Ann-Kathrin Speckmann

Beginn eines Piratenlebens


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sauber geblieben. Aber sie war kein Feigling. Und der Ausflug war die Strafe allemal wert. Niemals würde sie auf ihre freien Momente verzichten!

       Kapitel 2

      Anne ging auf ihr Elternhaus zu. Ihr Vater, William Cormac, hatte es in einem erbärmlichen Zustand für wenig Geld gekauft. Als seine Geschäfte erfolgreich wurden, ließ er es renovieren. Mittlerweile gab es sogar einige Anbauten, die es zum wertvollsten Gebäude in der Umgebung machten.

      Als Anne näher kam, entdeckte sie ihre wartende Mutter vor der Haustür. Sie drehte eine Locke ihrer schulterlangen, dunkelblonden Haare um den Finger. Das war ein schlechtes Zeichen.

      „William!“, rief Peg mit schriller Stimme. Wenige Sekunden später stürmte er durch die Tür. Einen Herzschlag lang sah sie Erleichterung in seinem Blick. Dann kniff er die Augen zusammen und ballte die Fäuste. Als Anne näher kam, entgleisten die Gesichtszüge ihrer Eltern beim Anblick des Kleides. Nach einer Schocksekunde rannte Peg auf sie zu.

      „Wo warst du? Und warum bist du schon wieder abgehauen? Und wer, denkst du, hat deine Arbeit erledigt?“

      „Das würde ich auch gern wissen“, ergänzte William von der Haustür aus. „Na los, beantworte unsere Fragen!“

      Anne vergaß die zurechtgelegte Antwort.

      „Ich …“ Der Mund ihrer Mutter zuckte ärgerlich. Sag etwas, sonst lassen sie dich gar nichts erklären!, warnte sie sich selbst im Gedanken.

      „Es ist alles in Ordnung. Am Hafen …“, die keifende Stimme von Peg unterbrach sie.

      „Warum warst du am Hafen? Und dann wahrscheinlich auch noch alleine! Wie … wie so ein … ein mittelloser, dummer Jüngling.“

      „Ich wollte die neuen Schiffe sehen. Heute sind drei angekommen.“ Peg öffnete den Mund, aber Anne sprach schnell weiter. „Egal was du jetzt sagst: Mir hat es gefallen und deshalb bereue ich es auch nicht“, sagte sie trotzig. Sie hätte so gerne von ihren Abenteuern berichtet. Leider wusste sie, dass ihre Eltern nicht zuhören würden.

      Peg schielte hilfesuchend zu Annes Vater. Doch der hatte genug von dem Streit und ließ die beiden Frauen allein. Peg stand da, als hätte er sie geschlagen. Einen Moment lang schaute sie William fassungslos hinterher, dann ließ sie ihren Frust an Anne aus: „Und was ist mit deinem Kleid passiert? Glaubst du, die gibt es umsonst?“ Mit zwei Fingern griff sie nach dem Stoff.

      Ruckartig wich Anne der Berührung aus. Sie atmete tief ein, bevor sie erneut zu einer Erklärung ansetzte:

      „Vor einer Stunde luden mich ein paar Matrosen ein, mit ihnen zu trinken. Als ich nein sagte, griff einer von ihnen an. Ich verteidigte mich nur. Danach kehrte ich nach Hause zurück.“ Annes Stimme bebte. Das Kleid war Peg natürlich wichtiger als ihre einzige Tochter.

      „Und das soll ich dir glauben? Ich soll dir glauben, dass Männer auf dich zukommen und dich mal eben so verprügeln wollen? Du bist ohne Erlaubnis zum Hafen gegangen. Du hast die anderen provoziert. Lüg mich gefälligst nicht an!“ Peg wollte nicht schreien. Anne wusste, dass sie panische Angst vor einer schlechten Meinung ihrer Nachbarn hatte. Doch in diesem Moment fiel ihr die Zurückhaltung schwer. Die Stimme lag einige Oktaven höher als normal.

      „Ich lüge nicht!“, presste Anne zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

      „Benehme dich endlich wie ein wohlerzogenes Mädchen!“

      Anne lachte freudlos auf.

      „Bis vor fünf Jahren habt ihr das nicht von mir erwartet!“ Wehmütig dachte Anne an ihr Leben als Adam Cormac zurück. Peg hatte es zwar auch damals nicht gern gesehen, wenn sie mit den Jungen spielte, aber sie hatte nichts dagegen machen können. Niemand hatte gewusst, dass sie die Mutter von Anne war.

      „Diese furchtbare Zeit ist vorbei!“

      „Die beste Zeit meines Lebens“, antwortete Anne. „Du selbst hast mich als Junge erzogen. Also musst du auch damit klarkommen, dass ich wie ein Junge kämpfen und sprechen kann.“

      Peg holte mit dem Fuß aus, als wolle sie Anne treten. Nach kurzem Zögern stampfte sie jedoch nur mit dem Fuß auf. Anne verkniff sich ein Grinsen über die Angst ihrer Mutter.

