Lisa Ravenne

Spuren im Strom der Zeit


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den Himmel in ein sanftes Orange, das sich auf der Oberfläche des Meeres widerspiegelte und auf den Körpern der Delfine interessante Muster hinterließ.

      Stephen beendete seine Lektüre und lächelte Kayla an. Jetzt wusste er, was sie ihm sagen wollte. Es hing alles davon ab, welche Sichtweise ein Lebewesen auf die Welt um sich herum hatte. Es gab wirklich eine Wahl, was er für die Wahrheit halten wollte.

       Was er sicher wusste, war, dass er Meditationstechniken lernen wollte und Kayla konnte ihm das beibringen.

       „Ich habe darauf im Moment keine Antwort. Aber ich würde gerne lernen, wie man Meditationen durchführt. Ich würde das gern mit deiner Hilfe tun. Wie viel würde das kosten?“

       Kayla lächelte. „Ich hab dich nicht eingeladen, um einen neuen Klienten zu bekommen. Es wird dich kein Geld kosten, wenn du einverstanden bist, einige Dinge hier im Haus zu reparieren oder mir im Garten zu helfen, wenn ich es nicht selbst tun kann. Das ist notwendig, weil es einen Energieausgleich geben muss. Also, was sagst du?“

       Stephen war erleichtert. Gerade im Moment war er etwas knapp bei Kasse, wegen der Begräbniskosten. Dieses Angebot war einfach großartig. Freudig stimmte er zu und sie fanden eine Zeit, in der sie sich einmal die Woche am Samstagnachmittag treffen wollten.

      Bevor er ging, fragte Kayla ihn nach seinem Freund Luke. „Er wollte wohl nicht mit dir kommen, vermute ich.“

       „Er sagte, er wäre offen für alles, aber er denkt, es ist das Beste für mich, es allein zu tun. Irgendetwas schien ihn davon abzuhalten, zu kommen. Ich weiß nicht was.“

       „Sag ihm, wann immer er kommen möchte, darf er das tun. Aber solange er sich nicht sicher darüber ist, wäre es besser, wegzubleiben. Ich sehe dich nächste Woche und dann kannst du mir erzählen, wie außergewöhnlich dein Comeback in deinen Job war.“

      Stephen erinnerte Kayla an ihre Abmachung, etwas zu reparieren als Ausgleich für die Hilfe an diesem Tag. Kayla schüttelte den Kopf.

       „Für heute ist es gut. Nächstes Mal kannst du mir helfen. Ich finde bestimmt etwas. Hab eine schöne Woche!“

       Kayla verabschiedete sich von Stephen an der Haustür und sah ihm nach, wie er in sein Auto einstieg. Bevor er im Wagen verschwand, lächelte er ihr zu. Sie winkte ihm nach und schloss die Tür.

      Drinnen ging sie in ihre Küche und setzte sich nachdenklich an den Tisch. Es war schön, dass Stephen den Weg zu ihr gefunden hatte. Also sollten sie wohl beide aus dieser Situation etwas lernen. Doch Kayla hatte immer noch keine Ahnung, woraus die Lektion bestand.

       Wie sollte sie mit ihrem Wissen umgehen? Würde sie es ertragen, dass die Dinge nicht so einfach lagen wie in früheren Leben? Sie war davon ausgegangen, dass Merit und Shokar sich immer nur wieder finden mussten und dann ein gemeinsames Leben führen konnten.

       Diesmal schien das aber nicht möglich zu sein. Sie durfte Stephen auf keinen Fall mit diesem Wissen belasten. Es würde ihn schneller vertreiben, als sie ihm die Situation erklären konnte. Zumindest, wie sie die Sache sah.

       Kayla wollte nicht, dass Stephen wieder verschwand. Sie würde ihm helfen, soweit er Hilfe brauchte und darum bat. Zumindest dies konnte sie für ihn tun. Vielleicht würde sich mit der Zeit ergeben, worin ihre Lernaufgabe bestand. Bis dahin konnte sie nur abwarten.

       Entschlossen holte sie ihren Laptop hervor, um an ihrer Geschichte weiter zu schreiben.

      Kapitel 5 – Merit und Shokar

      Am nächsten Tag erschien Merit rechtzeitig bei Shokar, um ihm sein Morgenmahl zu bringen. Wie es sich für eine Dienerin geziemte, hielt sie ihren Blick gesenkt, während sie versuchte zu erraten, was er benötigte, um sich für seinen Dienst bereit zu machen. Shokar schien etwas verlegen zu sein. Sie wusste nicht, ob es wegen seiner kommenden Aufgaben war. Schließlich war es sein erster Tag und er konnte noch nicht wissen, was auf ihn zukommen würde.

