Wieland Barthelmess

ECHNATON


Скачать книгу

      „Was ist nur mit deinem Bruder los“, fragte Mutemwia und zupfte Amenhotep am Arm. „Ich werde aus dem Jungen einfach nicht schlau. Er müsste glücklich sein, solch eine Frau an seine Seite gestellt zu bekommen. Aber dein Großvater war auch so. Erst als ich deinen Vater geboren hatte, erwachte seine Liebe zu mir.“

      „Großmutter“, Amenhotep wurde ganz aufgeregt, „hast du die neuen Reliefs gesehen, die Vater im Tempel des Amun hat anbringen lassen?“

      „Du liebe Güte!“, Mutemwia verdrehte die Augen. „Ich habe mir davon erzählen lassen. Gesehen habe ich sie noch nicht.“

      „Er berichtet darin, wie er von Gott Amun und dir gezeugt wurde.“ Amenhotep zitierte: „Also verwandelte Gott Amun sich in ihren Gatten, den König von Ober– und Unterägypten, Thutmosis. Er fand Mutemwia ruhend in der Schönheit des Palastes. Sie erwachte durch den Geruch des göttlichen Dufts und schrie auf. Er ging direkt auf sie zu und tat, was immer er mit ihr tun wollte.“

      „Nun ja“, meinte Mutemwia augenzwinkernd, „ein wenig anders habe ich es schon in Erinnerung. Geschrieen habe ich jedenfalls nicht.“ Sie lachte. „Diese Inschrift ist nichts weiter als eine politische Notwendigkeit. Die Amun-Priester können sich ja wohl kaum gegen den leiblichen Sohn ihres finstren Gottes wenden. Dein Vater hat das sehr geschickt angestellt. Es wird Zeit, dass mit diesen Ränkeschmieden ein für alle Mal aufgeräumt wird! Wir Frauen der Mut hatten wahrlich schwere Zeiten, seit Tetischeri mit Hilfe der Amun-Priester die Restauration Ägyptens eingeleitet hat. Damals war noch längst nicht entschieden, ob Amun über der Göttin Mut steht. Aber man hat sie zu einer Gemahlin Amuns erniedrigt und ihre Anhänger nach Achmim vertrieben. Erst als unsere Ahnin Mut-nofret mit dem Usurpator Thutmosis I. den späteren Pharao Thutmosis II. gezeugt hatte, waren sie wieder in der ihnen gebührenden Rolle als Gottesmütter anerkannt. Fast hätte Hatschepsut es ja geschafft, dass sich zukünftig auch Frauen als Herrscher durchsetzen können. Und jetzt?“ Mutemwia richtete sich auf. „Jetzt ist meine Nichte Teje, die Tochter meines Bruders Juja und seiner Gemahlin Tuja, die Große königliche Gemahlin des Pharao. Sie ist ihm Auge, Ohr und Mund. Nichts in der Außenpolitik des Landes hätte Bestand ohne sie. Und die Tochter meines Neffen Eje, des Bruders der Großen königlichen Gemahlin Teje, wird zur Großen königlichen Gemahlin des zukünftigen Pharaos.“ Mutemwia sah Amenhotep forschend an. “Und du, mein Liebling, wirst eines Tages Mutnedjmet ehelichen, Ejes andere Tochter, damit die Göttlichkeit der Frauen der Mut ein für alle Mal festgeschrieben wird.“

      Amenhotep verzog das Gesicht. „Das dumme, eitle Ding. Schau sie dir doch nur an, Großmutter. Sie ist nur an Schmuck und Kleidung interessiert. Und an Zwergen aus dem Lande Kusch. Man würde es kaum für möglich halten, dass Nofretete und sie Schwestern sind.“

      „Halbschwestern, wohlgemerkt“, verbesserte ihn Mutemwia. „Als Ejes Frau Mut-nofret, die Schwester deines Vaters, bei Nofretetes Geburt starb, war der Arme vollkommen verzweifelt und einsam. Aber Eje wäre nicht Eje, wenn er nicht eine passende Lösung gefunden hätte. Keiner spricht darüber“, Mutemwia beugte sich wie eine Verschwörerin zu Amenhotep hinüber, „aber es gibt Grund zu der Annahme, dass Eje dem Schicksal kräftig nachgeholfen hat. Nahm er doch seine Base Tij bei sich auf, damit sie Nofretete als Amme diente. Sie hatte erst kurz zuvor auf unerklärliche Art und Weise ihr Kind verloren, das aus einer so unbotmäßigen wie illegitimen Beziehung entsprungen war. Tij mag etwas einfältig sein, aber sie liebt Nofretete wie ihre eigene Tochter und hat sie auch entsprechend großgezogen. Dafür war Eje ihr ewig dankbar und nahm sie schließlich zur Frau. Man mag es kaum glauben, aber er liebt das schlichte Seelchen aufs Innigste. Und seit sie ihm Mutnedjmet geboren hat, ist er überglücklich und verzieht das Kind zu einem rechten Fratz. Da steht dir also etwas bevor, mein armer Amenhotep!“

      „Vielleicht hätte ich ja Thutmosis noch überreden können, dass er statt Nofretete Mutnedjmet zur Ehefrau nimmt“, überlegte Amenhotep. „Sie würde so viel besser zu ihm passen. Und Nofretete zu mir.“

