Alegra Cassano

Endora


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es riesige Kreaturen. Lando war in seiner Bewegung behindert und körperlich nicht in der Lage, ein weiträumiges Gebiet abzusuchen. Außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, in welchen Bereich Jaron wollte. Das Land hinter der Stadtmauer war riesig, und selbst die erfahrensten Jäger kannten nicht jeden Ort.

      Lando konnte nur hoffen, dass sein Freund von alleine wieder auftauchte, und gleichzeitig fürchtete er sich vor diesem Tag.

      Er tätschelte der Hündin den Kopf, die auf der Seite lag und an deren Zitzen die Welpen saugten. Sie war schwach und hatte nicht genug Milch, weshalb Lando dafür sorgte, dass jeder Welpe etwas abbekam. Sie waren jetzt alle groß genug, um auch etwas Nargamilch zu bekommen.

      Nargas waren Tiere, die mittlerweile wieder im Ort geduldet wurden. Sie waren friedlich, brauchten kaum Futter und gaben trotzdem genug Milch für eine kleine Familie. Ihr dichtes Fell eignete sich sehr gut zur Herstellung von Kleidung, und die Tiere gingen einem Erwachsenen lediglich bis zum Knie, weshalb sie nicht viel Platz benötigten. Da Lando sich kein eigenes Narga halten wollte, kaufte er die Milch seinem Nachbarn ab, der sich zwar wunderte, wozu Lando sie brauchte, der aber gerne die funkelnden Steine nahm, die der Nachbar ihm dafür anbot.

      In Endora gab es verschiedene Möglichkeiten der Bezahlung. Oft tauschten die Bewohner einfach ein Nahrungsmittel gegen ein anderes. Auch Kleidung aus Fell oder Leder und selbstgemachte Schuhe waren begehrte Tauschobjekte. Seit einer Weile waren diese funkelnden kleinen Steine im Umlauf. Lando fragte sich zwar, was die Leute damit wollten, aber als er einige dieser Steine für sein Wild bekam, nahm er sie an. Sie wogen nicht viel in seiner Hand, und außer, dass sie verführerisch funkelten, konnte er nichts Besonderes an ihnen entdecken. Sein Nachbar war jedoch sehr erfreut, als Lando ihm bei nächster Gelegenheit einen Funkelstein für die Milch anbot. Für einen weiteren Stein vergaß der Mann sogar, dass er manchmal seltsame Geräusche aus Landos Hütte vernahm, die auch anhielten, wenn Lando nicht anwesend war.

      „Mach`s gut, altes Mädchen“, flüsterte Lando und streichelte der Hündin ein letztes Mal über den Kopf. „Morgen komme ich wieder.“

      Es war kein gutes Gefühl, seine Hütte und vor allem die Hunde zu verlassen, doch er musste diesen Schritt jetzt tun, auch wenn ihm das Herz schwer wurde.

      6. Erinnerungen

      Ayda weinte erst, als Lando gegangen war und sie sich zudem vergewissert hatte, dass die Kinder hinter dem Haus spielten. Wo war Jaron? Was war mit ihm geschehen? Sie erlaubte sich einen lauten Schluchzer und hielt sich den Unterleib. Da gab es etwas, dass ihre große Sorge bereitete, noch mehr Sorgen als sie sowieso schon hatte, und über das sie mit Lando so schnell wie möglich reden musste. Die Gesetze waren einfach nicht fair!

      Ayda ließ sich auf das große Bett in der Schlafkammer fallen. Jaron hatte es selbst gezimmert. Er war geschickt im Möbelbauen. Sie selbst hatte die Decke genäht. Ihre Hand strich über das hellbraune Fell, das unter ihr lag. Es stammte von einem Tier, das Jaron erlegt hatte. Sie kannte dessen Namen nicht, aber es war riesig gewesen. Jaron hatte nur das Fell mitgebracht und selbst daran hatte er schwer getragen. Ayda hatte es gegerbt und bearbeitet, bis es schließlich zu einer gemütlichen Decke wurde, die genug Wärme in den kalten Nächten spendete.

      Ach, Jaron! Der ganze Schmerz des Verlustes überflutete Ayda mit ungeahnter Heftigkeit. Sie war stark und hatte kaum jemals geweint, aber jetzt konnte sie nicht mehr damit aufhören. Warum musste ihnen das passieren? Wenn sie wenigstens wüsste, ob ihr Mann wirklich tot war. Sie horchte in sich hinein. Müsste sie nicht irgendetwas fühlen, das ihr sagte, was mit ihm geschehen war? Fühlte eine Frau nicht, wie es ihrem Geliebten ging? Doch da war nichts, außer Angst vor dem, was vor ihr lag.

      Ayda machte sich Gedanken darüber, was Lando von ihr erwarten würde. Würde sich sein Verhalten ändern? Was war, wenn er auf seine Rechte als Ernährer bestand? Was war, wenn er mit ihr das Bett teilen wollte? Sie mochte Lando sehr und kannte ihn schon ewig, doch wurde ihr bei dieser Vorstellung angst und bange.

