Alegra Cassano

Endora


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du dich im Wald aus?“, wollte Bale nun wissen.

      „Nicht so gut wie die Jäger“, gab der Junge zu. „Ich gehe nicht so weit rein wie sie. Manchmal kann man aber auch in den Randgebieten kleinere Tiere fangen. Meist bin ich in den Höhlen oder am See.“

      „Ein See?“, fragte Bale aufgeregt, „kennst du den auch, Lando? Können wir da mal hingehen?“

      Lando lächelte traurig: „Dein Vater und ich sind als Kinder ebenfalls durch die Waldränder geschlichen, so wie Wolf. Wir fanden es aufregend. Unsere Eltern freuten sich, wenn wir etwas Fleisch heimbrachten, aber sie warnten uns auch immer wieder vor den Gefahren.“

      Wolf nickte: „Einmal hätte mich so ein großes Vieh fast erwischt. Ich konnte gerade noch auf einen Baum flüchten. Über einen Tag habe ich dort festgesessen, bis es endlich abgezogen ist.“

      Bale hörte gebannt mit offenem Mund den Erzählungen zu.

      „Jaron und ich konnten uns einmal nur retten, indem wir in den See gesprungen sind. Ich denke, dass es derselbe See ist, den du meinst. Leider gibt es auch im Wasser Kreaturen, die es nicht so gut mit Menschen meinen. Wir hatten wahnsinnige Angst und damals mehr Glück als Verstand“, erzählte Lando.

      „Davon habe ich noch nie gehört“, meinte Bale zweifelnd.

      „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dein Vater dir diese Geschichte erzählt hat. Wir haben uns nicht sehr ruhmreich verhalten. Dieser große Barbatus tauchte plötzlich auf und brüllte uns mit seinem stinkenden Atem an. Wir haben geschrien wie Weiber und sind gerannt, so schnell wir konnten. Wir haben sogar nach unseren Müttern gerufen. Es war wirklich keine Heldentat“, schmunzelnd brach Lando ab.

      Er dachte an all die Abenteuer, die er mit Jaron erlebt hatte. Ohne den Freund wäre sein Leben nicht so aufregend gewesen. Wehmut packte ihn.

      Wolf räusperte sich gerade im richtigen Moment.

      „Es tut mir leid. Ich muss jetzt zur Arbeit“, sagte er traurig. Lando erinnerte sich an die Szene auf dem Platz der Freude. Er hatte zwar noch unter Schock gestanden, entsann sich aber der Frau, die Wolf freigekauft hatte. Die Geschichte kam ihm merkwürdig vor.

      „Behandeln sie dich dort gut?“, fragte er. Wolf nickte schnell, scharrte aber mit dem Fuß unruhig über den Boden.

      „Ich kann die Hunde später zur Höhle bringen, wenn du willst“, bot er an. Lando nickte. Es fiel ihm schwer, denn er liebte Tiere und hatte diese kleinen Fellknäuel besonders ins Herz geschlossen, aber er sah ein, dass es hier nicht mehr sicher genug war.

      „Darf ich helfen?“, fragte Bale. Mit den Augen bettelte er Lando an.

      „Es ist weit bis zur Höhle. Ich weiß nicht, ob deine Mutter damit einverstanden wäre“, wand dieser sich.

      „Du bist der Ernährer. Du kannst das entscheiden“, stellte sein Ziehsohn fest, der anscheinend nichts mehr gegen seinen neuen Vormund einzuwenden hatte. Lando sah seufzend zwischen den Jungen hin und her. Alleine würde Wolf es sowieso nicht schaffen, alle Tiere auf einmal wegzubringen.

      „Na gut“, entschied er schließlich, „wir gehen zu dritt.“

      12. Die Grube

      Rubion hatte seinen Rausch bis zum Mittag ausgeschlafen. Da alle wussten, dass man ihn dabei besser nicht störte, war es im Haus totenstill. Natas schlich mehrmals leise am Zimmer des Freundes vorbei und lauschte. Er machte sich Sorgen, dass der Plan scheitern könnte, weil Rubion zu träge war. Zwar hatte Natas einem Burschen befohlen, dem Verletzten Wasser in die Grube zu werfen, in die er gestürzt war, aber Jaron war sehr schwer verletzt. Niemand konnte sagen, wie lange der Mann noch durchhalten würde.

      Es war Sinn und Zweck der Falle gewesen, Jaron zu töten, und dieses Ziel würden sie mit Sicherheit erreichen, wenn nicht bald etwas geschah.

