Esther Hazy

Schmetterlingsscherben


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hatte er ein schlechtes Gewissen, wenn er mich im Auto warten ließ. Die Wahrheit aber war, dass ich auch an meiner neuen Schule kaum Freunde gefunden hatte. Der einzige Vorteil an Hannover war die Anonymität gewesen. Ich war für alle anderen quasi unsichtbar gewesen.

      «Wie wäre es, wenn du mich beim Krankenhaus absetzt, dann können die mir den Gips abnehmen», schlug ich also stattdessen vor. Mein Vater war sichtlich erleichtert über diesen Vorschlag und nickte zustimmend. Ich dirigierte ihm den Weg zu der Klinik, in der ich nach dem Unfall so viele Wochen verbracht hatte, und verabschiedete mich von meinem Vater.

      Natürlich hatte ich keinen Termin und dazu kam auch noch, dass es Wochenende war, sodass ich Ewigkeiten im Wartezimmer rumsaß, bis sich irgendein Azubi schließlich dazu erbarmte, mir den blöden Gips abzunehmen.

      Mein Vater wartete bereits auf mich, als ich endlich mit zwei freien Füßen (und nur einem Schuh) aus dem Gebäude humpelte. Den angeknacksten Fuß konnte ich noch nicht ganz belasten, aber es wurde mit jedem Schritt besser.

      Offenbar hatte der Termin mit der Maklerin nicht länger als eine Stunde gedauert, denn mein Vater war anschließend noch einkaufen gefahren und hatte trotzdem noch warten müssen, bis ich endlich den blöden Klumpfuß losgeworden war.

      «Die Maklerin meinte, wir bekommen einen guten Preis für das Haus», erzählte Rüdiger, sobald ich im Auto saß und meinen Fuß vorsichtig hin und her bewegte, um zu testen, ob wirklich alles wieder heile war.

      «Das ist schön, Pa», nickte ich und kratzte mich am Knöchel. Das hatte ich schon seit zwei Wochen tun wollen.

      «Und du willst nichts mehr von dem haben, was jetzt noch da ist?», fragte er. «Du kannst alles mitnehmen, was du willst!»

      «Auch den Fernseher?», grinste ich. Rüdiger verzog das Gesicht und ich lachte los. «Schon gut, Paps. Ich komme auch ohne irgendwie klar.»

      «Wir haben jede Menge Bücher zu Hause.»

      «Ich weiß.» Ich verdrehte die Augen. «Aber ich brauche wirklich nichts mehr aus dem alten Haus. Verscherbele es alles, ich will nichts mehr davon sehen.»

      Mein Vater schwieg, also hörte ich wieder Musik und starrte auf die Straße nach draußen, während wir Hannover hinter uns ließen.

      Es war bereits später Nachmittag, als wir endlich wieder zurück in Hoya waren und mein Vater den Wagen in der Einfahrt parkte.

      «Was willst du heute Abend essen?», fragte Rüdiger, als wir im Haus waren und ich meine Jacke an den Haken hängte.

      «Mir egal, such du aus», antwortete ich wie jedes Mal, wenn er mich diesbezüglich fragte. «Ich wollte waschen, hast du auch noch dreckige Sachen?»

      «Ein Hemd, das müsste in meinem Schlafzimmer auf dem Bett liegen. Es wäre lieb, wenn du das mitnehmen könntest.»

      «Klar», nickte ich und lief die Treppe hinauf, um meine Wäsche zusammenzusuchen und anschließend bei meinem Vater ins Schlafzimmer zu gehen, um das Hemd aufzulesen. Stirnrunzelnd betrachtete ich den überfüllten Wäschekorb vor seinem Fenster und nahm ihn ebenfalls mit nach unten.

      «Weißt du, wie du die Waschmaschine bedienst?», fragte Rüdiger, der bereits in der Küche war, um das Abendessen vorzubereiten.

      «Ich hab schon mal gewaschen, Paps. Ich krieg das schon hin», erwiderte ich und ging die Treppe hinunter in den Keller. Ich hatte bisher nur einen flüchtigen Blick hier runtergeworfen, weil es nichts wirklich Interessantes in dem Kellerraum gab. Es war kalt und düster hier unten und die Lampe unter der Decke bestand nur aus einer losen Glühbirne in einer Fassung, die leicht flackerte.

      Außer der Waschmaschine und dem Trockner gab es nur noch einige wenige Regale, in denen sich ein paar unverderbliche Lebensmittel stapelten und eine alte, verstaubte Clownsfigur, die mir irgendwie bekannt vorkam. Ich meinte mich daran zu erinnern, dass sie früher in meinem Kinderzimmer gesessen hatte.

