Alegra Cassano

Endora


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das Schwert glänzte silbern an dem, reich mit funkelnden Steinen verzierten Gürtel. Sogar seine Gesten wirkten auf sie bedrohlich. Wie er die Hände in die Hüften stemmte, immer eine Hand in der Nähe seiner Waffe, als müsse er bereit sein zu kämpfen. Wie er den Kopf steif aufrecht hielt, das Kinn vorgereckt. Die Beine streckte er voll durch, um sich in seiner ganzen Größe zu präsentieren und er stand breitbeinig, als dürfe er nicht schwanken, damit niemand ihn von diesem Platz vertreiben konnte. Rubions pechschwarze Haare bekamen durch die Sonne einen violetten Schimmer. Sein ebenso schwarzer Bart bedeckte das halbe Gesicht und leider auch seinen Mund, was sie bedauerte, denn er besaß schön geschwungene Lippen, wie sie von früher wusste. Die Augen, ehemals von einem warmen braun, waren nun schwarz wie die Nacht, so dass Ayda kaum die Pupillen erkennen konnte. Alles, was an Rubions Körper früher rund und weich gewesen war, wurde heute durch straffe Muskeln ersetzt. Sie betrachtete seine Hand, die sie manchmal gehalten hatte. Die dicken, kurzen Kinderfinger waren schmal und knochig geworden. Jetzt lächelte er auch noch, wobei sein Bart sich teilte und den Blick auf kleine gelbe Zähne frei gab, was ihr eine Gänsehaut zusammen mit weiteren Erinnerungen bescherte.

      Rubion hatte es nach ihrer ersten Begegnung darauf abgesehen, sie zu treffen, sobald sie sich in seinem Haus befand. Er sprach kaum, was Ayda verunsicherte. Oft starrte er sie lange Zeit einfach nur an. Weiterhin half er ihr, die Kräuter zu besorgen, obwohl sie das selbst gekonnt hätte, zumindest als sie älter war und nicht mehr so ängstlich, wie als kleines Mädchen. Ihr wurde allmählich bewusst, dass Rubion sich in sie verguckt hatte. Eigentlich war das nicht verwunderlich, denn in seinem Haus gab es keine anderen weiblichen Wesen, die auch nur annähernd in seinem Alter waren. Seine Mutter lud immer nur die Jungen des Dorfes ein, damit sie mit ihrem Sohn spielten. Als Dank erhielten sie dafür etwas zu essen.

      Lando und Jaron gehörten zu Rubions damaligen Spielgefährten. Sie hatten Ayda einige Male von diesen Treffen berichtet und es hörte sich immer so an, als würden sie sich über Rubion lustig machen, der auf Grund seiner Körperfülle nicht mit ihnen mithalten konnte. Aydas Gefühle schwankten bei diesen Berichten meistens zwischen Mitgefühl für Rubion und dem Drang, mit ihren Freunden zu lachen.

      „Macht euch nicht über ihn lustig!“, wies sie die Jungen oft zurecht und fügte dann etwas leiser hinzu: „Wenn er davon erfährt, lässt er euch die Köpfe abschlagen.“

      Doch die beiden lachten dann nur und alberten weiter herum.

      Das Einzige, das heute für Rubion sprach, war sein Reichtum. Er besaß ein großes Haus mit Angestellten, die er allerdings schlecht behandelte, wie ihr zu Ohren gekommen war. Rubions Jähzorn war gefürchtet. Geschichten machten die Runde, von verletzten Dienstmägden und schwer verwundeten Stalljungen. Ayda konnte sich nicht vorstellen, wie er sich gegenüber ihren Kindern verhalten würde. Bale war nicht immer folgsam und Rubion hatte keine Erfahrung mit der Erziehung von Kindern. Das machte ihr Sorgen.

      Ihr Blick wanderte weiter zu Lando, und sie konnte sich eines winzigen Lächelns nicht erwehren, das sie aber sofort unterdrückte. Er war ihr fast so vertraut wie Jaron und sie verknüpfte mit ihm schöne Erinnerungen an Ausflüge und Abende am Feuer. Lando war geduldig und verstand sich gut mit ihren Kindern. Außerdem war er schon immer hilfsbereit und tierlieb gewesen. Als sie Kinder waren, versuchte Lando immer, verletzten Wildtieren zu helfen. Meist schaffte er es nicht, da Tiere in Endora als Nahrungsquelle angesehen wurden. Landos Vater schlachtete die armen Kreaturen, die er in seinem Schuppen fand. Trotzdem hörte sein Sohn nicht auf, die Verletzten zu pflegen, nur dass er sich dafür einen anderen Ort suchte.

      Ayda rechnete es Lando hoch an, dass er sich so mutig gegen Rubion stellte. Vielleicht hätte der dritte Mann sich gar nicht gemeldet, wenn Lando nicht vorgetreten wäre, und ihr wäre dann keine Wahl geblieben, als mit Rubion zu gehen. Ayda wusste, dass Jaron und Lando wie Brüder waren, und obwohl sie spontan zu ihrem Freund tendierte, zögerte sie doch genau aus diesem Grund.