      Rubion war sehr schlecht gelaunt, als er endlich erwachte. Ihm brummte der Schädel. Missmutig sah er Natas an, der ihm nun an der großen Tafel gegenübersaß. Ohne etwas zu essen war Rubion noch ungenießbarer als sonst.

      „Warum hast du es nur so eilig, den Kerl da herauszuholen?“, fragte Rubion mit vollem Mund, wobei zerkaute Fleischstücke zurück auf den Teller fielen.

      „Wenn wir ihn nicht bald holen, können wir es auch ganz bleiben lassen“, entgegnete Natas gereizt. Rubion warf ihm einen durchdringenden Blick aus schwarzen Augen zu.

      „Ich verstehe immer noch nicht, warum ich mit soll. Hol du ihn doch und bring ihn her. Der bekommt doch sowieso nichts mit, wenn er in dem Zustand ist, den du beschrieben hast“, mäkelte er.

      Natas schüttelte den Kopf. „Du musst es selbst machen. Du brauchst Zeugen, und außerdem sollte es möglich sein, ihn wenigstens kurz zu wecken, damit er dich sieht. Später glaubt er es sonst nicht“, erklärte er.

      Rubion grunzte. Fett lief aus seinem Mundwinkel und rann über sein Kinn. Sein Gegenüber verzog angewidert den Mund.

      „Die Zeugen werden schon aussagen, was sie sollen, und wecken kann ich den Mistkerl auch hier“, blieb Rubion stur.

      Natas stand auf. Ihm wurde das Ganze jetzt zu dumm.

      „Wie du meinst“, zischte er und machte deutlich, dass er damit nicht einverstanden war.

      „Mach mich später nur nicht verantwortlich, wenn etwas schief geht.“

      Natas hatte zwei Burschen mitgenommen, da es nicht so leicht werden würde, den Verletzten zu bergen. Sie standen nun am Rand der Grube, die sie von Tarnmaterial befreit hatten, und sahen hinab. Scharfkantige Steine bedeckten den Boden und waren mit geronnenem Blut besudelt, um das Insekten schwirrten. Mit sehr viel Blut, wie Natas schaudernd feststellte. Der Körper eines Mannes lag gekrümmt auf der Seite. Es schien, als wäre kein Leben mehr in ihm. Natas sah eine große Kopfwunde. Die Haut klaffte über der Schläfe auseinander und gab den Blick auf bleiche Knochen frei. Der rechte Arm lag unterhalb des Körpers. Der linke war verdreht und unnatürlich abgewinkelt.

      Natas erspähte den Wasserbehälter, der unberührt zu sein schien. Vielleicht waren sie doch zu spät gekommen.

      Er schätzte die Tiefe der Grube auf ungefähr drei Meter. Sie war natürlich entstanden, so dass die Verschwörer nur die Steine hineinschaffen mussten und dafür Sorge getragen hatten, dass Jaron hineinstürzte.

      Natas riss sich von dem Anblick des zerschmetterten Körpers los und gab den Burschen Befehle. Da Rubion Galoppas besaß, hatten sie zwei der Lasttiere mitgenommen, um sich abseilen zu können und um später den Verwundeten zu transportieren.

      Einer der Burschen hatte sich schon ein Seil um den Bauch gebunden, und der andere führte den Galoppa rückwärts, damit der Erste sich langsam in die Grube herab lassen konnte. Natas beobachtete das Unterfangen vom Rand aus.

      „Er lebt“, kam die Rückmeldung, die Natas aufatmen ließ.

      „Ich schaffe es nicht alleine, ihn rauszuziehen“, rief der Bursche dann. Das hatte Natas sich gedacht. Er übernahm die Zügel des großen Tieres und sah zu, wie der zweite Bursche sich geschickt abseilte. Der Galoppa war stark genug alle drei auf einmal aus der Grube zu ziehen, wenn es sein musste. Wegen Jarons Verletzungen überlegten die Burschen lange, wie sie es anstellen sollten, ihn aus dem Loch zu bekommen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Am Ende reichte Natas ihnen das Holzbrett hinunter, das sie als Trage verwenden wollten. Es sollte zwischen die beiden Galoppas gespannt werden, um Jaron zu Rubions Haus zu bringen. Nun wurde diese Trage bereits in der Grube verwendet.

      Die Burschen legten Jaron darauf und banden ihn mit Seilen fest. Der Verletzte gab dabei gedämpfte Schmerzenslaute von sich, und seine Augenlider flatterten. Wirklich wach schien er aber nicht zu sein. Natas trieb den Galoppa an, damit er vorwärts lief und somit die Trage aus der Grube zog. Anschließend warf er neue Seile zu den Burschen hinunter und befreite auch sie aus dem Loch.

      Alles