Juliett L. Carpenter

Die Wächter der Insel


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das zu machen, was er erfahren hatte.

      Suzanne war feingliedrig und blond. Sie war deutlich jünger als John, Robin schätzte sie auf Ende Dreißig. Die Jahre hatten ihr nicht zu schlimm mitgespielt, sie war noch immer schlank und vollbusig, und ihr ebenmässiges Gesicht war beinahe klassisch schön.

      Während sich John schon fast von der Überraschung über den unerwarteten Zwischenfall erholt hatte, war das Gesicht der Frau noch immer von der Anspannung verzerrt. Wenn sie Robin ansah, waren ihren Augen kühl. Dunkel erinnerte er sich an seine seltsame Vision am Strand, die vermutlich doch keine Vision gewesen war. Jemand hatte ihn angeschrien ...

      Vielleicht ist sie nicht ganz richtig im Kopf, dachte Robin beunruhigt. Ist das hier eine Art Irrenhaus?

      "Für Erklärungen ist später noch genügend Zeit. Erst einmal müssen wir Ihre Wunden desinfizieren. Waren das die Korallen?"

      "Sieht fast so aus", sagte Robin. "Zum Glück kann ich mich nicht mehr allzu klar daran erinnern."

      Er betrachtete seinen blutverkrusteten linken Arm. Als er von der Brandung auf das Riff geschleudert worden war, mussten sich die glasharten Stacheln der Korallen hineingebohrt haben. Der Rest seines Körpers war von der Rettungsweste und der Jeans einigermassen geschützt gewesen.

      "Wenn das auf dem offenen Meer passiert wäre, hätten die Haie das Blut gewittert und Sie erwischt", sagte John nüchtern. "Sie haben Glück gehabt. Die australischen Haie sind ziemlich ... na ja, das wissen Sie bestimmt. Es kommen auch öfter welche in die Lagune."

      Der Mann versuchte die Wunde zu desinfizieren, aber er stellte sich nicht sonderlich geschickt an.

      "Ach, so macht man das doch nicht ...", sagte Suzanne, und John drückte ihr einfach die Camp-Apotheke in die Hand. Schweigend zerriss sie eins von Johns Polo-Shirts, um einen Verband herzustellen.

      "Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Umstände mache", meinte Robin.

      "Uns tut es auch leid!" sagte Suzanne bissig.

      "Hör auf, Sue!", knurrte ihr Mann. "Ist nicht seine Schuld, dass er hier mit uns festsitzt."

      Suzanne warf Robin einen düsteren Blick zu.

      "Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen", sagte John entschuldigend. "Es war Ihre Idee vier Wochen allein auf dieser Insel zu leben und damit unsere Ehe zu kitten. Wir haben nicht gerade mit Besuchern gerechnet ..."

      Robin versuchte, sich die Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Das war die skurrilste Beziehungstherapie, von der er jemals gehört hatte.

      "Ich habe auch nicht gerade damit gerechnet, dass ich hier ankommen würde. Wenn alles glattgegangen wäre, säße ich jetzt schon in einem Hotelzimmer in Auckland."

      "Was ist passiert?"

      "Diese verdammte Cessna. Irgendwas war mit dem Motor los."

      Er sagte es beiläufig, aber jetzt kamen die Erinnerungen mit ganzer Wucht zurück. Ein Propeller, der sich noch einmal klackernd dreht, dann stillsteht ... aufpeitschende Gischt, die die Cockpitscheiben blind macht ... hereinstürzendes Meerwasser ... ungelenk in der Schwimmweste ... kein Gefühl mehr im Körper ... Schwimmen ... schwarzes Wasser, schwarzer Himmel ... endlose Stunden ...

      Peters Cessna war verloren. Sie würde wahrscheinlich nie gefunden werden, und er würde nie herausfinden, was für ein Defekt ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Hoffentlich war Peter wenigstens versichert, dachte er. Seine Kiste liegt jetzt so tief wie die Titanic. Aber meine Schuld war´s ja nicht.

      Ganz unvermittelt kehrte der Gedanke an Lindy zurück. Sie würden sich wiedersehen können! Ihr Bild kehrte in ihm zurück, und sein Herzschlag beschleunigte sich. Er hätte gerne mit ihr gesprochen, ihre Stimme gehört. Ein Königreich für ein Funkgerät ...