      Er war ein wunderbarer Mann, doch sie wusste, dass er selbst das ganz anders sah. Er reduzierte sich auf sein schlimmes Bein, was sie völlig unsinnig fand. Wenn Lando durch den Ort ging, folgten ihm die Blicke der ledigen Frauen, und schon oft hatte Ayda darin Begehren gelesen. Lando sah gut aus, mit seinem hellen, lockigem Haar und den blauen Augen, die er von seinen Eltern geerbt hatte und die in Endora etwas Außergewöhnliches waren. Früher hatte Lando sein Aussehen gehasst. Er hatte seine Haare mit Lehm beschmiert, damit er den anderen Jungen ähnlicher sah, später trug er oft eine Lederkappe oder die Kapuze seiner Jacke. Angeblich wollte er sich tarnen, damit er besser jagen konnte, aber das hatte Ayda ihm nie abgenommen. Zum Glück schien Lando sich heute zumindest mit seinem Aussehen abgefunden zu haben. Den Bart stutzte er sauber zurecht, und wenn er lachte, blitzten weiße Zähne, die sogar noch vollständig waren, was hier ebenfalls eine Seltenheit war. Landos Oberkörper wirkte sehr kräftig, doch an der Taille wurde er schmal, fast wie bei einer Frau. Ayda fand das insgeheim aufregend, denn die anderen Männer die sie kannte, hatten eine stämmige Figur, auch Jaron.

      Lando strahlte immer noch etwas Jugendliches aus, obwohl er ein Jahr älter war als sie. Ganz erwachsen war er nie geworden, und hinter seinen Himmelsaugen sah sie immer wieder den unbeschwert herumspringenden Jungen, der es nicht fertigbrachte, lange still zu sitzen. Es musste eine Qual für ihn gewesen sein, nach seinem Unfall so lange nicht aufstehen zu dürfen.

      Ayda wandte sich zögernd Kahn zu, den sie nur wenige Male gesehen und mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hatte. Sie fühlte sich durch seine enorme Größe eingeschüchtert, obwohl seine Stimme angenehm klang und er freundliche Absichten zu haben schien. Vielleicht war es wirklich am besten ihn zu wählen, einen völlig Unbekannten, mit dem sie nichts verband. Sollte Jaron heimkommen und seine Familie zurückverlangen, hätte er in Kahn einen fremden Nebenbuhler vor sich, allerdings auch einen sehr starken. Verzweifelt sah sie dem großen Mann in die, für sein kantiges Gesicht viel zu sanften Augen.

      Was sollte sie nur tun? So gerne sie an Jarons Rückkehr glauben wollte, so unsinnig schien sie. Der Rat würde sie doch nicht neu vergeben, wenn sie nicht sicher waren, dass ihr angestammter Ernährer tot war, oder? Zu gerne hätte sie nach einer Erklärung verlangt, aber Dimetrios hatte schon zu Anfang klar gemacht, dass er ihr als Frau keine Rechenschaft schuldig war.

      „Willst du selbst entscheiden, oder soll ich es für dich tun?“, fragte der Ratsherr, dem anzumerken war, dass er nicht länger warten wollte.

      Ayda versuchte, sich zusammenzureißen. Sie straffte die Schultern und ging einen kleinen Schritt auf Lando zu. Ihr Sohn Bale hatte sie längst los gelassen, nur Banja klammerte sich weiter an ihren langen Rock. Die Kinder kannten Lando gut. Er war wie ein Freund für sie und hatte schon oft mit ihnen und Jaron Ausflüge unternommen. Er hatte Bale einige Fallen gezeigt, die der Junge selbst stellen konnte, und Ayda verstand nicht, warum ihr Sohn sich jetzt so abweisend benahm. Ihr missfiel es ebenfalls, dass Jaron ersetzt werden sollte, aber was konnte sie dagegen tun?

      „Triff jetzt deine Entscheidung, Ayda“, forderte Dimetrios sie unmissverständlich auf. Wie sollte sie eine so wichtige Wahl unter diesem Druck treffen? Verzweifelt sah Ayda sich um. Sie fühlte sich, als würde alle Kraft aus ihr weichen. Ihre Knie wurden weich, und sie hatte Angst, zu fallen. Das Blau von Landos Augen zog sie förmlich in ihren Bann und gab ihr die Kraft, aufrecht stehen zu bleiben.

      „Bist du sicher?“, flüsterte sie kaum hörbar. Er nickte sofort.

      „Du weißt, was passieren kann …“, setzte Ayda noch einmal an, wurde aber von Rubion unterbrochen.

      „Ayda! Warum zögerst du? Unter diesen Dreien bin ich die beste Wahl. Das weißt du genau“, seine Stimme klang ungehalten und gekränkt.

      Ayda löste ihren Blick von Landos und wandte sich Rubion zu. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als sie ihn ansah. Sie hörte Bale hinter sich und meinte das Wort „Mutter“ zu verstehen, doch sie drehte sich nicht nach ihrem Sohn um. Diese Entscheidung musste sie alleine treffen, und Rubion kam überhaupt nicht in Frage. Sie musste ihre Absage jetzt nur so formulieren, dass er nicht beleidigt war.

      „Rubion“, begann sie und der Versuch, ihre Stimme ruhig zu halten, gelang ihr zu ihrem eigenen Erstaunen.

      „Es ehrt mich, dass du mir