Wieland Barthelmess

ECHNATON


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entließ ihn, nicht ohne Ani daran zu erinnern, dass er unbedingt auf seine Gegenwart zählte, sobald die Gäste eingelassen würden.

      Der ganze Palast war prächtig herausgeputzt worden. Nirgendwo mehr gab es an den Wänden Stellen mit abblätternder Farbe oder jene kleinen Schmuddelecken, die während des Alltagsbetriebes schon einmal entstehen konnten. Alles war blitzsauber und sah aus wie neu. Standarten flatterten im Wind und überall hingen Blumengirlanden von den Brüstungen. Ein beeindruckendes Spalier Bewaffneter wies den ankommenden Gästen den Weg, bestand es doch aus den kräftigsten und schönsten Soldaten des Reiches, die Pharao sich nicht hatte nehmen lassen, persönlich auszusuchen. Frisch gebadet und eingekleidet, dufteten die Krieger wie Gott Month selbst und bezeugten, dass Macht und Schönheit überall am königlichen Hof anzutreffen waren. Der ansonsten so aufgeräumte Rechmire rannte mit hochrotem Kopf von einer Ecke in die andere und gab letzte Anweisungen. Als er Ani sah, winkte er ihn herbei. „Ich werde gleich jeden der Gäste mit Namen und Titel willkommen heißen. Wenn du in meiner Nähe bleibst, wirst du sie gleich zuordnen können. Sie müssen sich vorerst alle im Innenhof versammeln, bis sie schließlich in den Audienzsaal geführt werden. Eine hervorragende Gelegenheit“, zwinkerte Rechmire, „um sie schon ein wenig näher kennen zu lernen. Die Aufregung wird groß sein und das Geplapper lebhaft. Und du wirst schnell erkennen, wer voller Freude hier erscheint und wer voller Angst.“ Der aufbrandende Jubel vor den Toren des Palastes zeigte es deutlich: „Sie kommen!“

      Ra-messe war der erste der Fürsten, die Rechmire in aller Ausführlichkeit begrüßte, damit auch ja keiner ihrer Titel und Ehrenbezeichnungen ausgelassen wurde. Die rundliche Gattin des Gaufürsten hatte ein rotes, einfältiges Gesicht und murmelte irgendetwas vor sich hin, als sie das Spalier der Soldaten abschritt. Kaum wagte sie, ihre Augen zu heben. Wollte sie es doch wohl unbedingt vermeiden, mit einem möglicherweise als Ausdruck des Verlangens missverstandenen Blick auf die Körper der Krieger ertappt zu werden. Ihre sechs Töchter hingegen zierten sich weniger und tuschelten und kicherten, ja, sie machten einander sogar auf besonders bemerkenswerte Soldaten aufmerksam und diskutierten ungeniert deren körperliche Vorzüge.

      „Minemhat, der Fürst von Achmim, Gottesfreund sowie Bruder der Gottesmutter, Onkel der Großen königlichen Gemahlin Teje“, kündigte Rechmire die nächsten Besucher an. Ani meinte sogleich die Ähnlichkeit mit Mutemwia erkennen zu können. Dieselben Falten, die von der Nasenwurzel aus über die Wangen liefen und dasselbe spitze Kinn, die auch Tejes Gesicht prägten. Minemhats Frau war eine überaus elegante Dame, die trotz ihres hohen Alters eine makellose Schönheit war. Die zahllosen Falten und Fältchen in ihrem Gesicht trug sie wie Auszeichnungen, die sie sich mit jedem Lachen und jeder Träne ihres Lebens stolz erkämpft hatte. Sie wurde ungeniert begafft, während ein Raunen durch die Menge ging, als sie beim Abschreiten des Spaliers einem jeden der Soldaten liebenswürdig ins Gesicht lächelte. In ihrem Gefolge waren die drei Söhne, alle schon längst erwachsen und verheiratet, die mit ihren Frauen und Kindern erschienen. Schließlich folgten noch ihre sechs Töchter, von denen vier ebenfalls mit Ehemännern und Kindern gekommen waren. Die beiden anderen Töchter, so wusste Ani aus den Dossiers, waren nicht verheiratet. Eine war Erste Sängerin des Gottes Min, während die andere ihren Eltern wohl schon viel Kummer bereitet hatte. Es musste jene ausnehmend schöne junge Frau sein, überlegte Ani, die mit sichtlichem Vergnügen das Spalier der Soldaten abschritt und deren prachtvolle Körper einen nach dem anderen wohlwollend in Augenschein nahm. Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten und doch meinte Ani, eine noch größere Ähnlichkeit mit Nofretete erkannt zu haben. Allein die Gruppe der Verwandten aus Achmim mit Kindern und Kindeskindern zählte jedenfalls schon 37 Häupter. Eine fruchtbare Sippe offenbar, meinte Ani.

      Fast fürchtete er schon, dass der Abend darüber zu Ende gehen könne, bis denn alle Gaufürsten mit ihren vielköpfigen Familien das Spalier abgelaufen hätten. Im Innenhof herrschte inzwischen lautes Geschnatter, Gelächter und Geplauder. Kannte man sich doch untereinander und hatte sich in den meisten Fällen seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Es gab also genug zu erzählen und ebenfalls genügend neue Ehemänner, Ehefrauen und Kinder vorzustellen, die zum ersten Mal an Pharaos Hof geladen waren.

