Carolin Frohmader

Die Zeitlinie


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auf der Stelle trat.

      Die 32 GB und volle Speicherkarte bot allerdings keinen Hinweis auf den Verbleib des Kästchens. Die Enttäuschung des Einbrechers muss nach stundenlanger Sichtung des Materials entsprechend ausgefallen sein und das stimmte mich schadenfroh. Und dann ließ man mir die Kamera in der Hoffnung ich würde noch ein paar Erinnerungsfotos aus der Vergangenheit mitbringen? Ich musste schmunzeln. Es war zu absurd und anscheinend hielt man mich nicht nur für nachlässig, sondern auch für dumm.

      Dabei konnte ich nicht einmal davon ausgehen, dass mein Widersacher und der Einbrecher ein und die Selbe Person waren. Ich nahm es nicht an.

      So oder so, wollte ich zunächst keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen und mich so normal wie möglich verhalten.

      Daraufhin rief ich Pit an. Es klingelte eine Weile und mir kamen Zweifel ob eine Handyverbindung die sicherste Art der Kommunikation war, aber das ging mir dann doch einen Schritt zu weit.

      «Hi», meldete sich Pit.

      «Na, was macht ihr?»,murmelte ich und konnte mich immer noch nicht ganz von der Idee einer neuen Handynummer trennen. Doch ich verwarf den Gedanken.

      «Haben eben die Backstube fertig gemacht. Muss gleich den Teig für Morgen ansetzen, dann wird es ein ruhiger Abend.»

      Ich schwieg einen Augenblick, der Pit zu lange dauerte.

      «Es lässt Dir keine Ruhe, was?», seufzte Pit.

      «Kein Stück.»

      «Hübsches Profilbild. Denkst du das ändert etwas?»

      «Naja...», begann ich.

      «Och komm schon», stöhnte Pit. «Jetzt hör aber mal auf! Sag mir lieber mal, was das für ein Brief sein soll. Kein Hinweis darauf was drin steht?

      «Nein. Immerhin ein Brief.»

      «Vielleicht liegen ja 1000 Mark Scheine drin», witzelte Pit.

      «Wohl kaum», brummte ich. «Vermutlich ebenso wenig wie in unserem Briefkasten. Und trotzdem habe ich heute einen komischen Vogel dabei erwischt, wie der dreist mit der Hand in unserem Briefkasten geangelt hat.»

      «Hattest den schon mal gesehen?», fragte Pit.

      «Noch nie!»

      «Kein Nachbar?»

      «Ganz sicher nicht.»

      «Und jetzt? Ich meine... meinst das gehört alles irgendwie zusammen?»

      Anstatt direkt zu antworten, holte ich tief Luft. Auf die Frage konnte ich weder mit Ja, noch mit Nein antworten.

      «Morgen rufe ich zuerst bei dem Notar an und hol den Brief. Vielleicht bin ich dann schlauer. Aber wirklich daran glauben tu ich nicht.»

      «Willst das noch der Polizei melden? Also die Briefkastennummer.»

      «Nein, würde nichts bringen und alle hier nur noch mehr verunsichern.»

      «Ist die Vase gut versteckt?» Seine Frage überraschte mich etwas, doch insgeheim hatte ich mir die Selbe gestellt.

      «Ja, ich hoffe es.»

      «Ok...», Pit holte tief Luft und ich hörte wie er umher lief. «Ich werd das jetzt nur einmal fragen und ich hoffe ich bereue es nicht sofort.»

      «Frag!», sagte ich schnell

      «Welches Jahr?», stöhnte Pit.

      «1619.»

      «Fuck!» Ich ließ Pit einen Augenblick um es zu verdauen.

      «Ja. Schwierig», stimmte ich ihm zu.

      «Die Armbänder?»

      «Die römischen Ziffern? Ein Datum wie es aussieht.»

      «Und als es weg war, waren wir zurück.»

      «So war es.»

      «Ich glaube mir wir wieder übel. Alter, ich leg auf. Ruf an, wenn Du den Brief hast.»

      «Mach ich.»

      Wir legten beide auf und ich wusste, dass ich einen Gefährten wider Willen hatte. Vielleicht wusste es Pit noch nicht, doch er würde zusehen müssen, wie ich trotz besseren Wissens in ein mögliches Unheil rannte. Das Mindeste was er konnte, war mit rennen. Und wenn er nur auf das Kästchen aufpasste.

