Alegra Cassano

Endora


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ging es den Dorfjungen um Kämpfe oder Laufspiele, bei denen er jedes Mal verlor. Sie kosteten ihren Triumph weidlich aus und schlugen sich dann auch noch die Bäuche voll.

      Ein einziges Mal war es Rubion gelungen, sich erfolgreich zu verteidigen. Er hatte seinem Vater ein richtiges Schwert stibitzt, und die Erinnerung an Jarons entsetzten Blick, als er ihn damit in die Enge trieb, versüßte ihm noch lange das Leben. Das Gefühl, wie er die Klinge an den Hals des verhassten Spielgefährten gepresst hatte, war berauschend gewesen. Dessen Zittern hatte sich über das Metall bis in seinen Arm übertragen, und er hatte die Angst seines Gegenübers so deutlich gespürt wie sonst nur seine eigene.

      Damals hatte er gelernt, wie man jemandem Respekt beibrachte.

      Noch schöner war nur der Tag gewesen, an dem Lando diesen Unfall hatte. Der Schwachkopf war in eine Falle gelaufen, die Jäger für einen Barbatus gebaut hatten, der die Gegend unsicher machte. Fast wäre er an seinen Verletzungen gestorben. Leider hatte Alamea, die Heilerin, Lando wieder ins Leben zurückgeholt, was Rubion zutiefst bedauerte. Doch ganz hatte sie ihn nicht wieder herstellen können. Jedes Mal, wenn Rubion Lando durch die Gegend humpeln sah, breitete sich ein ungeheures Glücksgefühl in ihm aus. Bis heute.

      Ein Diener brachte neues Bier in schweren Krügen und verschüttete etwas, als er sie abstellte. Sofort richtete sich Rubions Zorn auf den Unglücklichen, und wenn seine Freunde ihn nicht zurückgehalten hätten, wäre wohl Schlimmes geschehen. Noch bevor er zur Waffe greifen konnte, schritt Natas ein.

      „Rubion! Du musst dich beruhigen. Du weißt, wie du den Kerl los wirst, und es ist sogar rechtmäßig. Warte nur eine Weile, dann wird Ayda schon zu dir kommen“, sagte Natas, Rubions bester Freund. Rubion schwirrte der Kopf vom vielen Alkohol. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, was Natas meinte. Dann grinste er, schüttelte aber zugleich den Kopf: „Ich weiß nicht. Er ist schwer verletzt, oder? Sagtest du nicht, er sei mehr tot als lebendig?“

      Natas grinste verschlagen, wobei die Narben, die sein Gesicht verunzierten, sich verzogen und spannten.

      „Er lebt. Denk doch mal nach, Rubion. Jaron weiß nicht, wo er ist, und er hat bisher keinen von uns gesehen. Du musst nur dafür sorgen, dass er gesund wird und nach Hause geht. Den Rest erledigt er dann für dich.“

      Natas lachte bei dem Gedanken, aber Rubion konnte ihm wieder nicht folgen.

      „Moment. Jaron erledigt Lando? Seinen besten Freund? Warum sollte er das tun?“, fragte er mit schwerer Zunge.

      Natas winkte ab: „Lass uns morgen darüber reden, wenn du den Kopf wieder frei hast. Das hat heute keinen Sinn. Außerdem läuft Jaron uns nicht davon“, meinte er. Das war Rubion ganz recht. Er konnte kaum noch die Augen offen halten, und in diesem Zustand ließen sich keine Pläne schmieden. Nach einem letzten Schluck fiel er seitwärts vom Stuhl.

      8. Ein Kind

      Alles in Jarons Haus war Lando vertraut. Teilweise hatte er ihm geholfen, die Möbel zu fertigen oder Holz dafür zu sägen. Jetzt saß er mit Ayda am Tisch in der Küche. Die Kinder hatten mit ihnen gegessen, waren aber sehr schweigsam gewesen. Banja hatte Lando manchmal zaghaft zugelächelt, aber Bale hatte nur böse Blicke für seinen neuen Ernährer übrig.

      Lando überlegte, ihn darauf anzusprechen, entschied dann aber, dass er das nicht vor den anderen tun wollte. Das Essen war vorzüglich, doch Ayda, die sehr blass aussah, verteilte ihre Portion nur immer wieder anders auf ihrem Teller. Banja wurde bald unruhig, und ihre Mutter erlaubte ihr, zu Bett zu gehen. Lando mischte sich nicht ein. Er musste sich erst einmal an den Ablauf in dieser Familie gewöhnen.

      Die kleine Banja kam zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange, was Lando sehr freute. Er lächelte ihr zu: „Schlaf gut und pass auf, dass die Wulas dich nicht beißen.“ Banja sah einen Moment besorgt aus, aber dann lachte sie: „Pass selber auf, dass die Wulas dich nicht beißen“, gab sie zurück. Lando nickte ernst: „Mach ich.“

      Er überlegte, ob er Banja in ihre Schlafkammer bringen sollte, aber Bale nahm seine Schwester schon bei der Hand.