      Endlich wurde der letzte der Gaufürsten angekündigt. „Hor-wer, der Statthalter des 18. oberägyptischen Falkengaus…“, deklamierte Rechmire mit einer Stimme, der man die Beanspruchung mittlerweile deutlich anhörte. Anis Aufmerksamkeit war jedoch von ganz anderen Dingen gefangen, denn die Titel Hor-wers kannte er längst aus den Dossiers. Ebenso wie diverse andere Details. Schon während der Lektüre hatte diese Familie bei Ani eine gewisse Aufmerksamkeit erregt. Jetzt aber, als er sie hereinmarschieren sah, war ihm klar, dass sie anders waren als die anderen Familien. Legte man ansonsten erkennbar Wert darauf, seine in der Gunst Pharaos begründete Wohlhabenheit auch vorzuzeigen, so schien diese Familie nur wenig Interesse daran zu haben. Nicht, dass sie nachlässig gekleidet oder gar ungepflegt ausgesehen hätten. Sie waren einfach nur schlicht. Hor-wer sah aus wie einer der geduldigen Lehrer in der Palastschule, die Ani das Schreiben beigebracht hatten und seine Frau erinnerte ihn an Amenhoteps Amme Subira. Sie lächelte die im Spalier stehenden Soldaten voller Mitgefühl an, so dass Ani sich fragte, ob sie denn wusste, weswegen die nahezu nackten Männer überhaupt dort standen. Denn eigentlich waren sie als Geschenk Pharaos für die Augen der Damen gedacht und nicht für deren mütterliches Herz. „Damit sie sich endlich einmal so richtig satt sehen können“, hatte Pharao spitzbübisch gelacht, „und sie endlich erkennen, welch mickrigen Kerle sie als Ehemänner haben.“ Hinter Hor-wer und seiner Gattin ging ihr einziger Sohn, der sich bereits in der Streitwagentruppe einen klangvollen Namen gemacht hatte. „Begabt – fördern“, hatte Pharao eigenhändig ins Dossier geschrieben. Sein Name war Haremhab und Ani wusste genau, warum er verlegen zu Boden schaute, als er die Reihe der Soldaten abschritt.

      Der Innenhof glich inzwischen einem Marktplatz, so angeregt erzählte man sich einander die neuesten Neuigkeiten. Man lobte die frische Gesichtsfarbe des Gegenübers, beglückwünschte einander dafür, dass man Jahr um Jahr jünger zu werden schien oder tauschte einfach nur spitze Boshaftigkeiten aus. Einige selbstbewusste Damen ergötzten sich an den Rückseiten der strammen Soldaten und achteten tunlichst darauf, dass diese ihre Kommentare auch hören konnten. Inzwischen taten die armen Recken auch Ani leid. Mussten sie doch bewegungslos dastehen, während ihre Körper ‑ jedenfalls bei einigen von ihnen – aufgrund der sinnlichen Eindrücke unwillkürlich Regung zeigten. Nachdem Ani eine Weile dem Treiben zugesehen und vor allem zugelauscht hatte, drückte er sich durch einen kleinen Nebeneingang für Diener, der ihn schließlich in den Flur zum Audienzsaal führte. Pharao und seine Familie saßen schon auf ihren Thronen und Ani sah zu, dass er ohne Aufsehen zu erregen, sich schleunigst hinter Amenhotep aufstellte. „Und wie ist die Stimmung der Bestien?“, fragte der gut gelaunt. „Bestens“, erwiderte Ani, „sie haben die ersten Leckerbissen schon verdaut und haben Appetit auf mehr.“

      „Na, dann sollten wir ihnen doch bieten, was sie wollen!“, rief Pharao und lachte. „Öffnet die Pforten!“

      Fanfaren begannen loszuschmetterten, so dass Ani vor Schreck zusammenzuckte. Dutzende von Priestern erschienen, um die Luft mit Weihrauch zu reinigen und die goldglänzenden Herrscher hinter Schwaden von Wohlgeruch verschwinden zu lassen. Schließlich wurden die Pforten weit geöffnet. Augenblicklich warfen sich alle im Innenhof zu Boden. Jetzt verstand Ani, warum Teje höchstpersönlich die Sauberkeit der Fliesen dort überprüft hatte. Langsam zog der Rauch aus dem Audienzsaal und die Fanfaren verstummten.

      „Ich grüße meine Getreuen“, hob Pharao an und hieß ihnen aufzustehen. In unendlich langen Sätzen mit Hunderten von Titeln und Ehrbezeugungen, Verwandtschaftsbenennungen und Auszeichnungen verkündete Pharao nichts weiter, als dass er sie allesamt begrüße. Aber wenigstens, so meinte Ani und musste grinsen, wurde mit jener Titelflut jedermann sogleich darüber informiert, in welcher Höhe der Gunst Pharaos er gerade stand. Zusätzliche Nennungen kluger Kanalprojekte oder generöser Zuwendungen zeigten eine höhere Gunst an als die schlichte Nennung des Namens und der wichtigsten Titel. Ani sah, wie Ra-messe, der Gaufürst des 13. unterägypischen Gaus, weiß um die Nase wurde als ihm derartiges widerfuhr. Seine Gemahlin, es war seine zweite Frau wie Ani wusste, erbleichte ebenfalls. Wie hatte sie nicht vorhin auf die anderen Damen herabgesehen, schien sie sich ihnen doch aufgrund ihres gottgefälligen Lebens weit überlegen zu sein. Mehr