       „Habt Ihr besondere Wünsche, was ich heute für Euch tun soll, Herr?“, fragte sie bescheiden.

       „Was sind denn sonst deine Pflichten, Merit?“

       „Nun, ich halte den Raum sauber und sorge für Eure Mahlzeiten, Herr. Außerdem kümmere ich mich um Eure Kleidung. Muss etwas gereinigt werden?“

       Bei diesen Pflichten fühlte sich Merit sicher und konnte ohne Verlegenheit antworten. Wie schon am Tag zuvor hatte Shokar sie mit ihrem Namen angesprochen. Er schien recht freundlich zu sein.

       „Nein, das ist heute nicht notwendig. Wenn ich dies wünsche, gebe ich dir Bescheid.“

      Ein Gong ertönte und rief Shokar zu seinen Pflichten. Er verließ eilig den Raum. Sollte Merit ihm sagen, dass Hast nicht erwünscht war? Nein, das war wohl unangemessen. Schließlich war sie nur eine niedere Dienerin. Die Priester würden ihn einweisen.

      Sie räumte das Tablett mit den Resten des Morgenmahls hinaus und begab sich zur Kochstelle, wo alle Dienerinnen die Mahlzeiten bereiteten. Dort traf sie auf Bessara und Noala.

       Während Noala einen zufriedenen Eindruck machte und ein gewisses Funkeln in den Augen hatte, wandte sich Bessara stets ab, wenn sie angesprochen wurde. Merit fragte sich warum, bis sie einen Blick in Bessaras Gesicht erhaschte, als diese es nicht mehr vermeiden konnte, dass man sie ansah.

      Merit erschrak. Bessaras Gesicht war voller blauer Flecke! Und nicht nur das. Auf den Armen setzten sich die Male fort. Der restliche Körper wurde von der Tunika verborgen, doch Merit hatte keinen Zweifel, dass es auch dort solche Male gab. Man konnte es an der Art sehen, wie sich Bessara vorsichtig bewegte. Sie war geschlagen worden! Keiner der Priester hatte so etwas bisher getan, also blieb nur Kerlak übrig.

      Warum tat er das nur? Bessara war eine zuverlässige Dienerin. Sie hatte sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Merits fragender Blick fiel nun auch Bessara auf.

       „Tu nur nicht so unschuldig. Du weißt genau, warum ich so aussehe. Ich habe gestern bemerkt, wie er dich angesehen hat. Und weil er dich nicht bekommen konnte, hat er seinen Zorn an mir ausgelassen. Das hätten deine Male sein sollen. Oder vielleicht hätte er sich bei dir anders benommen. Doch er ist ein grober Kerl.“

      Bessara lief weinend davon. Noala und Merit sahen sich betreten an. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Tun konnten sie nichts. Sie waren alle Eigentum des Tempels, ohne Rechte.

       Dennoch war Kerlaks Verhalten unangemessen. Als Dienerinnen konnten sie sich jedoch nicht dazu äußern. Hoffentlich bekam einer der Priester mit, was da vor sich ging und unternahm etwas. Bis dahin würde Bessara weiter leiden.

       Noala und Merit konnten beide froh sein, dass die ihnen zugewiesenen Anwärter sich anders benahmen. Wenn Merit Noala ansah, wünschte sie sich beinahe, dass Shokar an ihr ein ähnliches Interesse zeigen würde, wie Farik an Noala.

      Am Abend gingen drei müde Anwärter zurück in ihre Unterkünfte. Den ganzen Tag über hatte es Unterweisungen gegeben. Nur für ein karges Mittagsmahl war eine kurze Pause eingelegt worden.

       Die drei älteren Priester hatten dies absichtlich getan, denn die Bedürfnisse des Körpers sollten zurückgestellt werden. Nur wer in der Lage war, dies auszuhalten, war für das Amt eines Priesters geeignet. Der Geist musste die Kontrolle über den Körper behalten.

       Die Anwärter stammten aus adligen Familien. Diese hatten vielleicht ihre Kinder verweichlicht, eben weil man sich als Reicher alle Wünsche erfüllen konnte. Also musste man ihnen jetzt zeigen, dass es höhere Ziele anzustreben galt.

      Als die jungen Männer in ihren Unterkünften eintrafen, hatten ihre Dienerinnen bereits ein Abendmahl bereitet, das sie nun auf Tabletts heranbrachten. Merit musste nun an Kerlak vorbei laufen. Plötzlich packte dieser sie am Arm und zischte ihr zu:

       „Nachher habe ich noch eine Aufgabe für dich! Finde dich später in meinem Raum ein!“ Kerlaks Augen schienen sie zu durchbohren. Doch da hörte sie plötzlich die Stimme von Shokar.

       „Merit, ich werde dich den ganzen Abend bei mir brauchen. Vielleicht sogar die ganze