      „Pst, mein Liebling“, Mutemwia nahm Amenhoteps Hand. „Das darfst du noch nicht einmal denken, kommt es doch Hochverrat gefährlich nahe.“

      Ani war vollkommen verwirrt. In seiner Naivität hatte er immer geglaubt, dass allein die Zuneigung darüber entscheiden würde, wer mit wem das Leben teilte. Aber hier im königlichen Palast gab es offenbar andere, wichtigere Gründe. Er sah, wie Nofretete und Amenhotep versteckte Blicke austauschten und einander anlächelten. Aber Ani bemerkte auch, dass Thutmosis ihre Blicke gesehen hatte und schubste Amenhotep schnell wie aus Versehen an. Der drehte sich verärgert um. Doch zu spät … Wortlos reichte Thutmosis der hinter ihm sitzenden Nofretete seine Katze und ging zu Amenhotep hinüber. „Also von mir aus kannst du sie haben“, sagte er leise zu seinem Bruder, „die Schöne, die da gekommen ist. Vater wird aber kaum mit sich reden lassen, denke ich, hat man sie doch intensiv auf ihre Rolle als Große königliche Gemahlin vorbereitet. Man erwartet sich allenthalben viel von ihr.“

      „Sie ist klug und unendlich schön, Bruder“, erwiderte Amenhotep. „Eine Zierde für das Große Haus. Ja, eine Zierde für das ganze Land. Du kannst froh und stolz darauf sein, sie an deiner Seite zu haben.“

      „Wenn schon.“ Thutmosis machte sich daran, zu seinem Sessel zurückzukehren und wandte sich noch einmal um. „Wahrscheinlich bin ich es nur, der hier fehl am Platze ist.“ Nachlässig ließ er sich auf seine Sitzgelegenheit fallen und schnipste, ohne sich umzudrehen, mit den Fingern nach Nofretete. „Katze!“, meinte er einsilbig. Und da Nofretete seinen Befehl überhört zu haben schien und sich weiterhin zärtlich um das behaglich schnurrende Fellknäuel in ihrem Schoß kümmerte, wiederholte er mit scharfer Stimme: „Katze! Na los, gib sie mir!“

      „Ach, Thutmosis, so lass sie mir doch noch ein wenig“, bettelte Nofretete. „Schau nur, wie zufrieden sie schlummert und schnurrt. Sie fühlt sich wohl bei mir.“

      „Die Katze her!“ Thutmosis’ Stimme hatte einen herrischen Ton angenommen.

      „Du bist hier nicht auf dem Exerzierplatz, mein künftiger Gemahl.“ Nofretete blieb standhaft. Aber da alle schon nach ihr sahen, versuchte sie um des lieben Friedens willen, das Kätzchen von ihrem Schoß zu nehmen. „Sieh nur, Thutmosis! Sie möchte bei mir bleiben. Sie hat sich richtiggehend festgekrallt im Stoff meines Kleides.“ Mit ausgefahrenen Krallen und einem armseligem Miauen versuchte die Katze hartnäckig, ihre Vertreibung von Nofretetes Schoß zu verhindern.

      „Du sollst mir meine Katze wiedergeben!“ Schon war Thutmosis aufgesprungen und funkelte Nofretete an. Als er sah, wie sehr das Kätzchen sich wehrte, packte er es unsanft im Nacken und riss es derart brutal von Nofretete weg, dass ihr Kleid Fäden zog. Die Katze maunzte erbärmlich und wand sich in seinem Griff. Sie schlug sogar nach ihrem Peiniger und hinterließ blutige Kratzer auf seiner Hand. „Du kleines Mistvieh“, brüllte der wie von Sinnen. „Ich werde dir zeigen, was es heißt, meine Wünsche zu missachten!“ Thutmosis holte weit aus und schlug das Kätzchen gegen die nächstbeste Wand. Es gab ein seltsames klatschendes und knirschendes Geräusch und in seinem Todeskampf zappelte, bog und wand sich das Tier, so dass alle entsetzt aufschrieen. Thutmosis griff erneut zu und schleuderte die Katze abermals gegen die Wand. Und da das Tier noch immer zuckte und sich sterbend auf den Boden übergab, holte er mit dem rechten Fuß aus und trat wie in einem Blutrausch auf sie ein. Immer und immer wieder. Als sie endlich reglos liegen blieb, gab er ihr einen letzten Tritt, so dass sie abermals gegen die Wand prallte und schließlich mit verdrehten Gliedmaßen liegen blieb.

      Das Entsetzen verschlug allen die Sprache, während Thutmosis mit blutverschmierten Sandalen wieder auf seinem Sessel Platz nahm und wortlos vor sich hin starrte. Eje war der Erste, der sich von seinem Schreck erholt hatte. „Nun, ich denke, es ist an der Zeit, dass wir aufbrechen.“ Seiner Frau Tij liefen die Tränen über die Wangen und Mutnedjmet war das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ihr Zwerg zitterte am ganzen Leib, denn offenbar befürchtete er, dass dies eine übliche Umgangsart mit niedriggestellten Kreaturen bei Hofe war. So schnell als irgend möglich gingen Eje und seine Familie ins Haus zurück, wohin Teje sie zum Abschied begleitete. Schnell war sie wieder zurück auf der Terrasse, hob die tote Katze auf und legte sie wortlos in Thutmosis’