Wieland Barthelmess

ECHNATON


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allein beanspruchen. Ani konnte seinen Freund Amenhotep nur zu gut verstehen, dass der Nofretete fast wie eine Göttin verehrte. Wie oft war es während des Unterrichts geschehen, dass sich beide bei Diskussionen, die sich um die Zukunft des Landes drehten, gegenseitig in eine Art heiliger Erregung redeten. Sie hatten dieselben Träume und Visionen, Wünsche und Ziele. Und es tat Ani in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie die beiden, die so gut zueinander passten, gezwungen waren, nur wie Schwager und Schwägerin Umgang zu haben. Wie gut konnte er ihr Herzweh nachvollziehen, denn sie wussten ja, dass sie ihre Zuneigung zueinander niemals würden leben können.

      Aber auch er hatte Ähnliches erfahren müssen. Vor kurzem erst hatte ihn Merit-amun wieder einmal des Morgens mit ihrer Feder geweckt. Als er die Augen aufschlug und in ihr liebes, so herzlich vor Wiedersehensfreude lächelndes Gesicht sah, wusste er, dass es Augenblicke wie diese waren, die sein jetziges Leben erst wirklich glücklich machten. All der Luxus, all das Gold und all die Schönheit, die ihn umgaben, waren nichts gegen einen einzigen Blick Merit-amuns. Er hatte Amenhotep gefragt, ob es gestattet sei, eine Dienerin zu ehelichen. „Nicht in der königlichen Familie und auch nicht bei Hofe“, war seine knappe Antwort. Amenhotep hatte ihm anschließend erklärt, dass Heiraten unter Stand ein überaus heikles Thema bei Hofe sei und man besser alles vermied, um das Gespräch darauf zu bringen. Insbesondere seine Mutter Teje hörte überhaupt nicht gerne darüber, hatte sie doch in jungen Jahren erfahren müssen, was es bedeutet, als Bürgerliche einen Vertreter des Hochadels zu ehelichen. Außerdem, so behauptete Amenhotep, warteten die Amun-Priester nur darauf, üble Gerüchte in die Welt zu setzen. Fast hatte Ani sich mit Amenhotep darüber gestritten, so, wie sie es während des Unterrichts häufig taten, um aus den unterschiedlichen Meinungen eine Weisheit herauszufinden, die für alle annehmbar und nachvollziehbar war. Doch als Ani gerade anheben wollte, seine Argumente vorzutragen, versteinerte Amenhoteps Gesicht. „Ich will es so“, war alles, was er dazu sagte und damit war für ihn das Thema erledigt.

      Seither lag ein Schatten auf Anis Herz, denn Merit-amun wollte sich ihm keinesfalls gegen den Willen des Guten Gottes hingeben. Und er wollte sie keinesfalls zu etwas verleiten, was sie später einmal bereuen könnte - ob zu Recht oder auch nicht. So schwer ihm dies auch manches Mal fiel. Es gab Augenblicke in denen sie sich ganz nah waren und in denen es nur allzu selbstverständlich gewesen wäre, wenn sie einander zärtlich berührt hätten.

      Merit-amun hatte nach und nach ein wenig mehr von ihrem Leben erzählt. Ein Bauernkind, wie Ani, das eines Tages während des Opet-Festes vom Vorsteher der Diener angesprochen und sogleich mitgenommen wurde. Ihre Eltern waren froh, einen Esser weniger durchbringen zu müssen; ein Mädchen noch dazu, das später einmal eine Mitgift benötigen würde. So waren sie mit der Abfindung des Palastes offenbar mehr als zufrieden. Es schnürte Ani jedes Mal die Kehle zu, wenn sie davon erzählte, meinte er doch heraushören zu können, wie sehr sie der Verrat der Eltern verletzt hatte. Nun sah Merit-amun es als Sinn ihres Lebens an, den göttlichen Menschen im Palast zu Nutzen und zu Diensten zu sein und sie mit ihrer Arbeit ein wenig glücklicher zu machen. „Genauso wie du auch“, hatte sie Ani ins Gesicht gesagt. Und er wusste, dass sie Recht hatte.

      Tags darauf hatte er Amenhotep abermals angesprochen. „Was ist, wenn ein Diener eine Dienerin heiraten möchte?“ Dann müsse dies der Vorsteher der Diener zunächst genehmigen, kam als Antwort. Und als Amenhotep ihn eines weiteren Tags darauf von Rechmire zum „Freund des Gottessohnes“ ernennen ließ, wusste Ani, dass Amenhotep alles tun würde, um ihn nicht an einen anderen Menschen zu verlieren. Denn nun war Ani von Stand, so dass die Heirat mit einer Dienerin gänzlich ausgeschlossen war. Vielleicht war es ja auch einfach nur Neid, überlegte Ani, was Amenhotep so handeln ließ. Warum sollte der Diener bekommen, was der Herr nicht haben durfte? Tief in seinem Innersten hätte Ani seinem Herrn solche Überlegungen durchaus zugetraut. Doch vielleicht war er selbst ja auch nur ein gemeiner Mensch, der anderen seine eigenen Schlechtigkeiten unterstellte? Was schließlich außer Grübeln, traurigen Gedanken und Ratlosigkeit zurückblieb, war ein tiefes Schuldgefühl, seinem Herrn wahrscheinlich Unrecht getan zu haben.

