meinst du, welche Aussichten ich dann erst hätte, der ich diesem finstren Kult so überhaupt nichts abgewinnen kann. Hätte die große Tetischeri seinerzeit nur nicht die Unterstützung der Amun-Priester nötig gehabt … Nun“, Amenhotep richtete sich auf, „das ist Politik. Und damit wirst du, nehme ich an, noch nicht vertraut sein. Kannst du eigentlich schreiben?“

      „Schreiben?“ Ani lachte. „Ich kann das Anch-Zeichen in den feuchten Nilschlamm malen. Mehr aber nicht.“

      „Auch das wirst du von morgen an lernen.“

      Der Hafen von Malqata war so gut wie menschenleer, als sie schließlich dort ankamen. Die Schiffe, es lagen etliche vor Anker, waren für die Nacht vertäut und die Sonne schickte noch ein letztes Glühen über die Felsen im Westen, dort wo die großen Herrscher des Reichs in ihren geheimen Gräbern verborgen lagen. Ein paar Händler verstauten ihre Waren, während ansonsten kaum noch jemand unterwegs war. Es war die Stunde der Hunde, wie Ani diese Tageszeit nannte. Die Köter führten sich auf, als sei die Zeit ihrer Herrschaft endlich angebrochen. Schlichen sie untertags mit eingezogenen Schwänzen zwischen den Menschen umher, so fochten sie jetzt offen ihre Revierkämpfe aus, bei denen alles, was sich bewegte - und sei es der Sohn des Königs -, mit lautem Gebell und Geknurr angegangen wurde. Doch die Soldaten der Eskorte brauchten beim Marschieren nur einen Stein nach ihnen zu stoßen, und schon waren sie jaulend und winselnd davongelaufen. Die Soldaten machten sich einen Spaß daraus, immer wieder über Steine zu stolpern, um den feigen Kläffern zu zeigen, wer hier der Herr war. Amenhotep schmunzelte nur und freute sich am Spaß seiner Leute. Dennoch war es Ani wohler, als sich endlich die duftende Zedernholztür mit einem sanften satten Ton hinter ihm schloss; konnte er sich doch nur zu gut an frühere Begegnungen mit Straßenkötern erinnern, die weniger glimpflich ausgegangen waren.

      Rechmire stand breitbeinig und lächelnd da. Ergeben verbeugte er sich vor Amenhotep. „Seine Majestät, dein Vater, er möge leben eine Million mal eine Million Jahre, erwartet dich, sobald der Mond sich zeigt. Er möchte heute Abend alle seine Lieben um sich haben.“

      „Alle?“, fragte Amenhotep irritiert.

      „Fast alle. Dein Onkel Anen ist verhindert, ist er doch mit den Vorbereitungen für das Opet-Fest beschäftigt. Aber dafür wird der andere Bruder deiner Mutter Teje, sie möge leben eine Million mal eine Million Jahre, Eje, der Vorsteher der Pferde, kommen.“ Und da Amenhotep ihn fragend ansah, setzte er mit einem Lächeln hinzu: „Mit beiden Töchtern.“

      Amenhotep strahlte und Rechmires Augen glänzten vor Glück, weil er dem Sohn seines Herrn mit seiner schlichten Nachricht eine solche Freude machen konnte. „Mein Prinz, es freut mich ganz besonders, dir noch sagen zu dürfen, dass die Mutter des Horus im Nest, die Königsmutter Mutemwia, ebenfalls anwesend sein wird. Sie ist unmittelbar vor dir mit dem Schiff aus Achmim angekommen.“

      Fast glaubte Ani, Amenhotep wolle den dicken Rechmire in den Arm nehmen und küssen, denn er strahlte über das ganze Gesicht. „Großmutter“, rief er voller Freude. „Sie ist wieder gesund?! Mein Vater hat der Göttin Sachmet versprochen, siebenhundert ihrer Statuten im Heiligtum der Mut aufstellen zu lassen, wenn sie nur Großmutter wieder gesund werden lässt. Weißt du, wo sie jetzt gerade ist, Rechmire?“

      „Sie hat soeben ihr altes Appartement bezogen und erfrischt sich etwas von der Reise.“ Rechmire räusperte sich. „Sie äußerte sich erfreut, etwas zur Ruhe kommen zu können.“

      „Ich verstehe“ sagte Amenhotep und reckte den Hals nach dem Himmel. „Nun, lange wird es nicht mehr dauern, bis der Mond sich zeigt. Ich werde mich bis dahin gedulden. Komm, Ani, wir nehmen ein Bad, suchen uns was Nettes zum Anziehen aus und Schesehmu kann uns dann neu schminken.“ Schon hatte er Anis Hand ergriffen und zog ihn mit sich fort.

      Glücklich war Ani eigentlich nicht, schon wieder gebadet zu werden. So viel Wasser wie an diesem Tag hatte noch nie seine Haut berührt. Aber es tat gut,