Carolin Frohmader

Die Zeitlinie


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kurz an, um mir ein belegtes Brötchen zu kaufen. Zurück in meinem Zimmer schrieb ich Pit eine SMS, dass in der WG eingebrochen wurde und begann aufzuräumen. Pit meldete sich an dem Tag nicht mehr und ich beschloss nicht nachzufragen.

      Die kommende Nacht schlief ich sehr unruhig. Die Ansprache meiner Großmutter machte mir immer noch Sorgen. Wie viel hatte sie gewusst, oder wie viel davon hatte sie auch geplant? Wie lange trug sie dieses Geheimnis schon mit sich herum und wer wusste noch davon? Offensichtlich die Person, die auch in der WG eingebrochen war. Das machte mir ebenfalls Sorgen, doch darum konnte ich mich erst einmal nicht kümmern. Was das betraf, hatte ich noch weniger Ansatzpunkte als ohnehin schon. Und dann die quälendste Frage überhaupt: Warum ich?

      Das einzige was ich hatte, war das Kästchen. Eine Zeitmaschine? Wirklich?

      Es war fünf Uhr morgens und ich war wieder hellwach. Das Wort Zeitmaschine hatte eine magische Wirkung auf mich. Und eine beängstigende. Wenn ich recht hatte mit dem Jahr 1619, dann war das in der Tat kein Spaß. Dann war das ein Garant für Unheil, sofern die Gesetzmäßigkeiten einer Zeitreise die ich aus Filmen und Büchern kannte, in meinem Fall auch nur Ansatzweise ebenfalls zum tragen kamen. Zum Einen die Vergangenheit nicht zu verändern und zum Anderen, einen blassen Schimmer von dem zu haben was man tat. Leider hatte ich weder einen Doc Brown noch war ich selbst Erfinder einer Zeitmaschine.

      Ich hielt es nicht mehr im Bett aus und klappte mein Notebook auf. Nervös saß ich an meinem Schreibtisch und tippte Zeitreisen bei Google ein.

      Zunächst stieß ich auf wissenschaftliche Berichte und Analysen diverser Autoren und Physikern. Las von Einsteins Relativitätstheorie und über Wurmlöcher, bis hin zu Kausalitätsketten und zu den Fragen die sich mit den Paradoxa beschäftigten. Da schien das bekannteste und eindeutigste, das Großvaterparadoxon zu sein. Ein Zeitreisender trifft in der Vergangenheit seinen Großvater, bringt ihn um und verhindert somit seine Geburt.

      «Und wenn es so überhaupt nicht funktioniert?», murmelte ich. «Nur ist es einfacher, oder komplizierter?»

      Mein Handy surrte und zerrte mich aus dieser Überlegung die mein Gehirn beinahe verknotet hätte.

      Pit schrieb.

      Krasser Tag! Habe mich wieder beisammen und kotze auch nicht mehr. Was hast Du damit gemacht?

       Versteckt. Davon scheint noch jemand zu wissen und das ist beunruhigend.

       Was hast jetzt vor?

      Hab noch keine Ahnung. Doch es muss etwas damit sein. Es ist verrückt, aber vielleicht muss ich es nochmal versuchen.

      Ich weiss. Und wenn Du willst, dann steh ich Schmiere.

      Aber ich musste es Mira sagen, ich habs nicht ausgehalten und sie hätte es irgendwann eh heraus gefunden.

       Ich weiß...

      Kapitel 6

       alea iacta est

      Als ich am folgenden Montag Mittag meine Spätschicht im Krankenhaus antrat hatte ich bereits meine zur Verfügung stehenden Möglichkeiten überdacht.

      Erstens: Zur Tagesordnung übergehen, abwarten und sehen was passiert und währenddessen halb wahnsinnig oder panisch oder gar paranoid werden.

      Zweitens: So zu tun als ob ich zur Tagesordnung über ging und währenddessen einen Schlachtplan erstellen.

      Aber wie kann man eine Schlacht gewinnen, wenn man den Gegner nicht kennt? Und nichts war mir unbekannter als das. Dennoch vollendete ich ohne besondere Vorkommnisse meine Schicht und kam sogar überpünktlich in den Feierabend.