      Der Titel „Freund des Gottessohnes“ hatte immerhin den Vorteil, dass Ani sich von nun an völlig frei im Palast bewegen konnte - mit Ausnahme des Harems selbstverständlich. Ani gehörte also nun zum Machtzentrum des Reiches, wenn auch nur an unterster Stelle. Denn der Titel, so klangvoll er auch war, autorisierte ihn zu gar nichts. Spöttisch nannten ihn die etwa gleich alten Beamtenanwärter „Spielzeug des Gottessohnes“, was ihn mehr kränkte, als er sich einzugestehen bereit war. Noch vor siebzig Tagen hatte er nicht einmal gewusst, wo er schlafen und was er essen würde. Heute würde er seinen armen, erschlagenen Vater in einem prächtigen Grab in der Nähe der großen Könige bestatten, ausgestattet für eine Ewigkeit voller Wohlergehen. Für den Abend waren er und Amenhotep auf die Terrasse des Guten Gottes bestellt. Dann würde man ihm wohl sagen, ob er sich während jener siebzig Tage bewährt habe. Er kuschelte sich in Tejes Decke und schloss zuversichtlich die Augen. Lange blieb er so sitzen, bis ein erster Sonnenstrahl ihn an der Nase kitzelte. Er blinzelte und wollte schon niesen als er in Merit-amuns strahlende Augen sah. „Du bist schöner als die Sonne und zärtlicher als ihr Licht“, sagte er ganz verzaubert. Merit-amun wollte etwas entgegnen und hatte schon den Mund geöffnet, als sie sich stattdessen vor ihm niederkniete, sich tief verneigte, schließlich aufstand und wortlos ging.

      Die Muße des frühen Morgens war schnell dahin. Denn Amenhotep platzte wieder einmal vor der vereinbarten Zeit herein, weil er keinerlei Lust verspürte, auf irgendjemanden oder irgendetwas zu warten. Wenn er jetzt noch in die Hände klatscht und „Na, los, los!“ ruft, dachte Ani mürrisch …

      „Bleib sitzen da draußen!“ Amenhotep stand in der Tür zum Garten. „Das sieht ja allerliebst aus, wie du da in deine bunte Wolldecke aus Hattuscha gemummelt in der ersten Sonne des Tages sitzt.“ Natürlich stand Ani sogleich auf, verhedderte sich aber derart in seiner Decke, dass er zwischen vornüber fallen, in die Hecke plumpsen oder wieder auf den Allerwertesten zu sinken, letztere Möglichkeit wählte. Amenhotep lachte herzlich. „Der verwirrte Bauernsohn“, rief er ihm fröhlich entgegen und trat näher, während Merit-amun eifrig einen Schemel bereitstellte. Amenhotep setzte sich. „Ich wollte dir nur alles Gute für den Tag wünschen. Er wird noch einmal schwer für dich, denn er bedeutet Abschied, endgültigen Abschied. Aber vielleicht hilft es dir in deinem Schmerz und dem Gefühl verlassen zu sein, wenn du weißt, dass wir uns alle freuen, dich heute Abend wieder zu sehen. Nun, vielleicht unser guter Schesehmu weniger. Denn seit du mit deiner Landmann-Mode hier angekommen bist, sind seine Perücken immer weniger gefragt. Du wirst ja sehen, was du angerichtet hast, wenn anlässlich des Opet-Festes jedermann selbst aus den entlegensten Gauen angereist kommt. Im Palast gibt es dann an jedem Abend ein großes Fest. Jeden Abend andere Gaufürsten, jeden Abend andere Ehefrauen von Gaufürsten, jeden Abend andere wohl erzogene Kinder von Gaufürsten, doch jeden Abend dieselben Gespräche. Eine Woche ist da schnell herum, bis mein Vater und vor allem auch meine Mutter mit jedem von ihnen geredet haben. Diese Feste sind wichtig, erfährt man doch auf einem fröhlichen Fest, mit Wein und heiterer Musik ganz andere Dinge als am Planungstisch während der Kabinettsbesprechung oder bei einem hochoffiziellen Besuch in der Provinz.“ Endlich kam Amenhotep auf den Punkt. „Ich wünsche, dass du mich zu diesen Empfängen als mein Kammerherr begleitest. Zu deinen Pflichten gehört insbesondere, mir in jeder Situation sofort sagen zu können, wem ich gegenüberstehe und welches seine Ämter und Aufgaben sind. Seine familiäre Situation ist ebenfalls wichtig und ob es vielleicht noch weitere Details gibt. Du weißt schon, Klatsch und Tratsch und üble Nachrede.“ Amenhotep zwinkerte. „Mentuhotep, dein Lehrer, wird dich einweisen und dir sämtliche Dossiers zugänglich machen. Und jetzt guck nicht so übertölpelt. Wenn du morgen gleich anfängst, dich damit zu beschäftigen, hast du noch zwei ganze Wochen Zeit, dich vorzubereiten. Und versuch noch ein wenig, das Schreiben zu üben. Deine Handschrift ist erbärmlich. So, ich muss jetzt los. Ich hab heute wieder meine geliebten Amun-Priester um mich.“

      „So früh heute?“, Ani blinzelte nach der Sonne, die es noch kaum über die östlichen Berge geschafft hatte.

      „Ja, na ja“, entgegnete Amenhotep in einem eigenartigen Tonfall, „heute mal aus gegebenem Anlass ein bisschen früher“, stand auf und ging ohne sich umzudrehen. „Bis später“, rief er und hob die Hand.

      Bis