Lisa Ravenne

Spuren im Strom der Zeit


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Dienerin, also halte dich fern von meiner. Sie wird in nächster Zeit ständig beschäftigt sein. Lass sie in Ruhe!“

       Merit war noch nie so froh über einen Befehl gewesen, wie jetzt gerade. Sie eilte mit gesenktem Blick zu Shokar. Das Tablett in ihren Händen zitterte.

      Kerlak war zornig. Er bekam sonst immer, was er wollte. Und er hätte zu gern gesehen, wie dieses Mädchen unter ihm gezittert hätte. Schließlich war sie nur eine Dienerin und hatte zu tun, was man ihr sagte. Zugegeben, sie sah recht ansprechend aus, mit ihren langen Haaren und den schlanken Gliedern. Dennoch zählte das nicht. Ihr einziger Daseinszweck bestand darin, Befehle auszuführen. Seine Befehle, wenn möglich.

       Jetzt musste er sich wieder an Bessara schadlos halten. Doch das machte keinen Spaß mehr, denn er hatte ihr in der vorigen Nacht schon bewiesen, wer die Macht hatte.

      Shokar folgte Merit in seine Unterkunft. Sie stellte ihr Tablett ab und wartete ängstlich auf neue Anweisungen. Sollte es keine Befehle mehr geben, war sie gezwungen, den Raum zu verlassen. Sie war sich sicher, dass Kerlak draußen irgendwo wartete und sie dann zu sich befehlen würde. Er würde nicht so schnell aufgeben. Bessaras blaue Flecken gingen ihr nicht mehr aus dem Sinn.

      Shokar betrachtete sie mitleidig. Er hatte genau verstanden, was gerade geschehen war. Die Sorgen standen Merit ins Gesicht geschrieben. Sie erinnerte ihn an seine kleine Schwester.

       Doch die Adligen seines Volkes hatten keine langen Haare. Männer und Frauen trugen Perücken und hatten auf dem Kopf alle Haare abrasiert. Das hatte mit der Körperpflege zu tun. Die Perücke gab man dann einer Dienerin, die sie säubern musste.

       „Warum hast du so lange Haare?“, fragte er neugierig. „Wäre es nicht einfacher, sie abzuschneiden?“

       Merit erschrak. Sie war stolz auf ihre Haare und dachte, sie wären das Beste an ihrem Aussehen. Natürlich hatte sie als Dienerin kein Recht, so zu denken.

       „Als Dienerin wurde mir befohlen, die Haare wachsen zu lassen, bis sie eine gewisse Länge erreicht haben. Dann werden sie abgeschnitten und verkauft, damit man Perücken für edle Damen herstellen kann.“

      Shokar war betroffen. Er hatte nicht daran gedacht, dass die Haare für Perücken ja irgendwo herkommen mussten. Eine Dienerin durfte also noch nicht einmal über ihre Frisur bestimmen.

       „Wünscht Ihr, dass ich meine Haare abschneide, Herr?“, fragte Merit zaghaft.

       „Nein, auf gar keinen Fall! Ich mag deine Haare so, wie sie sind. Solange du meine Dienerin bist, sollst du sie weiter wachsen lassen. Sie umrahmen deine Gestalt ganz vortrefflich.“

       Merit wurde rot bei dieser Äußerung. Zum Glück war dies wegen ihrer etwas dunkleren Hautfarbe nicht so sehr zu sehen. Sie wandte sich ab. Ein Herr sollte dies nicht zu einer Dienerin sagen. Er musste ihr doch keine Komplimente machen.

      Shokar sah, wie sie bereits wieder ängstlich zur Tür schielte, als erwartete sie, gleich weggeschickt zu werden. Doch auch ihm war klar, was dann mit ihr geschehen würde. Der Ausdruck in Kerlaks Gesicht hatte ihm gar nicht gefallen.

       „Leiste mir Gesellschaft bei meinem Mahl und erzähle mir von dir. Ich möchte dich kennenlernen. Und nimm dir einen Teil des Essens, es ist viel zu viel für mich.“

      Merit war verlegen. „Es ist mir nicht gestattet, mein Mahl gleichzeitig mit einem Herrn einzunehmen. Man erwartet von mir, dass ich warte, bis mein Herr gegessen hat. Dann darf ich von den Resten nehmen, wenn er es erlaubt.“

       „Nun, dann unterhalte mich. Wie lange bist du schon hier im Tempel? Wie bist du hergekommen und welches sind deine Aufgaben?“

      Shokar zeigte ungewöhnliches Interesse an ihr, doch langsam gewöhnte sie sich daran. Solange sie ihn unterhielt, würde er sie nicht nach draußen schicken.

