Carsten Dohme

Forsetas


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verleitete, waren nicht mehr in Sichtweite. Doch der Mann stand unbeirrt wie ein Fels in der Brandung wogender Weltgeschichte.

      Erich sah hinüber zu dem Kommandanten des U-Bootes, der zusammen mit einem nervös dreinblickenden Matrosen zwei schwere Holzkisten auf eine Barkasse lud. Was konnte da wohl drin sein, wenn selbst ein Offizier sich für diese Aufgabe nicht zu schade war?

      Plötzlich knallte es wie Schüsse aus Gewehrläufen. Erich drückte sein Gesicht in den Sand. Nichts passierte. Er hob den Kopf und sah wieder hinüber zu dem Boot.

      Falscher Alarm. Es waren Fehlzündungen des Barkassenmotors gewesen. Der Motor soff ab, und das Boot driftete mit der Strömung nach Norden. Hektische Rufe ertönten. Der Kapitän und seine Männer paddelten mit den Händen und eilig herausgerissenen Planken, um den Abstand zwischen sich und dem U-Boot zu vergrößern. Einen kläglichen Anblick bot die kaiserliche Kriegsmarine da, als U-20 einem gestrandeten Wal gleich mit jeder Welle tiefer in den Sand eingegraben wurde.

      Der Fotograf hielt den Finger auf dem Auslöser. Minute um Minute verstrich. »Warten, warten, warten«, flüsterte Erich immer wieder vor sich hin. Er fühlte sich wie ein Soldat im Schützengraben, auf den die feindlichen Truppen mit lautem Hurrageschrei zustürmten.

      »Bum!« Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Stille, ein Feuerball stieg senkrecht in die Luft, und schwarzer Rauch wurde trichterförmig in alle Richtungen geschleudert. Noch ehe er den Auslöser betätigen konnte, erfasste den Fotografen die Druckwelle und katapultierte ihn zusammen mit Kamera und Stativ nach hinten, vom Dünenkamm hinunter.

      Splitter waren wie Schrapnellgeschosse in die Dünen eingeschlagen, hatten die Linse der Kamera getroffen und zerstört. Glück gehabt, Kamerad, dachte Erich und sah sich um. Metallplatten von der Größe eines Esszimmertisches waren bis zu hundert Meter weit geschleudert worden und nur wenige Meter entfernt in den Sand eingeschlagen. Langsam erhoben sich die Menschen um ihn herum aus dem Sand. Einige standen so sehr unter Schock, dass sie ihre Körper nach Verletzungen abtasteten.

      Erich sprang auf. »Bäng, endlich ist hier mal was los!« In großen Sprüngen strebte er dem Strand entgegen. Als er an dem Fotografen vorbeikam, blieb er kurz stehen und schaute auf das Blut, das in den Sand tropfte.

      »Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?« fragte er.

      »Nein, nein danke«, antwortete der geistesabwesend. »Es

      geht schon.«

      Das Ausmaß der Zerstörung war gewaltig. Einige hundert Meter entfernt dümpelte die durch die Wucht der Explosion gekenterte Barkasse in der Brandung. Der Kommandant schleppte sich mit hängendem Haupt in Richtung Ufer.

      »Wir haben die Deutschen kalt gemacht«, rief Erich. »Schnappt euch die Beute!« Zielstrebig steuerte er auf eine Kiste zu, wuchtete sie hoch und gab Fersengeld.

      NORDSEE WESTLICH VON DÄNEMARK - 4. JULI 2013

      Anders Knudsen fuhr seit achtundzwanzig Jahren zur See. Aber so einen Nebel hatte er selten erlebt. Die Sicht reichte kaum bis zum Bug seines gut dreißig Meter langen Fischerbootes, der RI 49 Britta, die langsam mit der Küstenströmung nach Norden driftete. Der Motor war zum zweiten Mal in dieser Woche verreckt. Er nahm den Bordfunk zur Hand. »Martin, wie sieht es aus? Bekommst du es hin? Wie lange brauchst du noch? Ich würde gern wieder Fahrt aufnehmen bei dieser Suppe da draußen. Wir treiben auf die Schifffahrtsrouten zu.«

      »Ich muss die Spritzuleitung ersetzen. Dann habe ich es.

      Warum hast du auch keine bestellt?«

      »Du machst das schon. Aber beeil dich!«

      Diese Nacht meinte es Neptun gut mit ihnen. Bis auf einen sanften Wellengang bei einer leichten Brise war das Wasser spiegelglatt. Trotzdem, die Stille rings um das Boot hatte heute etwas Unheimliches. Er erschrak, als durch die Lautsprecher das Rufsignal des Funksprechgerätes quäkte.

