Carolin Frohmader

Die Zeitlinie


Скачать книгу

Blick beinhaltete etwas wie Ratlosigkeit. Nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit so dar gestanden hatten und meine Sporttasche immer schwerer wurde, kam überraschender Weise Sam aus dem Bad. Sie sah ebenfalls nichts besonders erfreut aus mich zu sehen, aber immerhin sagte sie etwas.

      «Linus, geht’s Dir gut?» Sie kam auf mich zu und machte Rajan den Platz nah vor mir streitig. Er wandte sich ab und ging mit seiner Schublade wieder zurück in die Küche während er indisch-deutsches Gemurmel von sich gab.

      «Ist was passiert?» Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, denn die Schublade, die Rajan davon getragen hatte, gehörte zu unserem Sideboard im Flur. Leider war sie gänzlich ohne Schublade. Der Inhalt lag auf dem Boden.

      «Es ist eingebrochen worden», sagte Thomas langgezogen und vorwurfsvoll.

      «Du solltest Dir etwas ansehen», sagte Sam ruhig und zog mich nach rechts den Flur hinunter, wo auch mein Zimmer lag.

      «Die Polizei ist gerade weg und scheinbar haben sie auch nichts gefunden.»

      Wir blieben stehen und ich bekam nichts weiter zustande als einen fragenden Gesichtsausdruck. Ich hob die Schultern und öffnete den Mund, doch eh ich etwas sagen konnte, fuhr Sam fort.

      «Nichts, gar nichts. Die Tür hat keinen Kratzer und ihr wohnt auch nicht gerade im Erdgeschoss.»

      Ich wendete mich von ihr ab und schob die Tür zu meinem Zimmer auf. Es war gar nicht so einfach, denn der Boden war vollkommen bedeckt. Bedeckt mit den Inhalt meiner Schränke und Schubladen. Komplett alles lag auf dem Boden verstreut. Auseinander gerissen, durchwühlt und teilweise zerbrochen. Da war jemand sehr sorgfältig und wenig zimperlich gewesen.

      «Die Polizei ist eben weg und wir konnten Dich nicht erreichen», sagte sie. Mich wunderte das nicht, denn ich war mit allen Sinnen damit beschäftigt, meinen Trip ins das vermutete Jahr 1619 zu verdauen und je mehr ich darüber nach dachte, desto unwirklicher kam es mir vor. Wären die Soldaten nicht gewesen, hätte ich aller Voraussicht nach ein einen Traum geglaubt. Eine Kater-Vision, an die ich mich eine halbe Stunde später nicht mehr erinnert hätte.

      «Wer bricht denn in eine Studentenwohnung ein?», flüsterte ich.

      «Das ist noch nicht alles», sagte Sam.

      «Verdammt Linus, hast Du Dir Feinde gemacht? Besser Du regelst das schnell, sonst...», polterte Thomas los eh Sam in stoppte.

      «Er ist genau so überrascht wie wir!», sagte sie lauter.

      Thomas gab einen zischenden Laut von sich und verschwand den Flur hoch.

      «Was ist denn noch?», fragte ich, unsicher, ob ich es wirklich wissen wollte. Sam wechselte in einen mitleidsvollen Gesichtsausdruck und ich Ton blieb geschäftlich.

      «Die ganze Wohnung ist zwar durchsucht worden Linus, aber nur Dein Zimmer ist derart... verwüstet worden.»

      Ich stellte kurzzeitig das atmen ein.

      «Als ob die Einbrecher genau hier etwas gesucht haben. Speziell bei Dir. Und sie wussten wo Dein Zimmer ist.»

      Als ich wieder Luft holte, wurde die Tasche plötzlich bleischwer, doch ich dachte nicht im Traum daran sie abzusetzen.

      «Warum bist Du hier?», fragte ich Sam.

      «Hab Thomas ein paar Unterlagen bringen wollen. Wir trafen uns vor der Tür und als wir kein kamen...», sie machte eine ausladende Handbewegung und schloss damit nicht nur mein Zimmer, sondern auch den Rest der Wohnung ein.

      «Und jetzt?», fragte ich. Immer noch unwillig die Tasche abzulegen, betrat ich mein Zimmer und erkannte nur noch grob meine Möbel unter dem Chaos.

      «Du sollst Dich bei der Polizei melden und sagen, was fehlt. Was gestohlen wurde», sagte Sam und blieb aber im Türrahmen stehen.

      Als ob ich etwas teures besitzen würde. Da der Gurt der Sporttasche mir allmählich in die Schulter schnitt, kam ich zur der Vermutung, dass wahrscheinlich gar nichts fehlen würde. Außer meiner Ordnung war womöglich nichts verschwunden. Um die teuren Bücher und mein Laptop, welche offensichtlich leichtfertig vom Schreibtisch gefegt worden waren, tat es mir allerdings schon sehr leid.