      „Dieses Mädchen benimmt sich schlimmer, als jeder noch so schlecht erzogene Junge!“, sagte Peg zu sich selbst. „Die erledigen wenigstens ihre Aufgaben, bevor sie sich die Köpfe einschlagen. Sogar deine Brüder sind verantwortungsbewusster, als du! Und die sind über zehn Jahre jünger!“ Ihre Brüder waren verzogene Kleinkinder, aber Peg behandelte sie wie Engel. Seit Julians Geburt war Anne Peg nur noch ein Dorn im Auge. Auch ihr Vater verlor an jenem Tag das Interesse für seine Tochter. Niemand unterstützte oder verstand sie.

      „Ausgerechnet du sprichst von Verantwortungsbewusstsein? Schon vergessen, wer du warst, als ich geboren wurde?“, schrie Anne. Ihre Mutter wurde unfair? Das konnte sie auch!

      Peg holte hörbar Luft. Der Vorwurf traf sie schlimmer als ein Schlag in die Magengrube. Sie war sehr auf ihre Sittsamkeit und ihr Ansehen bedacht. Dass sie als Dienstmagd mit dem verheirateten Herrn des Hauses geschlafen und von ihm ein Kind bekommen hatte, empfand sie bis heute als großes Vergehen.

      „Ich habe meine Pflichten immer erledigt. Das ist etwas, was du nicht behaupten kannst!“, erwiderte sie mit bebender Stimme.

      „Dazu gehört also auch dem Hausherrn das Bett zu wärmen?“, fragte Anne mit einem freudlosen Lächeln auf den Lippen. Darauf wusste Peg keine Antwort mehr.

      „Rein! Geh dich waschen!“

      Sie wollte Anne packen, doch die wich ihr aus und ging ohne ein weiteres Wort an Peg vorbei.

      „Ich verfluche den Tag, an dem der Schwindel aufgeflogen ist!“, rief Anne ihrer Mutter zu. Während sie in ihr Zimmer lief, dachte sie an ihr altes Leben. William arbeitete damals in Kinsale als erfolgreicher Anwalt. Er führte ein perfektes Leben, an dem nur ein Mangel haftete: Seine Ehe blieb kinderlos. Aus diesem Grund schickte er seine Dienstmagd Peg Brennan auch nicht weg, als diese ein Kind von ihm erwartete. Stattdessen überlegte er sich eine Geschichte, um Anne selbst erziehen zu können: Kurzerhand steckte er das Mädchen in Jungenkleider und nannte es Adam. Er gab den Jungen als Sohn eines entfernten Verwandten aus, der wollte, dass sein Kind zum Juristen erzogen wird. Außerdem vertraute er Peg seinen Neffen an, damit niemand beim Wickeln ihr wahres Geschlecht erkannte. Zehn wunderbare Jahre lang funktionierte der Schwindel. Aber dann kam das Geheimnis ans Licht, woraufhin Williams Frau ihren Mann verließ. Als ihm aufgrund des Skandals die Mandanten ausblieben, zog er mit Peg und Anne nach South Carolina in die Nähe des Hafens Charleston. Hier kaufte er Baumwollplantagen, mit denen er für sich und seine Familie eine neue Existenz aufbaute. Leider beinhaltete diese auch, dass Anne sich wie ein braves Mädchen verhalten sollte. Keiner begriff, wie sehr ihr das widerstrebte.

      Wütend knallte Anne die Zimmertür zu. Noch während sie lief, zog sie sich das verdreckte Kleid über den Kopf. Dabei fiel ihr der Dolch runter. Sie hob ihn auf und drehte ihn in den Händen hin und her. Was sollte sie mit ihm machen? Sie konnte die Klinge nicht einfach liegen lassen oder sie gar an ihren Gürtel hängen. Peg würde ihr den Hals umdrehen. Sie musste sie verstecken. Schnell schob Anne sie zwischen den Bettpfosten und die Wand.

      Sie hatte den Dolch gerade festgeklemmt, da kam die Magd Olivia mit einer flachen Schüssel und einem Krug herein. Anne schätzte Olivias Alter auf etwa achtzehn. Eigentlich hieß die Sklavin Malaika, aber Peg fürchtete sich davor, einen unchristlichen Namen auch nur auszusprechen. Deshalb war sie gleich nach ihrem Ankauf in Olivia umgetauft worden. Das war mittlerweile schon mehr als vier Jahre her. Damals war Anne begeistert von dem eigenartigen Mädchen gewesen und hatte sie kennenlernen wollen. Ihre Mutter dagegen hatte geschimpft und geflucht. Hatte die Sklaven durch ihre Hautfarbe von Gott gestraft gehalten. Hatte gemeint, sie alle würden sich mitschuldig machen und sich versündigen, wenn sie mit den Verfluchten Kontakt aufnähmen.

      Diese Einstellung hatte sich allerdings sehr schnell geändert, als ihr klar wurde, wie viel Geld sie dank