      Ayda griff sich erneut an den Unterleib. Sie wusste, dass sie schwanger war. Sehen konnte man noch nichts, aber sie war sich sicher. In ihrem Alter hatte sie nicht mehr damit gerechnet und nun, da Jaron verschwunden war, verschwunden, nicht tot, würde sie das Kind nicht behalten können, es sei denn, Lando würde es als seines ausgeben. Sie musste mit ihm darüber sprechen, je eher, desto besser. Kurz ging ihr durch den Kopf, dass es noch eine andere Möglichkeit gab ihn glauben zu machen, dass es sein Kind sei, aber sie wollte ihn nicht hintergehen. Das hatte er nicht verdient. Sie würde in Ruhe mit ihm sprechen und dann seine Entscheidung akzeptieren.

      Ayda griff gedankenverloren nach ihrem Zopf und zog ihn unter dem Kragen ihres Kleides hervor. Schon wieder bekam sie Zweifel. Würde Lando darauf bestehen, dass sie sich die Haare abschnitt, wie es sich gehörte? Jaron hatte es akzeptiert, dass sie ihre langen Haare behalten wollte, aber würde ihr neuer Ernährer das auch so sehen? Ihr wurde übel, wenn sie daran dachte, wie sehr Lando Einfluss auf ihr zukünftiges Leben nehmen konnte. Vielleicht benahm er sich als Ernährer ja ganz anders als sonst. Es war möglich, dass sie Seiten an ihm entdeckte, die sie noch nicht kannte.

      Ayda stand auf. Sie musste etwas kochen, denn die Kinder würden Hunger haben, und Lando hatte sich ein stärkendes Mahl verdient. Ihr Blick fiel auf ihr graues Kleid. Sollte sie sich umziehen? Grau war die Farbe der Frauen, die auf ihre Männer warteten. Wartete sie noch? Durfte sie noch hoffen? Was sollte sie stattdessen tragen? Schwarz, weil ihr Mann für tot erklärt worden war? Aber wie würde das auf Lando wirken? Ihm stand eine bunte Farbe zu, doch dazu konnte Ayda sich nicht überwinden. Alles war noch zu frisch, und die Ereignisse folgten viel zu dicht aufeinander. Sie hatte keine Zeit sich mit dem Gedanken abzufinden, dass Jaron nicht mehr da war. Für ihren neuen Ernährer sollte sie farbenfrohe Kleidung tragen, die Freude ausdrückte, aber sie empfand keine Freude. Seufzend entschied sie sich dafür, erst einmal alles so zu belassen.

      Als sie sich zur Tür wandte, straffte sie ihren Rücken. Neue Tränen bahnten sich an, wo die alten doch gerade erst getrocknet waren. Tapfer drängte sie sie mit aller Willenskraft zurück. Sie musste sich zusammenreißen. Lando sollte sie bei seiner Rückkehr nicht so aufgelöst vorfinden.

      Ayda ging zum Waschzuber, um sich das Gesicht zu reinigen. Das kalte Wasser tat ihren brennenden Wangen gut. Dann begab sie sich in die Speisekammer, um nachzusehen, was sie noch an Vorräten besaß. Sie wollte etwas Gutes kochen, denn Lando sollte merken, dass er willkommen war.

      Alles was sie hier sah, erinnerte sie augenblicklich an Jaron. Er hatte die Pilze gesammelt, die aufgereiht an einer Schnur zum Trocknen in der Kammer hingen. Jaron hatte das Tier erlegt, dessen Fleisch hier gepökelt auf den Verzehr wartete.

      Aydas Kehle wurde eng und sie glaubte, keine Luft zu bekommen. Ihre Lungen brannten, aber sie schaffte es nicht, einzuatmen. Ein gequälter, kaum noch menschlicher Laut, bahnte sich seinen Weg aus ihrem tiefsten Inneren. Es war so schwer, beinahe unerträglich! Sie musste hier raus und erst einmal frische Luft schnappen. Doch bevor sie die Kammer verlassen konnte, überkam sie ein so heftiger Schwindel, dass sie zu Boden sackte.

      7. Verschwörung

      Rubion saß mit seinen Freunden beisammen und betrank sich. Er empfand es als große Schmach, dass ausgerechnet Lando, der Krüppel, ihn in Aydas Gunst übertrumpft hatte. Dieser Taugenichts war ihm vorgezogen worden, und das war einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei hatten sie doch alles so gut vorbereitet.

      Lando! Wenn er diesen Namen hörte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Sogar seine eigene Mutter hatte Lando ihrem Sohn vorgezogen!

      Rubion wusste noch genau, wie sie dem kleinen, blonden Bengel immer über den Kopf gestreichelt hatte. Wut wallte in ihm auf, wenn er daran dachte, wie sie diesem Knilch bei seinen erkauften Besuchen heimlich ein paar besondere Leckereien zusteckte. Alleine wie seine Mutter diese Missgeburt ansah!

      Rubion empfand es jedes Mal als Strafe, wenn die Frau, die ihn geboren hatte, Kinder kaufte, die mit ihm spielten. Warum sie das damals getan hatte, war ihm heute noch ein Rätsel. Sie