Wieland Barthelmess

ECHNATON


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Zwecke bereitgestellt worden und wartete auf ihn. Der Schiffsführer Arhonuphis, ein riesiger Nubier mit freundlichem Gesicht, verneigte sie tief, als Ani an Bord kam. Und als das Boot schließlich ablegte, erklang vom Heck leise Harfenmusik. „Ein Geschenk der Gottesmutter Mutemwia“, meinte der Nubier beeindruckt und deutete mit dem Kopf nach dem Musiker. Das warme Gefühl, geschätzt und geliebt zu sein, erfüllte Anis Herz, während das Boot dem blauen Haus am Nil entgegenstrebte. Mutemwia schien irgendwie einen Narren an ihm gefressen zu haben. „Mein Jungchen“, hatte sie ihn wiederholt genannt, wenn er bei ihr vorsprach, um Botschaften von ihrem Enkel zu übermitteln. Eines Tages gar, hatte sie ihn bei einer solchen Gelegenheit gefragt, was er denn von ihrem anderen Enkel, Thutmosis, hielte, dessen Katzenmord man als tragischen Unglücksfall ausgegeben hatte. Und da niemand von außerhalb der Familie bei dem Geschehnis anwesend gewesen war, gab es glücklicherweise auch keinerlei anders lautenden Zeugnisse. Das Gerede war dennoch mehr als unangenehm. Ani hatte damals bei der Unterredung mit Mutemwia nur stammeln können, dass es ihm keineswegs zustand, eine Meinung zu einem Mitglied der königlichen Familie zu haben. „Papperlapapp!“, rief die alte Dame und klopfte mit der Hand auf einen neben ihr stehenden Schemel. „Setz dich, Jungchen, und verrate mir deine Gedanken.“ Und obwohl er wusste, dass allzu freimütige Äußerungen schnell dazu beitragen konnten, in Ungnade zu fallen oder gar den Kopf zu verlieren, ließ er sie in sein Herz blicken, gerade so, als sei Mutemwia seine eigene Großmutter. Immer häufiger hatte sie seither auf den Schemel geklopft, wenn er bei ihr vorsprach, denn offensichtlich schätzte sie seine Beurteilung der Dinge. Mutemwias Wertschätzung seiner Person war natürlich nicht lange verborgen geblieben. Als er anderntags der Großen königliche Gemahlin Teje ein Schriftstück brachte, das Amenhotep verfasst hatte, klopfte auch sie auf einen Schemel. Er solle ihr doch einmal sagen, was er von Amenhoteps Vorschlag hielt, die Erträge des Amun-Tempels zu besteuern. Wie ein waidwundes Tier, das sich in einer auswegslosen Lage befand, hatte Ani herumgedruckst und Allgemeinplätze von sich gegeben, bis Teje ihn ärgerlich unterbrach. „Du redest wie der Wesir oder wie einer meiner Ratgeber. Wenn ich deren Meinung wissen will, frage ich sie selbst.“ Ernst hatte sie ihm in die Augen gesehen. „Lass mich wissen, was du denkst, Ani. Es wird dir nichts geschehen.“ Daraufhin hatte er ihr offen und ehrlich seine Meinung zu diesem heiklen Thema dargelegt: Dass er Amunhoteps Überlegungen grundsätzlich für richtig und angemessen hielt, lediglich den Zeitpunkt für eine derartige Konfrontation mit der Amun-Priesterschaft für wenig glücklich. Im Norden des Reiches schienen sich Schwierigkeiten anzubahnen, weshalb man, je nachdem wie die politische Lage sich in Hattuscha entwickelte, unter Umständen auch mit kriegerischen Auseinandersetzungen würde rechnen müssen. Und es wäre fatal, wenn Ägypten zur selben Zeit innere Kämpfe ausfocht, die seine Stärke nach außen nur schwächen konnten. „Bei Osiris!“, hatte Teje abschließend nur gemeint und seither ebenfalls immer häufiger auf den Schemel an ihrer Seite geklopft.

      Als das Boot vor dem blauen Haus Halt machte, standen schon die Priester bereit, um die Mumie in ihrem prachtvollen Sarkophag zu begleiten, damit sie die heiligen Handlungen vor der eigentlichen Beisetzung vollziehen konnten. Schnell war der Sarg von acht Trägern an Bord gebracht worden, so dass das Boot augenblicklich umkehrte und wieder in Richtung des Palastes fuhr. Ani fühlte sich beklommen, denn er hatte Schwierigkeiten, das Bild des reich geschmückten Sarkophages mit dem Anblick seines tot im Wasser treibenden Vaters in Einklang zu bringen, das sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Wieder im Hafen angekommen, riefen die Priester „Macht Platz für den Freund des Gottessohnes, der seinen Vater zu Osiris bringt, damit er sich rechtfertige!“. Ani wäre es lieber gewesen, seinen toten Vater in aller Stille zu seinem Felsengrab in der Wüste begleiten zu können. Doch als sich dem Leichenzug dann noch ein Dutzend Diener anschlossen, welche die Kisten mit den Uschebtis trugen, war das Aufsehen endgültig nicht mehr zu vermeiden. So groß der Zug auch war ‑ drei Sem-Priester vorneweg, acht Sargträger und ein Dutzend Diener mit Uschebtikästen hinterher ‑, so sehr wurde Ani die Tatsache bewusst, dass er ganz allein es war, der dem Sarkophag folgte. Die Menschen am Wegesrand verneigten sich vor dem Toten, aber sie beugten ihr Haupt auch vor Ani, der als treuer Sohn alles tat, um seinem Vater ein angenehmes Weiterleben im Jenseits zu ermöglichen. Eine Frau streute sogar Lotusblüten, was Ani sich allerdings vornahm, mit keinem Wort gegenüber Amenhotep zu erwähnen.

