Wieland Barthelmess

ECHNATON


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anregen würde. Allerdings sah auch er, dass der ägyptische Götterglaube viel zu unübersichtlich und zu wenig nachvollziehbar für Fremde war, als dass sie sich ihm anschließen könnten. „Man müsste mal tüchtig aufräumen mit dem Wust an Göttern und Dämonen“, äußerte sich Amenhotep freimütig und schaute Haremhab dabei forschend ins Gesicht. Doch der zuckte nur mit den Schultern. „Davon weiß ich nichts“, sagte Haremhab unverblümt. „Ich bin Soldat und sehe nur die Gefahren, denen ein schwaches Ägypten von außen ausgesetzt ist.“ Amenhotep schien äußerst zufrieden mit der Antwort zu sein und wünschte Haremhab noch einen netten Abend.

      „Ein Militär durch und durch“, flüsterte Amenhotep Ani ins Ohr. „Innen- und Religionspolitik dürften ihn also kaum interessieren. Er wird meinem Vater und später auch meinem Bruder ein treuer Vasall sein.“

      „Er ist beseelt davon, der Größe Ägyptens zu dienen“, bestätigte Ani. „Und Loyalität gegenüber seinem Pharao ist für ihn selbstverständlich. Jedenfalls gibt es keinerlei anders lautende Einträge in seiner Akte. Lediglich zu seinem Privatleben…“

      „Spielt er? Das machen schließlich alle Soldaten“, meinte Amenhotep nachsichtig. „Oder trinkt er etwa?“

      „Nein, nein“, schüttelte Ani den Kopf. „Nichts dergleichen ist bekannt. Aber…“, Ani zögerte, „er liebt seine Soldaten.“

      „Ach so …“, Amenhotep verstand. „Er ist doch hoffentlich diskret? Die Amun-Priester würden es sogleich wieder als Zeichen höfischer Dekadenz ausschlachten.“

      „Vollkommen!“ Ani nickte eifrig. „Es sind sowieso nur Vermutungen. Wenn auch begründete.“

      „Na dann …“, Amenhotep winkte ab. „Solche Vermutungen werden ständig über irgendjemanden geäußert. Solange er diskret ist, mag er machen was er will. Und sollte er eines Tages tatsächlich Vorsteher der Pferde werden, dann verheiraten wir ihn einfach an irgendeine der schmucken Damen hier.“ Amenhotep sah sich belustigt um, bis sein Blick auf Mutnedjmet fiel, die sich gerade, umringt von staunenden Halbwüchsigen, mit ihrem Pygmäen hervortat. Wieder und wieder schlug sie ihm auf den Kopf und rief: „Tanz schneller, du Zwerg, schneller!“

      „Von mir aus gerne auch mit der mir zugedachten Dame.“ Amenhotep deutete mit dem Kopf nach Mutnedjmet und lachte anzüglich. „Die würde dem armen Haremhab Beine machen, wie ihrem Zwerg.“

      „Mit Verlaub, mein Herr…“ Ani deutete unwillkürlich eine Verbeugung an. „Haremhab ist kein Zwerg.“

      Amenhotep schaute verdutzt. Dann nickte er. „Da hast du allerdings recht“ und zog Ani am Arm fort. Denn inzwischen stand Rechmire neben Pharao auf dem Podest und schlug seinen Zeremonienstab mit aller Kraft auf den Boden, so dass sich manche der Gäste regelrecht erschraken.

      „Der Gute Gott, Neb-maat-re, der Herrscher von Ober- und Unterägypten, Bezwinger der Fremdländer …“ Endlos schienen die Aufzählungen Rechmires. Ani war klar, dass es eine hochoffizielle Verlautbarung werden würde, wenn derart ausführlich sämtliche Titel genannt wurden.

      „…dass Thutmosis, der Sohn und Thronfolger des Guten Gottes…“

      Ani konnte sehen, wie sich Thutmosis am Eingang zum Audienzsaal in Stellung brachte.

      „…seine zukünftige Gemahlin willkommen heißt.“ Ein Raunen ging durch die Menge. Für viele war damit der lang gehegte Traum von der bestmöglichen Partie endgültig vorüber. Rechmire machte eine ausgiebige Pause. So lang, dass selbst Pharao unruhig auf seinem Thron hin- und herrutschte. „Die Schöne ist gekommen. Nofretete, Tochter des Vorstehers der Pferde Eje, Nichte der Großen königlichen Gemahlin Teje…“

      Dieses Mal war es nicht nur ein Raunen, das die Luft erfüllte. Es war ein Erquicken der Launen, ein Seufzen und Staunen! Bewunderung drückte sich in Worten, Gesten und verzückten Reimen aus, die einander zu übertreffen suchten. Doch selbst Ani war sprachlos als er Nofretete sah. Gewiss war sie für ihn eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Aber sie war ihm auch Kameradin, ja, fast Freundin. Ani lächelte. Musste er doch an seine frühere kleine Freundin Sahirah denken, die Tochter des Töpfers, die es immer vermieden hatte, ihn einen Freund zu nennen. Ob er für Nofretete ein Freund war, wagte er sich jetzt, wo er sie neben Pharao stehen sah, jedoch nicht mehr zu fragen.

