Wieland Barthelmess

ECHNATON


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Reich.

      Sit-amun würde zwar deutlich mehr öffentliche Pflichten übernehmen müssen, konnte dafür allerdings ein ungestörtes Privatleben erwarten. Der Sohn des Hapu, als engster Freund und Berater des Pharao sowie Verwalter ihrer Güter, konnte nun getrost hinter ihr sitzen, ohne dass es zu Klatsch und Tratsch Anlass gegeben hätte. Und Pharao würde endlich die Möglichkeit haben, sich bei seinem ersten Sed-Fest, das in absehbarer Zeit bevorstand, zum Sohn der Sonne ausrufen zu lassen. Vereinigte er dann schließlich doch drei Generationen göttlichen Bluts mit sich. Jede Dekade, die er dann regiert haben würde, hatte ihm eine Große königliche Gemahlin geschenkt. Solches widerfuhr nur Göttern. Niemand könnte dem widersprechen! Selbst die Amun-Priester würden es nicht wagen, an den heiligen Sonnenkult zu rühren, der, älter als die Pyramiden, aus den Anfängen der Menschheit herrührte. „Welch schlauer Fuchs!“, staunte Ani. „So geht das Regieren! Schließlich hat dann jeder etwas davon.“

      „Und bevor ich mich nun zurückziehe“, meinte Pharao und erhob sich, „soll Rechmire noch den Ani, Freund des Gottessohnes, in den Stand des Schreibers des Gottessohnes erheben. Er hat uns in den vergangenen siebzig Tagen gut gedient und wir freuen uns, ihn bei uns zu haben.“ Man klatschte begeistert Beifall und schon hatte Pharao allen eine gute Nacht gewünscht und war verschwunden.

      „Ausgerechnet Schreiber!“, dachte Ani, als ihm Rechmire voller Rührung das Bleiberecht im Palast aussprach und ihn ermahnte, niemals zu vergessen, wem er sein Wohlergehen zu verdanken habe. „Du bist alles durch Ihn und ohne Ihn nichts. Fürchte Ihn, denn sein Zorn ist schrecklich. Liebe Ihn, denn seine Liebe ist unendlich. Sei Ihm treu und ein loyaler Beamter, dann wird Er treu zu dir und den Deinen stehen.“

      Die nun folgenden vierzehn Tage waren derart angefüllt mit Lernen, Memorieren, aber auch Schreibübungen, dass Ani tagtäglich mit den ersten Sonnenstrahlen aufstand und an manchem Abend bis weit in die Nacht mit seinem Lehrer Mentuhotep beisammen saß, um die Dossiers der Gaufürsten des Reiches zu studieren. In über vierzig Gaue war Ägypten von Nord nach Süd gegliedert und natürlich hatte jeder der Fürsten seine eigene Geschichte - von denen keinesfalls eine jede vorzeigbar war. Der Fürst des Schlangengaus hatte offenbar seinen älteren Bruder ermordet, der des Falkengaus seine Ehefrau mittels eines präparierten Bootes das Opfer von Krokodilen und Nilpferden werden lassen und im Gau des göttlichen Kälbchens gab es Unregelmäßigkeiten bei den Steuereinnahmen, die noch genauer zu untersuchen waren. Ani wunderte sich, warum Pharao nicht alle fragwürdigen Fürsten kurzerhand auswechselte. Mentuhotep erklärte ihm, dass Ägyptens Verwaltung derart fein gesponnen und miteinander verwoben war, dass jede Veränderung schnell eine Verschiebung der gesamten Machtbalance nach sich ziehen konnte. Überdies konnte Pharao durchaus davon profitieren, wenn er die eine oder andere Sünde seiner Fürsten großzügig übersah. Ihre Ergebenheit ihm gegenüber konnte damit nur gefestigt werden. Allerdings gab es auch etliche Gaufürsten, gegen die bereits im Geheimen ermittelt wurde und deren Ablösung unmittelbar bevorstand. Darunter auch der Führer des Gaus von Waset, in dem die königliche Residenz lag. Meri-ptah war zugleich auch der Oberpriester des Amun und somit der erbittertste Gegner Pharaos. Seit Jahren schon stand Anen, der Bruder der Großen königlichen Gemahlin Teje und des Vorstehers der Steitwagentruppe Eje an zweiter Stelle, ohne nachrücken zu können. Über Meri-ptah war das mit Sicherheit umfangreichste Dossier angelegt worden, ohne allerdings eindeutige Beweise liefern zu können. Sicher nachweisbar war bisher lediglich seine große sexuelle Appetenz, die sich sowohl auf Frauen als auch auf Männer sowie Kinder beiderlei Geschlechts erstreckte. Pharao weigerte sich jedoch, deswegen ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. In einer Randnotiz hatte er die Gründe dafür ins Dossier geschrieben: „Diesen Punkt nicht weiterverfolgen! Sonst wäre die Hälfte der Gaufürsten zu entheben.“