      „Es gibt bei uns gar keine Wulas“, hörte Lando Bale erklären, während er den beiden nachsah, als sie den Raum verließen.

      „Er kümmert sich gut um seine Schwester“, stellte er fest. Ayda schreckte aus ihren Gedanken. Sie nickte, stand auf und begann den Tisch abzuräumen. Lando wollte ihr helfen, was er früher als Gast nie getan hatte, aber sie lehnte ab.

      „Bitte bleib sitzen. Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen. Ich bin sofort fertig.“

      Sie lief geschäftig zwischen Tisch und Spülstein hin und her. Seufzend setzte Lando sich, sah ihr zu und hoffte, dass sie seine Hilfe nicht aus Rücksicht auf sein schlimmes Bein abgelehnt hatte. Er war sehr gut in der Lage, sich zu bewegen und mitzuhelfen, und konnte es gar nicht leiden, wenn jemand Rücksicht auf ihn nahm. Kurz überlegte er, wenigstens den schweren Topf zur Spüle zu tragen, ließ es dann aber. Er wollte keinen Streit. Die Stimmung war sowieso schon angespannt.

      Lando fiel auf, dass Ayda länger als nötig mit dem Geschirr beschäftigt war. Sie schien absichtlich zu trödeln. Wollte sie Zeit gewinnen? Er fragte sich, was sie ihm zu sagen hatte. Schon während des Essens war sie schweigsam gewesen und hatte vermieden, ihn anzusehen. Die Stimmung in diesem Haus war ganz anders, als er es von früher kannte und das machte ihn nervös.

      Ayda brachte zwei dampfende Becher an den Tisch und setzte sich ihm gegenüber. Einen der Becher schob sie ihm zu. Es half ja nichts. Je eher sie es ihm sagte, desto eher hatte sie Gewissheit. Unangenehmes Schweigen machte sich breit und die Luft schien dicker zu werden. Atmen wurde anstrengend. Lando nahm das Getränk und schnupperte daran. Es roch süß und nach Kräutern. Dampf stieg ihm in die Nase. Fragend sah er Ayda an.

      „Kräutermet“, erklärte sie, „das haben Jaron und ich abends oft getrunken.“ Sie starrte auf die Tischplatte und schluckte. Lando wartete geduldig, bis sie sich gefasst hatte. Er blies in den Becher, wirbelte damit den Dampf auf und nahm dann vorsichtig einen Schluck.

      „Schmeckt gut“, stellte er fest. Ayda hatte eine Hand auf der Tischplatte liegen. Lando griff danach und hielt sie fest.

      „Hab keine Angst. Du kennst mich doch“, sagte er schnell. Ihr Blick war unruhig und huschte um ihn herum, richtete sich aber nie direkt auf sein Gesicht. Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann entzog sie ihm unsanft ihre Hand und sagte mit zittriger Stimme: „Ich bin schwanger.“

      Lando starrte sie an, und ihr Herz blieb beinahe stehen. Sie wünschte sich, dass er irgendetwas sagen würde, aber das tat er nicht.

      „Ich bin schwanger“, wiederholte sie leise, beugte sich vor und sah ihm endlich in die Augen. Dieses Mal war er es, der auswich.

      „Bitte sag was“, flehte Ayda, die es einfach nicht länger aushalten konnte.

      „Ein Kind“, sagte Lando tonlos und schüttelte den Kopf. Er hatte nicht viele Erfahrungen mit Säuglingen. Außer Bale und Banja hatte er noch nie ein Neugeborenes im Arm gehabt. Sie wirkten so zart und zerbrechlich, dass er sich nie getraut hätte, sie anzufassen, aber Jaron hatte ihm jedes Mal das kleine Menschlein anvertraut. Er erinnerte sich an das warme Gefühl, als er sie im Arm gehalten hatte. Es war schön gewesen, zu schön.

      Lando war damals schon klar gewesen, dass er keine eigenen Kinder haben würde. Welche Frau wollte schon Nachwuchs mit einem Krüppel?

      „Lando?“, fragte Ayda vorsichtig. Sie sah, dass er tief in Gedanken versunken war, aber sie brauchte jetzt eine Antwort.

      „Ein Kind“, wiederholte er lauter und lächelte ihr zu, „Ich freue mich.“ Ayda fühlte, wie eine tonnenschwere Last von ihren Schultern fiel.

      „Wirklich?“, fragte sie hoffnungsvoll und er nickte. Trotzdem wollte sie sichergehen, dass er verstanden hatte.

      „Lando, du kennst doch die Gesetze dazu, oder?“, fing sie an. „Es ist Jarons Kind. Eigentlich dürfte ich es nicht bekommen, es sei denn, du …“.

      Er