Wieland Barthelmess

ECHNATON


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Ägyptens erneuern und vielleicht sogar die Kraft haben, eines Tages die nicht minder sklerotisch gewordene Religion zu reformieren. Es war weit nach Mitternacht, als Amenhotep und Ani sich auf der Terrasse Pharaos einfanden.

      Teje saß neben ihrem Mann und hielt besänftigend seine Hand. Noch nie hatte Ani den Guten Gott derart erregt gesehen. Sein hochroter Kopf schien noch größer geworden zu sein und seine sonst so gütigen Augen blickten starr und böse vor sich hin. „Meri-ptah wird seine Insubordination büßen“, sagte er immer wieder. „Ich will seinen Kopf! Seinen Kopf soll man mir bringen!“

      „Geliebter“, versuchte Teje ihn zu beruhigen. „mach ihn nicht zum Märtyrer für seine Anhänger. Meri-ptah könnte uns tot noch gefährlicher werden als lebendig.“

      „Mach ihn einen Kopf kürzer!“, schrie Thutmosis, wie immer um eine wenig versöhnliche Lösung bemüht. „Dieses Schwein hat nichts anderes verdient!“

      Pharao sah zu Mutemwia, seiner Mutter, deren Ratschläge ihn besonders am Anfang seiner Regierung so oft aus manch aussichtslos erscheinenden Situationen gerettet hatten. „Es muss ein Exempel statuiert werden, das ist eindeutig“, überlegte sie. „Aber ich stimme andererseits auch Teje zu: Ein geköpfter Meri-ptah wird zur Gefahr für uns alle. Man wird dir sofort vorwerfen, du hättest ihn hinrichten lassen, damit dein Schwager Anen endlich als Oberpriester nachrücken kann. Wir sollten mit Schläue und Vorsicht vorgehen.“

      Auch Eje stimmte Mutemwia zu. „Dennoch ist es an der Zeit, dass wir Meri-ptah loswerden. Welche Unverfrorenheit wird er sich als nächstes herausnehmen? Das Volk aufwiegeln? Er wird es auf einen Machtkampf zwischen der weltlichen und der religiösen Macht ankommen lassen. Und da er als Oberpriester für das Jenseits zuständig ist, du als Pharao aber vor allem für das Diesseits, wird er diesen Kampf auf lange Sicht gewinnen. Denn zu groß ist die Furcht unserer Ägypter vor der Wägung des Herzens, die darüber entscheidet, ob sie im Jenseits fortleben dürfen oder der ewigen Verdammnis anheim fallen.“

      Lange schaute Pharao stumm vor sich hin und blickte dann Amenhotep ins Gesicht. „Was meinst du, mein Sohn.“

      „Vielleicht sollte Ani uns erzählen, was alles sich in Meri-ptahs Dossier findet.“ Amenhotep zog Ani neben sich und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

      „Nun …“, fing Ani zunächst zögerlich an zu berichten. „Meri-ptah scheint bis auf seine grenzenlose Gier nach Einfluss, Macht und Reichtum ein unbescholtener Mann zu sein. Vielleicht ist er ein wenig zu freizügig, was sein Geschlechtsleben betrifft. Es gibt allerdings ein paar Vermutungen, wonach er sich auch schon einmal bestechen ließ, endgültig nachweisbar ist aber nichts davon. Dazu ist er entweder zu geschickt vorgegangen oder aber tatsächlich unschuldig. Von Interesse könnte hingegen sein, dass er fast sein gesamtes Vermögen in die Ausgestaltung seines Grabes steckt. Er lebt mit seiner Gemahlin recht bescheiden in einem nicht allzu großen Anwesen. Das einzig Erwähnenswerte schien den Berichterstattern jedoch der aufwendig angelegte Garten zu sein. Es ist wohl ein Herzenswunsch, den er seiner Frau…“

      „Hör auf mit den Geschichten!“, Amenhotep hatte ihn unsanft angestoßen. „Sag uns, wie wir ihn packen können!“

      „Also …“, stammelte Ani, der auf einmal sehr gut nachempfinden konnte wie sich Mutnedjmets Zwerg fühlen musste, „Meri-ptah ist vollkommen auf das Jenseits fixiert, was in seinem vorgerückten Alter allerdings auch kein Wunder ist.“ Ani senkte unwillkürlich seine Stimme. „Dennoch sollte man davon ausgehen, dass eine Hinrichtung und Aberkennung aller Ehrentitel das Schlimmste sein dürfte, das ihm widerfahren kann. Insbesondere da man ihn dann namen- und ehrlos in der Wüste verscharren würde und sein fast fertig gestelltes, reich ausgeschmücktes Grab jemand anderem zufallen würde.“

      „Also doch Kopf ab!“, rief Pharao eifrig.