      Robin betrachtete seinen Arm, und die Weltmeisterschaften fielen ihm ein. Nur noch zwei Wochen, bis in Leszno das erste Briefing abgehalten werden würde! Eine furchtbare Hoffnungslosigkeit kroch in ihm hoch. In diesem Zustand konnte er unmöglich mitfliegen. Es war zwar nur der linke Arm, mit dem er höchstens die Klappen und das Fahrwerk bedienen musste, aber trotzdem ... und seine verdammten kaputten Rippen, mit denen würde er es auch nicht lange in einem engen Cockpit aushalten. Die Southern Cross selbst jeden Tag aufzubauen ging dann sowieso nicht, aber dafür konnte man ja genügend Helfer mitnehmen. Ich muss irgendeine Möglichkeit finden, Kontakt zum Festland zu bekommen, dachte Robin verzweifelt. Ab ins Krankenhaus, da flicken sie mich vielleicht noch rechtzeitig zusammen. Aber wenn sie mich nicht bald finden, dann komme ich nie rechtzeitig nach Polen ...

      Im Geiste begann Robin nachzurechnen, und er schöpfte wieder etwas Hoffnung. Wenn er innerhalb von einer Woche gefunden und zum Festland gebracht wurde, dann konnte er zumindest theoretisch noch rechtzeitig in Leszno antreten. Aber würde er es überhaupt aushalten, mit einem schmerzenden Arm und angeknackster Rippe zu fliegen, vielleicht noch übermüdet von der langen Anreise im letzten Moment? Chuck Yeager hatte mit einer kaputten Rippe die Schallmauer durchbrochen, aber er war nicht Yeager. Wenn er geschwächt flog und nicht alle Kräfte auf den Sieg konzentrieren konnte, dann landete er vielleicht doch nur unter "Ferner liefen" und schadete womöglich noch seinem Ruf und dem des Segelflugzentrums.

      Robin fühlte sich noch kränker, wenn er daran dachte. Die nächsten Weltmeisterschaften waren erst in zwei Jahren. Danny brauchte Robin als Aushängeschild für Tocumwal nicht erst dann, sondern jetzt. So oft, wie es im Moment zum Krach zwischen Danny und ihm kam, würde er Robin schon lange vorher vor die Tür setzen.

      Ohne unnötiges Zartgefühl zog Suzanne den Druckverband um seine Rippen fest. Robin musste die Zähne zusammenbeißen und fühlte, wie ihm unwillkürlich die Tränen in die Augen traten. Aber er wollte sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen – nicht vor dieser schönen Frau, die offensichtlich jetzt schon beschlossen hatte, dass sie ihn nicht ausstehen konnte.

      Als sie fertig war, meinte sie: "Wir sollten ihm jetzt ein bisschen Ruhe gönnen. Versuchen Sie nicht aufzustehen, okay?"

      "Vielen Dank dafür, dass Sie mich zusammengeflickt haben."

      "Nichts zu danken", sagte John freundlich. "Hier sind die Schmerztabletten, falls Sie noch ein paar brauchen."

      Das Ehepaar stand auf und ging nach einem letzten Blick in seine Richtung zum Strand hinunter. Dann waren sie verschwunden, und es wurde wieder still im Camp.

      Robin schloss die Augen. Er spürte den warmen Wind im Gesicht und den glatten Stoff des Schlafsacks auf seiner Haut. Trotz der Schmerzen nahm er einen tiefen Atemzug. Langsam grub er seine rechte Hand in den Boden und ließ die Sandkörner durch die Finger gleiten. Er hätte nie gedacht, dass eine Handvoll Sand sich so gut anfühlen könnte.

      Plötzlich war er ganz schlicht und einfach froh, dass er noch lebte.

      ***

      Es war schon nach Mitternacht. Lindys Party war ein Erfolg, aber sie selbst schaffte es einfach nicht, sich auf das leichte Geplauder um sie herum zu konzentrieren. Anthony ging es nicht viel besser, er war nach den ersten paar Bourbons von seiner fröhlichen in die depressive Phase übergegangen und jammerte jedem, der auf Hörweite herankam, von dem miesen Betriebsklima in seiner Firma vor. Er trinkt wirklich sehr viel in letzter Zeit, dachte Lindy ärgerlich und überlegte, wann sie es ihm am besten sagen würde – dass es keinen Sinn mehr hatte mit ihnen beiden.

      Alle amüsierten sich, nur die beiden Gastgeber nicht.

      Eine Bekannte aus dem Fitness-Studio, Marge, berichtete Lindy gerade ausführlich über ihren letzten Einkaufsbummel und den tollen Naturkostladen, den sie entdeckt hatte. Lindy stieß an den richtigen Stellen die angemessenen Laute aus und hätte sich fünf Minuten später nicht mehr erinnern können, was sie gehört hatte.

      "Jetzt sag nicht, dass du heute noch was anderes vorhast", sagte ihre Bekannte plötzlich.

      "Nein, wieso?"

      "Du hast innerhalb von zehn Minuten sechsmal auf die Uhr geschaut. Gefällt dir deine Party nicht?"

      "Ich