liegen fünftausend Euro im Umschlag. Aus meinem Taumel hebe ich mich nun langsam vom Sessel, gehe zum Fenster, sehe in die Breite der Stadt und bin fassungslos. Fühlt sich so Glück an? Ist das Erfolg? Für mich ist es eher Neugier und Angst. Die Neugier Ron vielleicht wieder zu sehen und die Angst, etwas falsch zu machen.
DREI
Bewaffnet mit dem Umschlag von Tomas streife ich nachmittags in der Maximilianstraße durch Geschäfte, in die ich sonst nicht mal einen Fuß setzen würde, Dior, Gucci, Dolce und Gabbana. Die haben Preise, staune ich.
Ein transparenter Highheel, sieht aus wie aus Glas, cool, fällt mir am Eingang einer Hausecke auf. Es ist ein großes, beiges und altes Gemäuer mit riesigen, alten und dunklen Fenstern, daraus schillert mir ein Schuh entgegen, den ich haben muss.
Ein Märchen wird wahr, als ich in das Geschäft eintrete, ich fühle mich ein wenig wie Aschenputtel. Eine nette, nicht zu junge Blondine empfängt mich mit einem: „Schönen guten Tag“, diesmal stört es mich gar nicht, gleich angesprochen zu werden. „Guten Tag, ich bin auf der Suche nach etwas Ausgefallenem. Den Schuh in der Auslage, den durchsichtigen mit den türkisen Einsetzen, in welcher Größe haben Sie den?“, erkundige ich mich gleich. „Den haben wir in den Größen 37, 38 und 40, das ist das neue Modell der Sommerkollektion, die Größe 39 haben wir auf Bestellung zur Seite gelegt. Ich kann die vielleicht anderweitig noch besorgen. Welche Größe darf es denn für Sie sein?“, höre ich von einer Verkäuferin, die ihren Job mal ernst zu nehmen scheint, denn die Antwort ist für mich überraschend informativ. „37“, erwidere ich kurz, da verschwindet sie motiviert tief hinten im Geschäft mit einem: „Kurzen Moment bitte, ich bin gleich wieder für Sie da!“
Auf einer Sitzgelegenheit mache ich es mir vorerst gemütlich, streife meinen Mantel ab und mein Blick wandert durch die Boutique. Im Hintergrund läuft Musik. Ich ertappe mich beim Mitsummen zu Lily Allens Song „Not fair“ – „…Oh, he treats me with respect. He says he loves me all the time. He calls me fifteen times a day. He likes to make sure that I'm fine…” Dabei muss ich daran denken, wie sich John auch um mich sorgt, er ruft mich echt oft an und ist immer für mich da…
„Hier bitte Größe 37”, vernehme ich fast beiläufig. Da sind sie, wow. Für einen kurzen Moment halte ich inne und betrachte das Juwel. Dann nehme ich die Schuhe wie einen Schatz an mich, führe den einen an den linken, den anderen an den rechten Fuß, sie sitzen wie angegossen. Jetzt erhebe ich mich und betrachte die Sensation im Spiegel. Das fühlt sich gut an. „Wie gefallen Sie?“, erreicht mich wieder die Verkäuferin. „Oh, nicht schlecht, ich weiß nicht, Türkis ist sonst nicht meine Farbe, aber diese Glasoptik ist ein Eyecatcher, der gefällt mir.“ „Ich bringe Ihnen dazu das Kleid, nur zum Anprobieren, dann haben Sie eine bessere Vorstellung, einen Moment“, und wieder verschwindet diese engagierte Fachkraft.
Alleine summe ich weiter: „…There's just one thing that's getting in the way. When we go up to bed, you're just no good, it's such a shame…” Verträumt sehe ich an meinen Beinen die aufregendsten Schuhe, die ich je getragen habe und denke an John, noch immer läuft Lily Allen: „…Oh, you're supposed to care. But you never make me scream. You never make me scream. Oh, it's not fair and it's really not ok. It's really not ok. It's really not ok!...”
Im Spiegel blicke ich mir tief in die Augen und muss zugeben, dass mein Liebesleben mit John in die Jahre gekommen ist. Ich gebe es nicht gerne zu, aber meine Leidenschaft wird von John nicht mehr so geweckt – nicht so, wie meine Gedanken an Ron.
„Hier ist es, Größe 36“, und die nette Angestellte präsentiert ein unfassbar schlichtes und dennoch atemberaubendes, türkises Seidenkleid vor sich. Natürlich schlüpfe ich hinein. „Oh, nein!“, geht es mir durch den Kopf, als ich mich im Spiegel der großzügigen Umkleidekabine betrachte. Ich sehe aus, wie wenn ich das Kleid meiner großen Schwester geklaut habe. Das geht gar nicht. Wieder im Verkaufsbereich, reiche ich der zuvorkommenden Dame das Kleid: „Das passt leider nicht, aber die Schuhe nehme ich.“ Ich bezahle 650 Euro – für mich ein Vermögen – und verlasse Dior.