       ***

      Der Notar hatte keine Sekretärin. Als ich gleich am nächsten Morgen anrief, konnte ich sofort kommen. Der Mann am anderen Ende der Leitung war wortkarg und schien es eilig zu haben.

      Die Hausnummer 117 in der Nähe des Ebertplatzes war ein typischer Altbau. Die Fassade blätterte und die Fenster waren noch einfach verglast. Ein rechteckiges Messingschild wies auf den Sitz des Notars hin:

       Martin Anton

       Notar

       Termine nur Nach Vereinbarung

      Das Kanzlei befand sich im fünften Stock, ohne Aufzug. Jede einzelne Stufe auf meinem Weg nach oben war abgetreten und schien in der Mitte durchzuhängen. Weiter unten noch wesentlich extremer als oben. Es roch zudem muffig, abgestandene Luft, ohne die typischen Gerüche eines bewohntes Hauses, obwohl Flur und Treppenhaus sauber waren.

      Im fünften Stock angekommen gab es keine Klingel an der massiven Holztür. Immerhin hing wiederum ein Messingschild mit Antons Namen daran. Also klopfte ich kräftig. Es dauerte eine Weile eh ich große, oder sehr langsame Schritte hörte, welche sich der Tür nährten. Umso überraschter war ich, als diese mit Schwung aufgerissen wurde und ein dicklicher, kleiner Mann mit Halbglatze und einem Thunfischsandwich in der Hand, mich fragend anglotzte.

      «Ähm... Harris. Linus Harris. Wir hatten eben telefoniert!?», sagte ich auffordernd.

      «Harris, was?», knurrte er mürrisch, doch sein Gesichtsausdruck ließ keine genaue Deutung zu. Anton winkte mich hinein und mir fiel die Remoulade in seinen Mundwinkeln auf. Er schien meinen Blick bemerkt zu haben und wischte sich darauf kurz und hektisch durchs Gesicht. Leider erwischte er den linken Mundwinkel nicht so ganz. Aber ich beließ es dabei.

      Er deute auf einen braunen Plastikstuhl und ich setzte mich. Er musterte mich mit prüfendem Blick, während er seinen gigantischen und gigantisch chaotischen Schreibtisch umrundete. Die Tischplatte war nicht mehr zu erkennen vor lauter Akten, einzelner Blätter und einer ganzen Flut von Post-Its. Der Rest des Raumes war spärlich möbliert und jene Möbel hatten die besten Zeiten auch längst hinter sich gebracht. Außer seinem Schreibtisch und meinem Plastikstuhl gab es nur noch einige Aktenschränke und ein beinahe leeres Regal. Bloß eine angestaubte leere Vase stand darin. Eine echte Vase. Da war ich mir sicher. Des Weiteren keine Pflanzen und keinen Teppich. Die alten Holzbohlen hätten zudem längst abgeschliffen werden müssen. Vermutlich war das Haus ein Rohdiamant, den man mit etwas Geld und dem Geschmack zu einer lohnenden Geldanlage hätte sanieren können.

      Anton zog sein achtziger Jahre Jacket von seiner Stuhllehne, schlüpfte wenig galant hinein und begann geschäftsmäßig einige Blätter von A nach B zu schieben, eh er seine Hände faltete und auf dem Tisch ablegte.

      «Kann ich Ihren Personalausweis sehen.» raunte er, so dass es kaum mehr eine Frage war, sondern mehr ein Befehl. «Sonst kann ja jeder kommen. Sie wissen schon.»

      Nein, wusste ich nicht. Zumindest nicht so richtig. Trotzdem fischte ich meinen Ausweis aus meinem Portemonnaie und reichte ihm ihn über den Schreibtisch. Anton grapschte danach als habe er es erneut eilig. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete er abwechseln meine Bild und mich selbst.

      «Also Herr... Harris», setzte er an. «Zunächst darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen.» Eh ich antworten konnte, sprach er einfach weiter und hielt meinen Ausweis fest in seinen wurstigen Fingern.

      «Ich muss ehrlich gestehen, dass ich schon ein bisschen neugierig auf Sie gewesen bin. Und ich bin umso neugieriger ob Sie auch meine Frage beantworten können.» Skeptisch schaute ich