      Die Sonne brannte heiß und der Weg bis zu den Felsen im Westen war weit. An einem kleinen Haus, ganz in der Nähe der Klippen, machte die Prozession Halt und der Sarkophag wurde aufrecht, mit dem Gesicht nach Süden auf einen aufgeschütteten Sandhügel gestellt. Die Priester nahmen die rituellen Reinigungszeremonien mit Wasser, Natron und Weihrauch vor, begutachteten den Sarg und erklärten ihn für vollkommen. Gerade berührte der Sem-Priester den Mund der Mumienmaske mit seinem kleinen Finger, als Ani hörte, wie in dem kleinen Haus nebenan offenbar ein Stier getötet wurde. „Ein Geschenk des Guten Gottes“, meinte der Priester ehrfurchtsvoll, nachdem er Anis fragenden Blick gesehen hatte. Statt irgendwelcher Artefakte, die sie üblicherweise ersetzen würden, wurden tatsächlich das Herz und der rechte Hinterlauf eines Stieres gebracht und vor dem Sarg niedergelegt. Schließlich wurden Ani der Dechsel sowie der Peseschkaf überreicht, damit er damit symbolisch Mund, Augen und Ohren seines Vaters öffnete. Anschließend wurde der Sarkophag mit dem Duft der Räuchergefäße gereinigt, in denen man Weihrauch, Myrrhe und Bernstein verbrannte, und in die nahe gelegene Grabkammer gebracht. Dort fand die rituelle Speisung der Mumie statt sowie die Anrufung der Götter, die den Verstorbenen auf seiner letzten Reise Schutz und Wohlwollen gewähren sollten. Nachdem die Grabkammer verschlossen worden war und die Priester, Träger und Diener sich schon auf den Rückweg begeben hatten, überkam Ani das unbarmherzige Gefühl des Verlorenseins. Ganz alleine setzte er sich nieder und nahm den Totenschmaus ein, an dem sich üblicherweise die Hinterbliebenen des Toten beteiligten. Nun, außer ihm gab es niemanden mehr, der seinem Vater diese Ehre hätte erweisen können. Ani würgte an den Bissen, die er kaum herunterbrachte, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen.

      Im nächsten Augenblick fühlte er sich beobachtet und meinte, irgendwelche Gaffer in seinem Rücken zu spüren. Er drehte sich um und sah drei Personen hinter sich stehen. Es waren Amenhotep, Nofretete und Thutmosis, die jeder einen Strauß frisch gepflückter Blumen in Händen hielten. Amenhotep Kornblumen, Nofretete roten Mohn und Thutmosis Margeriten. Ani sprang auf und warf sich zu Boden. Nie hatte er ein wertvolleres Geschenk erhalten als die Anteilnahme dieser Menschen. „Wir sind mit dir“, sagte Amenhotep und legte seine Blumen am Grab ab, was Thutmosis und Nofretete ihm gleich taten. Zu viert saßen sie schließlich im Wüstensand und nahmen gemeinsam das Totenmahl für Imenhotep ein, den Pachtbauern und Vater des Freundes des Gottessohns.

      Nachdem sie gespeist und anschließend alle Reste im Sand vergraben hatten, war Ani bereit, sich auf den Rückweg zu machen. Die Freunde waren mit zwei Streitwagen gekommen, die sie unbemerkt hinter dem Schlachthaus abgestellt hatten. Natürlich hatte Ani diese pfeilschnellen Gefährte schon oft gesehen und immer ihre elegante Beweglichkeit bestaunt. Gefahren war er allerdings noch nie damit, brauchte es doch einiges an Übung und Erfahrung, um mit diesen schwer zu lenkenden Fahrzeugen umgehen zu können. So manches Mal hatte er Amenhotep gebeten, ihm den Umgang damit beizubringen, erzählte man sich doch, dass er einer der besten Streitwagenlenker des ganzen Reiches war. Doch der hatte wenig Lust, seine beschränkte Zeit, die er auf einem solchen Gefährt verbringen konnte, mit einem unbeholfenen Schüler zu vergeuden. Streitwagenfahren, dass wusste Ani inzwischen, war eine der Lieblingsbeschäftigungen Amenhoteps.

      So zuvorkommend wie selten war Thutmosis seiner Braut Nofretete behilflich, als sie seinen Streitwagen bestieg. Ihr Kopf glühte vor Aufregung und Vorfreude. Ein wenig unsicher bat sie ihren Bräutigam, ob er ihr auf der Rückfahrt vielleicht nicht doch die Zügel überlassen würde. Thutmosis überlegte kurz und trat ihr schließlich die Führung ab. „Jetzt“, meinte Amenhotep als Ani zu ihm auf den Wagen geklettert kam, „jetzt mach dich auf was gefasst!“ Und schon zogen die Pferde an ‑ Ani schaffte es kaum, sich festzuhalten ‑ und gingen schnell in einen rasenden Galopp über. Quer durch die Wüste, über Stock und Stein, fuhren sie in Richtung Malqata zurück. Ani fürchtete, ihm könne der Atem wegbleiben, so stark war der Fahrtwind. Doch wider Erwarten gelang es ihm, weiter zu atmen, ja, sogar zu lachen und zu schreien. Krampfhaft hielt er sich an der Brüstung fest und schrie seine Ekstase in den Fahrtwind. „Hurr-ho, hurr-ho!“ Amenhotep lachte, wie Ani ihn schon lange nicht mehr hatte