Jetzt will ich auf der Maximilianstraße weiterjagen, ich muss ein Kleid finden. Mal sehen, Dolce und Gabbana? Valentino? In Gedanken verloren, genieße ich die Fülle von Luxus. Umschmeichelt davon schlüpfe ich in unzählige Kleider, eines angenehmer und verspielter als das andere. Aber keines so sagenhaft wie sein Preis versprechen will. Immer noch unentschlossen wähle ich zurück auf der Straße die Telefonnummer von Sonja Wagner, eine gute Bekannte und ehemalige Studienkollegin, die mittlerweilen in einer großen Presseagentur arbeitet.
Wir sind eigentlich nicht wirklich enge Freundinnen, gestehe ich mir. Zugegeben: Ich habe eigentlich gar keine enge Freundin. Beinahe beklommen denke ich plötzlich über mich und Freundschaften nach. Dafür fehlt mir einfach die Zeit? Nein, es wird wohl eher damit zu tun haben, dass ich einen schwierigen Charakter habe? Ich bin viel zu direkt, zu straight als Frau, werfe ich mir vor.
Erinnerungen an meine Schul- und Studienzeit kommen in mir hoch, es kann auch sein, dass es der Neid der anderen Mädchen war? Immer habe ich bekommen, wofür ich schwärmte. Habe immer das erreicht, was ich wollte. Jetzt verteidigt sich mein Unterbewusstsein, immerhin habe ich auch viel dafür gearbeitet, dafür Opfer gebracht. Statt auf Partys war ich oft beim Büffeln. Habe kein Problem damit gehabt, mir das zu nehmen, was ich wollte. Schon auf der Uni habe ich wohl deshalb kaum noch Freundinnen gehabt, mich immer mit den Jungs besser verstanden. Aber auch das ging nicht gut, die Jungs haben mich falsch verstanden, mehr gewollt als nur Freundschaft, was mich zum Einzelgänger gemacht hat. Wehmut? Nein, eigentlich fühle ich mich so wohl. Ich bin eben ich. Und ich mag mich.
„Hallo, Angie“, höre ich eine vertraute Stimme. „Hi, Sonja, du wirst nicht glauben, was ich grade erlebe!“ In kurzen Zügen lasse ich Sonja an meinem Wahnsinn teilhaben. „Angie, was ist los, so aufgeregt kenne ich dich nicht? Du bist auf der Uni zuletzt so aufgeregt gewesen?“ „Ach, lass mal, du musst für mich bitte etwas recherchieren?“, bereite ich Sonja auf meinen Wunsch vor. „Was denn?“, erkundigt sie sich. „Bitte finde alles über Ron Kern raus und gib mir einen kurzen Abriss über sein Leben, was er mag, was er nicht mag und so weiter, du kennst das eh!“ „Kenne mich aus, wofür brauchst du die Angaben, ist er Gegner eures Projektes oder für das Projekt?“, entgegnet Sonja, sie kennt meine Branche zu gut und hat meine Hintergedanken erkannt. „Das weiß ich nicht so recht“, gebe ich offen zu. „Jetzt kenne ich mich aus, ich suche dir alles, was du brauchst. Ob dafür, ob dagegen, lass mich nur machen! Bis wann?“ „Ich fliege am Freitag in der Früh, davor wäre super?“ „Schaffe ich bis morgen abends – ok!“, und weg ist sie.
Sonja ist für mich da, immer wenn ich diese Informationen brauche. Nicht wegen mir, sondern weil sie sich später eine Story erhofft, so bin ich für sie eben dann da. Nicht mehr und nicht weniger. Das kommt nicht oft vor, aber wenn, dann kann ich mich auf sie wirklich verlassen.
Beruhigter schlendere ich weiter und stoße auf ein langes Seidenkleid in weiß, teilweise transparent, das könnte passen. Ich finde mich vor einer modernen Glasfront wieder – Valentino.
Schon weile ich begierig und fast verloren in der viel zu großen Umkleidekabine und mein Atem stockt, als ich in den Spiegel blicke. Das ist es. Zufrieden drehe ich mich und betrachte mich. Absolut elegant, es verspricht viel, aber es verrät nichts. Das Dekolleté und die Schultern sind frei, der Stoff fällt mondän und gibt meine schlanke Silhouette preis.
Stolz bin ich auf meinen durchtrainierten Körper, das Kleid fließt um meine Kurven. Größe 34 passt wie angegossen. Mit meinen 1,65m und den Highheels harmoniert auch die Länge perfekt. Integriert im Kleid ist eine Art Cape, transparent. Echt extravagant, einfach wie ich es mag, ich kann es verspielt über nur eine Schulter legen oder damit als eine Diva meine Schultern bedecken. Das Cape kann ich auch ganz einfach fallen lassen, dann umschmeichelt es die Silhouette und lädt zum Träumen ein. Es gibt noch andere Farben. Schwarz darf es nicht sein, auf keinen Fall, das wäre zu normal und nicht edel genug. Türkis steht mir nicht, aber transparent-weiß ist die Sensation, das bin ich. Ein Blick auf das Preisschild wirft mich um. Das Seidenkleid kostet ungefähr soviel, wie der zweiwöchige Urlaub,