      „Er hätte es nach dem Gesetz zweifellos verdient“, pflichtete Ani ihm bei. „Doch die Großen königlichen Gemahlinnen Mutemwia und Teje sehen zu Recht die Gefahr, dass er dadurch für seine Anhänger zum Märtyrer werden könnte, der für seinen Gott Amun das Leben lassen musste.“ Wie ein Verschwörer flüsterte Ani mehr als dass er sprach. „Da die Ausgestaltung seines Hauses für die Ewigkeit das Wichtigste für ihn zu sein scheint, sollte man versuchen, ihn hierüber zu fangen. Man könnte ihn vor die Wahl stellen, hingerichtet und verscharrt zu werden, so dass er den großen, endgültigen Tod sterben würde oder aber…“, Ani zögerte, „…man könnte ihm mitteilen, dass er Titel und Grab behalten könnte, wenn er denn seinem Leben eigenhändig ein Ende setzte.“

      „Was für ein durchtriebener königlicher Schreiber der Freund des Gottessohnes doch ist“, staunte Pharao anerkennend, während alle anderen beifällig nickten. „Nun gut! Du wirst morgen mit mir nach Waset übersetzen, Ani, wo ich die letzten Riten an Amun verrichten werde, bevor er wieder für ein weiteres Jahr im Allerheiligsten seines Tempels verschwindet. Du wirst Meri-ptah unser Angebot unterbreiten: Tod und Verdammnis oder aber Tod und ein geehrtes Leben im Jenseits. Keiner seiner erworbenen Titel soll entfernt oder widerrufen werden. Es wäre allerdings von großer Bedeutung, wenn er sich noch vor der Verkündung meines Urteils über seinen Fall entschließen könnte, aus dem Leben zu scheiden. Denn der Adel erwartet schließlich ein Urteil von mir. Alles andere wäre für sie ein Zeichen von Schwäche. Wäre er allerdings schon tot, bevor ich das Urteil verkünde, würde ich in Anbetracht seiner lebenslangen Verdienste um das Reich, den Fall für erledigt erklären.“ Und an Rechmire gewandt fuhr Pharao fort. „Ernennen wir den königlichen Schreiber und Freund des Gottessohnes Ani zum Wedelträger zur Rechten des Pharaos. Er ist uns eine große Hilfe und verdient unser Vertrauen.“ Dann richtete er sich an seine Familie. „Ihr seht. Es ist, wie ich immer schon sagte: Wichtiger als die Herkunft ist das Herz eines Menschen. Und sein Kopf!“ Pharao klatschte sich auf den schweißnassen, fast kahlen Schädel. „Ach, Kinder, ich sage euch“, versuchte Pharao zu einem ernsthafteren Ton zurückzufinden, „welche Talente werden vergeudet, nur weil sie nicht in den angemessenen Stand hineingeboren wurden. Seid also aufmerksam und seht genau hin. Und macht euch zunutze, was ihr als nützlich erkennt.“

      Als Ani zu später Stunde seine Gästewohnung betrat, hatte Merit-amun auf ihn gewartet. Sie warf sich vor ihm auf den Boden und küsste seine Füße. „Mein Herr, die Güte des Guten Gottes ist unermesslich. Macht er doch aus Bauernsöhnen Gottessöhne, so wie die Götter aus den Raupen in den Erdlöchern prächtige Schmetterlinge werden lassen. Es erfüllt mich mit Stolz, dir dienen zu dürfen.“

      Ani beugte sich zu Merit-amun hinunter und hieß sie aufstehen. „Pass nur auf, dass du nicht zur Motte wirst, mein hübscher Schmetterling, wenn du dir die Nächte wegen mir um die Ohren schlägst. Du solltest längst schon schlafen.“

      Der Morgen graute gerade, als Merit-amun Ani mit ihrer Feder kitzelte. „Der Gottessohn Amenhotep erwartet dich. Du sollst die königliche Familie nach Waset begleiten. Eil dich, sie brechen bald auf.“

      Schnell ließ sich Ani baden, rasieren und schminken. Als er schließlich in das allgemeine Wohngemach in Amenhoteps Wohnung hinüberging, erwartete der ihn bereits. „Du bist jetzt Teil der Familie, Ani“, sagte Amenhotep mit warmer Stimme. „Der Pharao lässt dich zu seiner Rechten stehen, damit du ihm jederzeit mit Rat und Tat dienen kannst. Nutze das Vertrauen, das er dir entgegenbringt. Denn es dürfte noch kaum je einen Bauernsohn gegeben haben, der zum Wedelträger seiner Majestät aufgestiegen ist. Du fliegst hoch, Ani. Sieh dich also vor, dass du nicht stürzt.“

      Es war ungewöhnlich kühl, als sich die kleine Karawane im Innenhof des Palastes in Bewegung setzte. Jeder aus der königlichen Familie hatte in der ihm zugewiesenen Sänfte Platz genommen. Vorneweg Pharao, der müde und grau im vollen Ornat auf seinem Thronsessel saß, gefolgt von Mutemwia und Teje, schließlich Thutmosis und Nofretete. Ani wusste zunächst nicht recht, wo er sich einordnen sollte. Doch Amenhotep gab ihm einen Wink, dass er sich rechts hinter Pharao stellen solle. „Ach, der kleine Bauernbub“, sagte der unerwartet freundlich als er Ani bemerkte. „Mich plagen heute mal wieder meine Zähne, es ist fürchterlich. Und kalt ist es außerdem … Rechmire hat etwas für dich. Geh es dir holen.“

      Es war ein kleiner