      Seufzend stellte ich den Wäschekorb auf der Maschine ab und öffnete sie, ehe ich die Klamotten hineinstopfte und mich nach Waschmittel umsah. Ich zuckte zusammen, als ich hinter mir ein Rascheln hörte. Erschrocken drehte ich mich um, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen.

      Ich entdeckte die Flasche mit dem Flüssigwaschmittel in einem der nahstehenden Regale und füllte es in die Maschine, ehe ich sie anstellte.

      Mein Blick flog erneut durch den Raum, als etwas an meinem Bein zupfte und ich entsetzt aufschrie und zurücksprang. Die Clownspuppe grinste mich mit ihrem perfiden Lächeln an und ich kreischte los und rannte wie eine Irre zurück zur Treppe und die Stufen hinauf. Erst, als ich oben im Tageslicht war und die Tür zur Treppe hinter mir zugeknallt hatte, blieb ich stehen und schnappte nach Luft.

      «Louise?!» Mein Vater sah besorgt in den Flur. «Ist alles in Ordnung?»

      «Da… diese…» Mein Atem stockte und mein Gehirn hatte Probleme, mitzukommen. Ich konnte ihm nicht erzählen, was ich eben gesehen hatte. Er würde mich sofort wieder zu Doktor Meineken bringen. «Ich hab Angst vor Clowns.»

      Rüdiger lachte los. «Das ist deine alte Puppe!», rief er. «Du hast sie früher geliebt. Wie hast du ihn nochmal genannt? Ach, ja! Bodo. Bodo der Clown.» Er schüttelte den Kopf und verschwand wieder in Richtung Küche, während ich erleichtert ausatmete und mir überlegte, wie ich diese blöde Clownspuppe aus dem Haus schaffen konnte. Das war ja wie in einem schlechten Horrorfilm.

      «Paps? Ich geh kurz frische Luft schnappen, ja? Bin bis zum Abendessen wieder zurück!», rief ich und öffnete vorsichtig die Kellertür. Bodo stand direkt dahinter und sah zu mir hoch. Na immerhin hatte er kein Messer oder so in der Hand. Im Tageslicht sah er auch gleich schon weniger furchteinflößend aus.

      «Louise?», fragte die Figur leise. Gott, es kannte meinen Namen. Oder hatte ihn gerade von meinem Vater aufgeschnappt. Das konnte ich nicht genau sagen.

      «Psst», zischte ich, packte ihn mir und ging zielstrebig nach draußen. Ich musste irgendwie weit genug weg von meinem Haus kommen, damit es mich nicht zurückverfolgen würde. Der dämliche Engel hatte es ja auch irgendwie wieder ins Haus geschafft. Aber das war eine winzige, silbrige Engelsfigur, die wirkte nicht bedrohlich auf mich.

      «Louise, bist du das?», quiekte der Clown unter meinem Arm, während ich durch den Vorgarten marschierte. Das war so seltsam, wie es klang.

      Drei Straßen weiter stellte ich den Clown ab und starrte missmutig zu ihm hinunter.

      «Du bist so groß geworden!», rief er und strahlte mich an. Ich überlegte einen Moment, ob ich der Figur den Kopf abtreten sollte, damit es endlich die Klappe hielt, aber das kam mir dann doch übertrieben vor. Abgesehen davon, dass es mit Sicherheit nicht gut ankam, wenn ich in der Dämmerung draußen auf der Straße Clowns köpfte. Das könnte leicht verrückt auf die Nachbarn wirken. Und die hielten mich eh schon alle für gestört.

      Stattdessen tat ich also das Einzige, was mir in den Sinn kam, um das blöde Ding endlich abzuhängen. Ich rannte los.

      «Louise, warte!», quiekte der Clown und ich empfand beinahe schon so etwas wie Mitleid für ihn, weil er wie ein kleines Kind klang, das eine Mutter absichtlich in einem Geschäft zurückließ, damit es endlich freiwillig hinterherkam.

      An der nächsten Ecke hatte ich ihn abgehängt, lief vorsichtshalber noch zwei Straßen weiter, bog dann erst wieder in Richtung unseres Hauses ab und rannte voll frontal in jemanden hinein.

      «Ska!» Lennard grinste mich blöd an und mein Magen verkrampfte sich.

      «Was machst du hier?!», fauchte ich und warf einen Blick zurück. Kein Clown in Sicht. Gott, jetzt hatte ich ernsthaft ein schlechtes Gewissen. Mein Unterbewusstsein machte mich fertig. «Stalkst du mich etwa?! Gott, ich sollte eine einstweilige Verfügung beantragen, damit du mich endlich in Ruhe lässt!»

      Lennard lachte los. «Du bist in mich reingerannt, Prinzessin. Ich war nur einen Freund besuchen, also reg dich ab. Was tust du denn eigentlich hier? Joggen?»

      Ich warf noch einen Blick zurück. «Äh… Ja. Genau. Ich halte