Wieland Barthelmess

ECHNATON


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Solch ein Fläschchen jedoch sollte ausreichen, um einer handvoll Menschen den ewigen Schlaf zu bescheren. Meri-ptah wird um die Wirkung wissen.“ Ani nickte nur stumm und nahm das Gefäß an sich.

      Schnell wurden die Sänften auf Pharaos Schiff Glanz des Aton platziert und schon legte es ab. Langsam klangen die dumpfen Paukenschläge zunächst, die den Ruderern unter Deck den Takt vorgaben. Doch je länger sie den Kanal zum Nil befuhren, desto schneller folgten die Schläge einander. Ani konnte sehen, wie Pharao fröstelte und vermutete, dass der Gute Gott von Fieber geplagt wurde. Er flüsterte Teje seine Beobachtung ins Ohr, die ihn nur erstaunt ansah. Schnell legte sie ihre Hand auf die des Gatten und nickte nur stumm. Sie ließ Rechmire kommen, damit er Pharao etwas von dem fiebersenkenden Saft aus Weidenrinde gebe, der von den Hängen des Libanon kam. Dankbar nahm Pharao einen Schluck und lehnte sich entspannt in seinem Thron zurück. „Ich preise den Tag, an dem Amenhotep dich zu uns brachte“, flüsterte Teje Ani zu und lächelte ihm herzlich ins Gesicht.

      Noch waren zu solch früher Stunde nur wenige Menschen unterwegs. Doch fielen sie einer wie der andere in den Staub, als Pharaos Barke an ihnen vorbeizog. Als sie das Einbalsamierungshaus passierte, musste Ani an seinen totgeschlagenen Vater denken. Fest schloss er seine Faust um den kühlen Flakon aus Alabaster. Hatte er doch zunächst damit gehadert, dass ausgerechnet er es sein müsse, der Meri-ptah die Aufforderung zur Selbsttötung bringen würde. Aber bei den Gedanken an seinen erschlagenen Vater kam Ani zu dem Schluss, dass es der Ratschluss des Guten Gottes war, der es ihm ermöglichte, den Tod seines Vaters solcherart zu vergelten. Er war froh und erleichtert, sich nicht als Mörder fühlen zu müssen.

      Kaum hatte der Glanz des Aton die Mitte des Nils erreicht, als die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berge des östlichen Gebirges sandte. Pharao erhob sich und breitete die Arme aus, so als sei er es, der die Sonne dazu veranlasste, aufzugehen. Ihr Licht spiegelte sich in der über und über vergoldeten Barke, so dass sie wie eine zweite Sonne mitten auf dem Nil strahlte. Unbeschreiblich war der Jubel, der ihnen von Waset aus entgegenkam. Erst jetzt hatte Ani bemerkt, dass das Ufer von Abertausenden von Menschen gesäumt war, die das Wunder der Auferstehung der von Pharao aus der Nacht zurückgerufenen Sonnenscheibe bejubelten.

      „Der Gute Gott,

      er möge leben eine Million mal eine Millionen Jahre.

      Er, der die Sonne erhebt

      aus Nacht und Dunkelheit.

      Er, der den Nil steigen lässt,

      damit fruchtbares Land ihn säume.

      Er, der die Maat bewahrt

      vor allem, was bös und unrein ist.

      Der Gute Gott,

      er möge leben eine Million mal eine Millionen Jahre.“

      Sie schrieen sich ihre Hoffnung auf ein gutes Leben von der Seele und waren voller Glückseligkeit, dass Pharao über sie wachte und bei den Göttern für sie sprach. Begab sich doch heute der Gute Gott aus himmlischen Welten höchstselbst dorthin, wo seine Untertanen ihr Dasein lebten. Er würde sie sehen, er würde sie hören und schließlich dieselbe Luft atmen wie sie. Er würde sich ihnen zeigen und sie würden sehen, dass er aus Fleisch und Blut war und ihnen so nah, wie keiner der Götter sonst. Der Jubel war unbeschreiblich.

      Als die Barke in Waset anlegte, fielen die Menschen zu Boden und priesen den Guten Gott. Schnell hatte die Prozession der Sänften den ersten Pylon des Amun-Tempels erreicht, wo Meri-ptah bereits mit banger Miene wartete. Hatte er doch sein Urteil zu gewärtigen und wusste, dass es kaum gnädig ausfallen konnte. Erst nachdem sie den vierten Pylon hinter sich gelassen hatten, entstieg die königliche Familie ihren Sänften. Konnten sie doch nun sicher sein, dass sie hinter dieser Stelle heiligen Boden betreten würden, der durch keines Sterblichen Fuß je verunreinigt worden war. Wortlos folgte Pharao an der Seite von Meri-ptah der verschleierten Sänftenbarke des Amun, die bereitgestanden hatte, damit der Gute Gott sie zurück ins Allerheiligste begleitete.

      Es schien Ani eine Ewigkeit zu dauern, bis sich endlich etwas hinter dem Vorhang regte, der das Allerheiligste vom Tempelraum abtrennte. Pharao kam heraus und sodann Meri-ptah. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren bestieg Pharao die Sänfte und machte sich auf den Rückweg zum Hafen, gefolgt von seiner Familie. Nur Ani blieb zurück und sah Meri-ptah schweigend an.