       Deshalb berichtete sie, wie sie im Alter von zehn Jahren an den Tempel verkauft worden war. Ihr Vater, ein Soldat, war in Ausübung seines Dienstes getötet worden. Obwohl sein Herr keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass sein Untergebener einen ehrenvollen Tod gestorben war, hatte seine Witwe nur eine Handvoll Münzen als Entschädigung erhalten. Das reichte nicht lange, um sich und die kleine Tochter zu ernähren.

       Andana hatte begonnen, ihren Körper zu verkaufen. Doch als ihre Schönheit mit dem Alter geschwunden war, hatte sie nur noch die Möglichkeit gesehen, dasselbe mit ihrer Tochter zu tun oder diese als Dienerin zu verkaufen. Sie hatte sich für letzteres entschieden, nicht zuletzt, weil bekannt war, dass die meisten Priester im Tempel Amuns wenig Interesse an fleischlichen Genüssen hatten. Sie stellten den Dienst an ihrem Gott über alle körperlichen Bedürfnisse.

      Merit berichtete von ihren täglichen Aufgaben. Es war kein schwerer Dienst. Sie hatte schon in jungen Jahren gelernt, für sich und ihre Mutter den Haushalt zu führen.

       Shokar hatte sein Mahl beendet und drängte nun Merit zum Essen. Sie war nicht daran gewöhnt, vor einem Herrn zu essen, doch Shokar bestand darauf, dass sie es tat. Es war nicht zu übersehen, dass er Gefallen an ihr fand. Merits Herz begann zu klopfen. Würde er sie heute auf sein Lager holen? Es sah ganz danach aus.

      Shokar wartete, bis Merit gegessen hatte. Dann sprach er sie an.

       „Merit, ich will dich etwas fragen. Bitte antworte mir ehrlich.“

       Merit sah ihn an. „Möchtest du heute Nacht hier bleiben oder möchtest du lieber gehen?“

      Merit war erstaunt. Warum fragte er sie? Er musste doch nur befehlen und sie würde tun, was er verlangte.

       „Es ist mir wichtig, dass dies deine freie Entscheidung ist“, fuhr er fort. „Ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht auch möchtest. Auch im Haus meines Vaters habe ich nie eine Dienerin gezwungen, bei mir zu liegen. Sie konnten sich immer frei entscheiden.“

      Merit betrachtete ihn überrascht. Er hatte also doch schon Erfahrungen gemacht. Als er sie am ersten Abend weg schickte, hatte sie etwas anderes vermutet. Nach einer kleinen Pause erklärte sie ihm: „Ich möchte hier bleiben. Aber ich habe noch nie…“

       Ihre Stimme geriet ins Stocken.

       „Hab keine Angst. Ich werde sanft zu dir sein. Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst.“

       Shokar sprach weiter zu ihr in ruhigen Worten, während er sie zu seinem Lager führte. Auch während er sie langsam entkleidete, sprach er weiter. Allmählich schwand der ängstliche Ausdruck aus Merits Gesicht. „Du bist so schön! Weißt du das?“

      Sie sollte schön sein? Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Aber Shokar sagte es. Und er meinte dies auch. Sie konnte es an seiner Stimme hören.

       Shokar schälte sich langsam aus seiner Tunika, gab ihr Zeit, sich an seinen Körper zu gewöhnen. Ihre Augen wurden rund, als sie ihn genau ansah.

       „Das geschieht mit mir, wenn ich eine Frau sehe, die ich begehre.“ Seine sanfte Stimme verführte sie, versetzte sie in eine Traumwelt. Die Wirklichkeit um sie herum begann zu verblassen.

      Shokar begann sie zu streicheln und ermutigte sie, das auch bei ihm zu tun. Er erklärte ihr, dass er zuerst eine kleine Barriere in ihrem Körper überwinden musste, bevor sie beide das Zusammensein genießen konnten. Deshalb würde es einen kurzen Schmerz geben, um sie zu öffnen.

       Sein Streicheln versetzte Merit in eine Stimmung, in der sie bereit war, ihm alles zu gestatten, was er mit ihr tun wollte. Seine Worte zeigten, dass er sich um sie sorgte. Sie fühlte, wie ihr Streicheln auch seinen Körper in Aufruhr versetzte. Sie hatte nicht gewusst, dass eine Frau dies bei einem Mann erreichen konnte. Es war eine machtvolle Gabe.

      Die Zeit verstrich, ohne dass es den beiden Menschen auf dem Lager gewahr wurde. Sie waren mit sich selbst beschäftigt und genossen ihr Zusammensein. Als Shokar schließlich in sie eindrang, war Merit gegen den Schmerz gewappnet. Er dauerte wirklich nur einen Augenblick.

       Die Empfindungen, die danach kamen, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Während sie auf dem Gipfel der Extase dahin trieb, nahm sie wahr, dass auch Shokar sich in einem Rausch befand, genau wie sie. Sie sahen sich tief in die Augen und es ermöglichte ihnen, ihre Empfindungen zu teilen. Merit wusste