      »Britta, hier spricht die Emile Robin. Bitte kommen.«

      »Hier ist die Britta, Peter, bist du das?«

      »Ja. Einen schönen guten Morgen.«

      Knudsen sah auf die Uhr. Es war vier.

      »Was gibt es? So früh schon auf den Beinen?«

      »Ja, das Küstenradar in Aalborg ist ausgefallen. Wir schippern die Küste auf und ab und überwachen den Bereich zwischen Hanstholm und Esbjerg. Schau auf dein Radar. Da kommt was mit hoher Geschwindigkeit auf euch zu.«

      »Ich hab nichts auf dem Radar außer der Baltic Star. Warte!« Er tippte auf den Monitor und rief die Schiffsdaten des Frachters ab. »… auf dem Weg nach Irland.«

      »Ich sehe, du kannst endlich mit dem Gerät umgehen.«

      »Die Verbindung reißt ab. Peter?«

      »Ja, ja, schau auf dein Radar. Was immer … kommt verdammt schnell auf euch zu … auf direktem Kollisionskurs.«

      »Hier ist nichts. Was ist mit deinem Funkgerät?«

      »… gerade noch eine halbe Meile entfernt. Du musst es … Hau ab da!«

      »Ich hau hier gleich ab. Wir holen die letzten Krabbenkörbe ein, und dann sind wir verschwunden.«

      »Krabbenkörbe? … verarscht doch. … Kahn wieder liegen geblieben?«

      »Alles gut. Hier ist nichts.«

      »Sieh raus. Das Nichts nähert sich mit fast hundert Knoten.«

      Einen Moment lang herrschte Funkstille.

      »Hundert Knoten, ist das ein Torpedo oder was?«

      »… weiß nicht, was es ist. … kein AIS-Signal. Hau ab da jetzt!«

      »Kann ich nicht.«

      Ein dumpfes Grollen erhob sich aus dem Nebel achtern. Als Knudsen nach hinten aus dem Steuerhaus blickte, sah er den Rumpf eines mattschwarzen Power-Bootes nur wenige Meter vom Heck aus dem Nebel auftauchen.

      »Alles klar, Peter. Sind wahrscheinlich ein paar reiche Araber aus London, die sich verfahren haben. Ich melde mich wieder. Over and Out. Peter?«

      Nichts. Nur statisches Rauschen.

      Der Motor des Rennbootes lief im Standgas und produzierte dennoch so viel Lärm, dass man damit die halbe Nordsee hätte aufwecken können, dachte Knudsen. Er wollte das Boot gerade anfunken, als er ein Ploppen hörte, gefolgt vom Scheppern einer Metallhülse, die auf das Achterdeck aufschlug. Mit einem dumpfen Knall begannen Funken und Rauch aus dem Metallkörper zu sprühen.

      »Verflucht, was soll das?«

      Kaum hatte er das ausgesprochen, hörte er zwei weitere Donnerschläge über sich.

      »Jetzt reicht es aber, die werde ich …«

      Ehe er den Satz beenden konnte, schnürten sich seine Atemwege zu. Weißer Schaum trat aus Mund und Nase, Krämpfe durchzuckten seinen Brustkorb. Ihm war schwindelig. Er versuchte Halt zu finden, doch seine Hand verfehlte die Wand, und er stürzte den Niedergang hinunter.

      Matson steckte mit dem ganzen Oberkörper in der Bilge,

      um den Schlauch einer der Lenzpumpen abzuziehen. Daraus konnte er einen Ersatz für die völlig zugesetzte Kraftstoffleitung basteln. »Scheißkahn!«

      Über sich hörte er das Getrampel schwerer Stiefel, die über das Deck liefen. Dann flog das Schott zum Maschinenraum auf.

      So schnell? Das kann nicht Knudsen sein. Ehe er den Gedanken zu Ende führen konnte, spürte er mehrere Einschläge in seinen Rücken. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand stumpfe Metallrohre hineingestoßen. Mit dem Eindringen der Geschosse verließ seinen Körper jegliche Kraft. Als stünde er neben sich und wäre nur Beobachter der grausigen Szene, sah er Blut aus seinen Lungen in die Bilge fließen. Dann wurde alles schwarz um ihn herum, und er rutschte durch die Öffnung in das schmuddelige, von Blut und Öl purpurrot gefärbte Wasser