      Sie war die ebenmäßigste Schönheit, die jemals die Welt erfreut hatte. Nicht übermäßig groß, doch ihre schlanke, ein wenig in die Höhe strebende Figur, ließ sie wie eine Göttin erscheinen. Fast meinte Ani, ihm sei eine ganz andere Nofretete erschienen, als jene, die er kannte und die ihm vor wenigen Tagen erst, über und über mit Staub bedeckt, versprochen hatte, dass sie ihm das Führen eines Streitwagens beibringen würde. Nun trat sie aus dem Dunkel des Palastes ins Licht, hell und strahlend wie ein neuer Stern.

      Nofretete war ganz in weiß gekleidet. Ihr eng anliegendes Gewand, war aus allerfeinstem königlichem Leinen, so delikat und durchsichtig, dass es einem Hauch glich. Vom Halsausschnitt, den ein üppiger Blumenkragen aus Fayenceperlen schmückte, bis hinunter zu den Füßen war ihr Kleid in Hunderte von feinsten langen Falten gelegt, die ihre aufragende Schlankheit zusätzlich betonten. Ihre Kalasiris wurde an der Taille nicht von einem Gürtel gehalten, sondern war dort, den Formen ihres Körpers eng anliegend folgend, mit einigen wenigen Stichen zusammengeheftet. Nofretete war buchstäblich in ihr Kleid eingenäht worden. Eine schlichte schwarze Perücke und ein zierliches goldenes Diadem bedeckten ihr Haupt, das sie stolz in den Nacken legte und so ihren schönen, langen Hals zur Wirkung kommen ließ. Kaum älter als siebzehn, ertrug sie es ohne auch nur eine Spur von Unsicherheit zu zeigen, dass Hunderte von Augenpaaren sie anstarrten. Sie wusste, dass es ihre Aufgabe war, eine Göttin darzustellen, ja, eine Göttin zu sein. Als sie die wenigen Stufen des Podestes herab geschritten war, sich also gleichsam von dem Ort, der den Göttern vorbehalten war, in die Sphäre der Sterblichen hinab begeben hatte, wich man vor Ehrfurcht zurück und murmelte beifällige Worte. Sie durchschritt den Audienzsaal, während Thutmosis dasselbe tat und ihr entgegen kam. In der Mitte des Saales trafen sie sich. Thutmosis ergriff ihre Hand und führte sie unter dem Beifall aller wieder zurück auf das Podest, zu den Göttern. Jedermann war klar, dass Ägypten zukünftig abermals von einer Göttin regiert werden würde. Selbst in Tejes Gesicht meinte Ani bewundernde Anerkennung für ihre Nichte und zukünftige Schwiegertochter lesen zu können. Wenngleich ihr sicherlich durchaus bewusst sein musste, dass es ihr Platz war, den Nofretete einst einnehmen würde.

      Der Abend war ein grandioser Erfolg, hatte man sich doch vom ungebrochenen Glanz und der Stärke der königlichen Familie überzeugen können, die eine sichere Zukunft ermöglichen würde. Man schwatzte über die zu Gehör gebrachten neuen Lieder, lobte die herrlichen Speisen, kicherte über das klebrige Harz aus Khiosi und kommentierte wohlwollend bis spitzzüngig Kleidung und Schmuck der anderen Damen.

      Es war weit nach Mitternacht, als sich Pharao erhob, um sich in Begleitung seiner Großen königlichen Gemahlin zur Ruhe zu begeben. Anschließend dankte Rechmire den Großen des Reiches für ihre Anwesenheit und wünschte ihnen einen glücklichen Heimweg. Amenhotep und Ani nutzten die Gelegenheit, um noch einmal alle Gäste des Abends an sich vorbei paradieren zu lassen. Sie hatten sich in eine Nische in der Nähe des Eingangs zum Innenhof gestellt, gleich neben dem Baderaum, in dem Ani vor Monaten seine rituelle Reinigung empfangen hatte. Es schien ihm inzwischen, als sei es Jahre her, seit er als Sohn eines einfachen Pachtbauern hier eingetroffen war. Wie hatte sich sein Leben doch verändert?!

      Als die letzte der Damen gegangen war – sie hatte noch erfolglos versucht, mit einem der Spalier stehenden Soldaten anzubändeln – und das große Tor zum Palast geschlossen wurde,

      war ein einstimmiges Seufzen der Erleichterung zu vernehmen. „So und jetzt“, sagte Amenhotep leise zu Ani und legte ihm die Hand auf die Schulter, „jetzt geht es noch zur Nachbesprechung auf die Terrasse.“

      Es war eine warme Spätsommernacht und die Sterne funkelten am wolkenlosen Himmel. Die ganze Familie saß bereits versammelt, als schließlich auch Amenhotep in Begleitung Anis auf der Terrasse Pharaos eintraf. Mutemwia ließ sich von ihrer Leibdienerin die