      Über den Hinterhof brachte ich mein Fahrrad in den Keller und spurtete die Stufen zur Eingangsebene hinauf. Ich sehnte mich nach ein bisschen Ruhe um meine Gedanken zu sortieren, manchmal half da auch joggen oder rennen. Kaum etwas anderes macht den Kopf vergleichbar klar. Ich nahm zwei, manchmal drei Stufen auf einmal, als mir urplötzlich ein schwarzer Blitz durch die Beine und rannte wie von der Tarantel gestochen die Stufen nach unten, in den Keller flitze. Der Blitz ähnelte einer Katze und mein Blick fiel beiläufig auf die Briefkastenreihe. Diese quollen gern mal über, weil ignorante Schüler sie trotz KEINE WERBUNG Aufkleber stets mit selbigen voll stopften. Dort stand aber kein Schüler, sonder ein groß gewachsener, schlaksiger Typ, mit abgewetzten Jeans und Schlabbermütze. Er hatte seine Hand in den dritten Briefkasten von rechts gequetscht, unseren Briefkasten. Als wir uns gegenseitig bemerkten erstarrten wir beide. Sekundenlang herrschte Bewegungslosigkeit und Stille. Dem Typ quollen beinahe die Augen aus den Höhlen und ich war perplex wie angeklebt.

      «Hey!», entwich mir schließlich empört.

      Der schlaksige Typ riss mit einem Ruck seine Hand aus dem Schlitz und somit fast vier Briefkästen aus der Wand. In langen, schnellen Schritten war er aus der Tür, eh ich mich bewegen konnte. Endlich kam ich in Gang, rannte noch zur Tür und erreichte sie, eh sie zu fiel, doch als ich auf die Straße trat, war der Kerl verschwunden.

      Mir blieb nur, die Briefkästen anzustarren und den Kopf zu schütteln. Bei einem weiteren Blick auf die Straße tauchte der Typ natürlich trotzdem nicht noch mal auf. Also zog ich die Tür hinter mir ins Schloss und zog meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Mir gelang es gerade noch unseren Briefkasten zu leeren eh er scheppernd mit einem weiteren zu Boden fiel.

      Es war kaum Post drin. Das meiste war Werbung, die ich oben in der WG sofort aussortierte. Zwei Briefe für Thomas, zwei für Rajan und einer für mich. Bei dessen Anblick bekam ich sofort feuchte Hände und mein Puls schnellte in die Höhe. Der Absender war ein Notar.

      Ohne zu zögern riss ich ihn auf und ließ mich am Tisch in der großzügigen Küche nieder. Der Brief war kurz. Der Notar forderte mich auf, persönlich den Nachlass meiner Großmutter abzuholen. Einen Briefumschlag, den sie bei ihm hinterlegt hatte. Da saß ich und starrte den Brief an. Die Rückseite war leer. Das überprüfte ich mehrfach und schwankte zwischen Neugier, Entsetzen und Enttäuschung. Andere erbten Immobilien, Autos oder zumindest ein paar Antiquitäten, doch mir war nur ein Brief vergönnt. Und das unheilvolle Kästchen was zwischen Aktenordnern im Keller der Uniklinik wartete. Und worauf?

      Der Notar war in Köln in der Innenstadt, doch an diesem Tag, war es zu spät.

      Ich tippte Pit eine SMS über den Brief und erhielt im selben Augenblick eine von Sam.

      Lieber Linus, am nächsten Wochenende wollen wir alle gemeinsam ausgehen. Würde mich freuen wenn Du auch mitkommst. LG Sam

      Ich wollte später antworten. Es war erst Montag und der Samstag noch sehr weit entfernt.

      Die Haustür ging und Rajan stand in der Küchentür. Er hatte die Augen weit aufgerissen.

      «Die Briefkasten ist getrampelt.» Seine Entsetzen klang auch in seiner Stimme mit.

      «Ja ich weiß, irgend ein Spinner hat irgendwas darin gesucht,...» setzte ich erklärend an, doch das schien Rajan nur noch nervöser zu machen. Doch er sagte nichts mehr sondern verschwand in seinem Zimmer.

      «...und die Werbung war es bestimmt nicht», setze ich hinzu, als ich sicher war, dass Rajan mich nicht mehr hören konnte.

      An einem normalen Tag, oder auch noch voran gegangene Woche, hätte ich den Abend in meine Zimmer über Büchern gelernt und gelegentlich Facebook befragt. An jenem Abend surfte ich auch auf Facebook und änderte mein Profilfoto. Statt meines Portraits wählte ich eine schwarz-weiß Aufnahme einer Detailansicht des Sciroccos, welche ich im Sommer gemacht hatte um meine Geburtstagsgeschenk, eine digitale Spiegelreflex, auszuprobieren. Ungewollte schweifte mein Blick zu der schwarzen Fototasche die auf dem Boden neben dem Schreibtisch stand. In dem gestrigen Chaos hatte sie unmittelbar vor dem Schrank gelegen, aus der sie herausgerissen worden war. Aber die Kamera war noch da und immerhin war sie unversehrt geblieben. Ich hob die Tasche auf, nahm die Kamera heraus und öffnete wie ferngesteuert die seitliche Klappe hinter der sich die SD Karte verbarg. Sie war weg.

      Mich