      In der Schreibstube Mentuhoteps saß Ani häufig neben Thutmosis, der – wie es für den Thronfolger Tradition war ‑, das 30. Regierungsjubiläum seines Vaters vorbereitete. Es war zwar noch mehr als ein ganzes Jahr bis dahin, aber die Vorarbeiten waren derart vielfältig, dass man nicht früh genug damit anfangen konnte. Zudem würde Thutmosis bald für sechs Monate nach Men-nefer gehen, wo er die Weihen eines Hohepriesters des Ptah erlangen sollte, so dass er besser schon vorher jene Dinge erledigte, die bereits angegangen werden konnten. Vor allem mussten die Herrscher der Fremdländer beizeiten informiert werden, damit sie ihre Abordnungen mit den Tributen pünktlich auf den Weg schicken konnten. Ani hatte den Kronprinzen bei dieser Gelegenheit etwas besser kennen lernen können. Hatte er ihn anfangs nur für einen missmutigen und launischen jungen Mann gehalten, so musste er bald feststellen, dass die Dinge doch ein wenig vielschichtiger waren. Thutmosis fühlte sich schlichtweg erdrückt von all den Erwartungen und Forderungen, die auf ihm lasteten. Jeder, nicht nur in der königlichen Familie hatte Erwartungen an ihn und diese wurden auch deutlich geäußert. Er sollte, wenn er dann eines Tages die Regentschaft übernommen hätte, die Macht des Pharaos weiter ausbauen und die der Amun-Priester beschneiden oder gar endgültig brechen. Nofretete würde ihm zur Seite stehen, was seine Zweifel und Unsicherheiten aber auch nicht unbedingt aus der Welt zu schaffen in der Lage war. Denn nur allzu schnell fühlte sich Thutmosis der überaus intelligenten und gebildeten Frau unterlegen, die immer wieder sehr viel schneller als er begriff, worauf es tatsächlich ankam.

      Nofretete war schlichtweg perfekt! Ein vollkommenes Produkt höfischer Erziehung. Auf ihre Aufgabe von Geburt an bestens vorbereitet, bewies sie einen scharfen Verstand, mit dem sie ihr beeindruckend großes Wissen zu nutzen wusste - und war darüber hinaus auch noch bildschön. Es war abzusehen, dass alle Mädchen und Frauen des Reiches eines Tages so sein wollten wie sie und sie wie eine Göttin verehren würden. Thutmosis wusste, dass er neben ihr allenfalls eine mittelmäßige Figur abgeben konnte, was nicht unbedingt zu einer entspannten Haltung seinerseits beitrug. Unglücklicherweise liebte er seine so vollkommene Braut überhaupt nicht, sie ließ ihn schlichtweg kalt, sondern sah in ihr vielmehr eine ihm beigestellte Aufsichtsperson.

      Eines Tages ‑ Thutmosis hatte gerade wieder einmal wegen einer Nichtigkeit einen seiner Wutanfälle bekommen, bei dem er die Papyri durch die Schreibstube schmiss und schließlich seinen Unmut herausbrüllend den Raum verließ ‑, schob Mentuhotep schweigend ein Dossier über den Tisch. Ani erschrak, beschäftigte sich das Dokument doch mit der Person des Thronfolgers. „Er hat es eben erst entdeckt und wohl auch einen Blick hineingeworfen“, flüsterte ihm Mentuhotep zu. Und als er den Schreck seines Schülers bemerkte, meinte er nur beiläufig: „Solch eine Akte hat Pharao über jeden von uns anlegen lassen.“ Und als er das Entsetzen in Ani Gesicht sah, fügte er beruhigend hinzu: „Sogar über sich selbst lässt der Gute Gott eine solche Kladde führen. Hilft sie ihm doch, zu überprüfen, wie seine Taten von außen wahrgenommen werden.“ Nur kurz blickte Ani in das vor ihm liegende Dokument, doch es genügte, um die Verstimmung des Kronprinzen zu verstehen. Das Wort „unfähig“ tauchte öfters darin auf und war mit Rot unterstrichen. Als Schlussbemerkung stand der unheilvolle Satz: „Eine schwache Führung ist zu erwarten, die hoffentlich durch seine Große Königliche Gemahlin Nofretete ausgeglichen werden kann.“ Schnell rollte Ani den Papyrus wieder auf und schob ihn Mentuhotep zu, der ihn augenblicklich in eine Truhe legte, die er sorgfältig abschloss. „Dies alles ist eigentlich nur für die Augen Pharaos gedacht“, klopfte Mentuhotep auf die Truhe.

      „Und warum zeigst du es mir dann?“ Ani war entrüstet, wie ihn sein Lehrer in diese Lage hatte bringen können. Denn die in diesen Aufzeichnungen gebannten Worte waren nun losgelassen und vergifteten Anis Hirn.

      „Pharao selbst wies mich an, solches zu tun“, erklärte sich Mentuhotep.

      „Und jetzt sag mir nur noch“, meinte Ani entrüstet, „dass der Gute Gott wollte, dass auch Thutmosis dies liest.“

      Mentuhotep nickte nur stumm.

      Offenbar hatte Pharao erwartet, dass Thutmosis sich etwas mehr bemühen würde, wenn man ihn erst einmal wissen ließ, wie wenig man ihm tatsächlich zutraute. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Thutmosis wurde nur noch verstockter und zog sich immer mehr zurück. Das Schlimmste war jedoch, dass er nun jedermann in seiner Umgebung Misstrauen entgegenbrachte. Seine Schwestern, sein Bruder, ja, selbst seine Mutter und Großmutter machten da keine Ausnahme. Wie ein getretener Straßenköter schnappte er nach jeder Hand, die ihm entgegengestreckt wurde. Nofretete reichte sie