      «Vielleicht Zufall!?», sagte ich. «Zufall, dass sie das Zimmer eines Medizinstudenten ausgesucht haben?», ich glaubte selbst schon nicht daran, noch während ich es aussprach.

      «Vielleicht», hauchte Sam. Sie wickelte ihre blonden Haare um die Finger und überflog immer wieder das Chaos.

      «Soll ich Dir helfen?», fragte sie, doch ich winkte sofort ab.

      «Ähm, nein. Danke. Das ist eine gute Gelegenheit um mal auszumisten», sagte ich und hoffte, dass es auch so klang, als würde ich es ernst meinen.

      Sam verabschiedete sich und ich brachte sie zur Tür. Auf der Türschwelle griff sie zaghaft nach meinem Unterarm und sah mich leidvoll an.

      «Bist Du in Ordnung?», fragte sie und ließ ihr Hand auf meinem Arm ruhen.

      «Es ist nur Chaos», sagte ich. Was ich meinte, war aber nicht mein Zimmer. Wohl wissend, dass ich das vermeintlich Wertvollste, immer noch in meinem Besitz befand.

      Sie verabschiedete sich und ging. Immer noch die Tasche schulternd stellte ich mich wieder mitten in mein neues Chaos und versuchte einen Überblick zu bekommen.

      Es konnte unmöglich Zufall sein. Da erhielt ich eine seltsame Kiste und danach stellte jemand mein Zimmer auf den Kopf. Gerade meines?

      Es stank doch zum Himmel. Doch wer würde mir glauben? Pit wollte nichts mit der Sache zu tun haben. Es hatte ihn zu Tode erschreckt. Mich nicht minder, denn je länger ich in der Mitte meines Zimmer und gleichzeitig in der Mitte des Chaos stand, bekam ich überdeutlich vor Augen geführt, dass es kein Spaß war. Irgendjemand nahm es bitter ernst und ich nahm mir vor es ebenso zu sehen. Ich dreht mich nach links, dann nach rechts. Die Papiere, Mappen, Bücher und Ordner ergaben kein Muster. Der Anblick begann mich zu vereinnahmen und ich schüttelte es verängstigt ab. Zuckte zusammen und presste die Tasche an mich.

      Als Allererstes brauchte ich ein Versteck dafür. Wer immer in meinem Zimmer gewesen war und es bereits durchwühlt hatte hieß nicht, dass er nicht noch einmal wieder kommen würde. Die Tasche war dort nicht sicher.

      Ich holte mein Fahrrad aus dem Keller und fuhr mit der Tasche auf dem Rücken ins Krankenhaus. Allerdings fühlte ich mich schon dermaßen paranoid, dass ich nicht meine übliche Strecke fuhr, sondern Einbahnstraßen benutze und einen riesigen Bogen um das Uniklinikum herum fuhr, er ich den Eingang erreichte. Unten in den Umkleiden stopfte ich die Tasche in meinen Spind. Doch noch eh ich mich einmal umdrehen konnte, hatte ich das Versteck schon als völlig unbrauchbar abgetan und zerrte die Tasche wieder heraus. Mit nach Hause konnte ich sie auf keinen Fall mehr nehmen.

      An jenem Tag hatte ich keinen Dienst und gab mir Mühe nicht gesehen zu werden. Auf keinem Fall, wollte ich irgend jemandem in die Arme laufen. Ich ging so schnell ich konnte ohne gleichzeitig Aufsehen zu erregen, noch ein Stockwerk tiefer, bis runter in den Keller. Die meisten Räume dort unten waren verschlossen doch vor einiger Zeit war ich schon mal dort unten gewesen und hatte ein ruhiges Plätzchen für mein kaltes Mittagessen gesucht. Die Cafeteria war zur Stoßzeit hoffnungslos überfüllt. Daher wusste ich, dass einige Räume offen standen und darunter waren große Räume, vollgestopft mit alten Betten, ausrangierten Möbelstücken, alten Lehrmaterialien und Kistenweise Aktenordner.

      Der Keller war völlig ruhig und kühl und ich suchte den Raum mit den vielen Kisten. Den Flur entlang, an der vorletzten Tür auf der rechten Seite wurde ich fündig. Der hintere Teil des Raumes war vollkommen mit Kisten voll gestellt. Die gesamte Rückwand war in zwei Reihen mit Kisten bedeckt. Den Weg dahin musste ich mir über Schreibtische und alte Patienten Nachttische bahnen. Auf der rechten Seite, etwa in der Mitte des dritten Drittels der Wand, zog ich zwei Kisten vom Stapel, leerte eine aus und verstaute meine Reisetasche in der Kiste. Sicherheitshalber legte ich zwei Aktenorder oben auf und verstaute die übrigen Ordner in den Nachtschränken. Die beiden Kisten stapelte ich, wie zuvor und betrachtete kurz mein Werk. Selbst wenn die Tür offen war, hätte dort erst jemand