      „So bist du also der Todesbote, Bauernbub“, rief Meri-ptah zu ihm hinüber.

      Ani trat näher. „Du kennst mich?“

      „Derart wundersame Erhebungen binnen solch kurzer Zeit rufen immer ein gewisses Interesse hervor“, lachte Meri-ptah gequält. „Man spricht über dich bei Hofe – und auch außerhalb. Doch berichte mir: Was hat Pharao dir aufgetragen, dass du mir sagen sollst?“

      „Der Tod ist dir sicher“, sagte Ani mit tonloser Stimme. „Doch du entscheidest, ob du ohne deinen Kopf in der westlichen Wüste verscharrt werden wirst oder ehrenvoll in der Erinnerung der Menschen weiterleben möchtest. Deine Titel, dein Besitz und deine Ruhestätte würden nicht angetastet und du könntest Osiris sowie Maat wohlgerüstet mit all deinen Grabbeigaben in die Augen sehen.“

      „Wie ich Pharao kenne, wird er mir behilflich sein, ohne Aufsehen und Blutvergießen zu sterben.“

      Wortlos reichte ihm Ani das Flakon aus Alabaster. Meri-ptah öffnete es vorsichtig und roch daran. „Oh, wie edelmütig. Mandragora-Saft. Ein sanfter, ein schmerzloser Tod.“ Meri-ptah verschloss den Flakon sorgfältig und wandte sich zum Gehen. Kurz drehte er sich ein letztes Mal um. „Wünsch mir Glück dabei, Bauernbub.“ Und schon war er verschwunden.

      Als Ani am Hafen anlangte, war der Glanz des Aton längst schon wieder auf dem Rückweg. Er erschrak, als er die goldene Barke schon weit auf dem Nil sah. Doch zwei Bewaffnete traten sogleich zu ihm und verbeugten sich. „Folge uns, Wedelträger zur Rechten des Königs.“ Auf einem kleineren Handelsschiff, das ein Stück flussabwärts ankerte und das ihm seltsam bekannt vorkam, sah Ani wie Amenhotep auf ihn wartete. Neben ihm stand Arhonuphis, der Schiffsführer, eben jener riesige Nubier, der mit ihm seinerzeit die Mumie seines Vaters abgeholt hatte. Schweigend ging Ani an Bord und fast ohne jeden Laut legte das Schiff ab und segelte über den Nil. Die Sonne begann schon zu sinken und liebkoste die Welt mit ihrem wärmsten Licht. Ani stellte sich vor, wie Meri-ptah in seinem hübschen, aber bescheidenen Heim sich neben seine Gattin auf das Bett legte. Denn ohne ihren Mann, das wusste Ani aus den Dossiers, würde sie nicht weiterleben wollen. Sie würde bis zum Ende bei ihm bleiben. Sanft würde der Abendwind mit den durchsichtigen Vorhängen zum Garten spielen, während die Sonne ihre milden Strahlen schickte. Meri-ptah und seine Frau würden den Inhalt des Alabasterfläschchens teilen und sich ein letztes Mal küssen. Als hätte er Anis Gedanken erraten, sagte Amenhotep plötzlich: „Die Politik ist leider so. Sie lässt uns manchmal keine andere Wahl, als grausam zu sein.“

      Am nächsten Morgen kam der Bote nach Malqata, der berichtete, dass Meri-ptah und seine Gattin eines überraschenden Todes gestorben seien. Man habe sie friedlich entschlummert nebeneinander in ihrem Bett gefunden. Zufrieden lächelnd, als ob sie sich freuten, zu einer letzten schönen Reise gemeinsam aufgebrochen zu sein. Pharao ließ sich nicht lumpen und bestellte zwei Dutzend Klageweiber.

      Nun war Anen der Oberste Priester des Amun. Ani hatte den älteren Bruder von Teje und Eje nur ein einziges Mal gesehen. Sein Dossier kannte er dafür umso besser. Er war ein durchgeistigter Schwärmer, der irgendwann einmal begonnen hatte, seine Priesterschaft tatsächlich ernst zu nehmen. Amun musste es so gewollt haben, wenn er denn nun dessen Hohepriester wurde, hatte Ani ihn einmal sagen hören. Er konnte in Pharaos Gesicht förmlich die Sorge ablesen, ob Anen sich auch dann seiner Herkunft erinnern würde, wenn er Entscheidungen zu treffen hätte, die ebenfalls die weltliche Macht des Königs betrafen. Ani fürchtete, dass dieses verantwortungsvolle Amt Anen noch einiges an Problemen bereiten würde.

      Doch die beiden nun folgenden Tage waren angefüllt mit ganz anderen Gedanken und Überlegungen. In drei Tagen würde Ani mit Amenhotep den „Glanz des Aton“ besteigen und nilabwärts nach Achmim fahren; während Pharao und Thutmosis nach Men-nefer weiterreisten, um anlässlich der Beisetzung