Ann-Kathrin Speckmann

Beginn eines Piratenlebens


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sein. Peg würde eher einen der Sklaven vom Feld abziehen und ihr als Wächter zur Seite stellen, als einen erneuten Ausflug zuzulassen. Dann eben übermorgen! Auf irgendeine Weise würde sie schon einen Weg finden. Bis dahin verbarg sie die Bruchstelle unter ihrem Haar.

       Kapitel 3

      Am nächsten Morgen weckte Olivia Anne eine Stunde früher als sonst.

      „Eure Mutter erwartet Euch in fünf Minuten im Speisezimmer!“, sagte die Sklavin mit ihrer leisen Stimme und dem starken Akzent. Dabei stellte sie einen Krug mit frischem Wasser ab, bevor sie den Raum verließ.

      Anne schluckte ihre neu aufkeimende Wut runter und beeilte sich beim Waschen und Anziehen. Für das Frisieren brauchte sie länger, denn sie musste ihr Haar so feststecken, dass Peg die abgebrochene Stelle nicht sah. Als sie endlich mit ihrer aufwändigen Frisur zufrieden war, eilte sie zu ihrer Mutter.

      „Guten Morgen. Als Erstes deckst du den Frühstückstisch!“ Anne biss sich auf die Zunge, um keine Antwort zu geben, die sie später bereute. Mittlerweile ärgerte sie sich, am vorigen Tag nicht auf Peg gehört zu haben. Etwas Hilfe beim Aufräumen hätte sie möglicherweise besänftigt. Doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. Deshalb arbeitete sie so hart und gründlich wie möglich. Sie wusch mit Olivia die Wäsche und zog ihre Brüder an. Dabei strampelten die beiden um sich, als wolle Anne ihnen wehtun. Nachdem sie die Aufgabe bewältigt hatte, ging sie mit den Kindern zum Frühstück. Auch danach fiel Peg eine Strafarbeit nach der anderen ein. Anne erledigte jede einzelne ohne zu murren, weil sie dies für ihre einzige Chance hielt, am folgenden Tag nicht mehr unter den Argusaugen ihrer Mutter zu stehen. Sie musste ihre Spange reparieren lassen, bevor Peg den abgebrochenen Rand bemerkte. Vielleicht wusste dieser James, wer ihr helfen konnte. Sofort lachte sie laut auf. Dieser Möchtegern-Held war erst vor kurzem in die Stadt gekommen und kannte niemanden. Andererseits war er der einzige Mann am Hafen, der sie nicht ignorierte oder angriff.

      „Anne, komm her!“, unterbrach Peg ihre Gedanken. Hatte sie schon wieder etwas falsch gemacht? Seufzend folgte sie der Stimme. Sie fand ihre Mutter an der Haustür. Vor ihr stand Annes Freundin Betty. Wie immer, wenn dem Mädchen etwas unangenehm war, kaute es an seinen Fingernägeln.

      „Hallo Anne!“ Sie winkte. „Gehst du mit mir baden? Es ist schönes Wetter und das Wasser ist noch warm.“ Sie lächelte zurückhaltend und ihr Blick schweifte zwischen Anne und Peg hin und her. Anne wusste nicht, ob sie zusagen durfte. Normalerweise hätte Peg Betty weggeschickt, wenn sie Anne das Baden verbat. Aber warum sollte sie Anne ausgehen lassen?

      „Du kannst gehen. Für heute bist du hier fertig“, antwortete Peg.

      Vor Überraschung blieb Anne der Mund offen stehen. „Danke!“ Peg mochte Betty und erhoffte sich von ihr seit Jahren einen guten Einfluss auf Anne. Wahrscheinlich war ihr alles recht, solange sie ihre Tochter eine Weile los war, ohne, dass diese Aufsehen erregte. Mit Betty würde Anne niemals zum Hafen gehen. Und als Alibi taugte sie auch nicht, da sie bei der kleinsten Lüge sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Betty gehörte zu der Art Mädchen, das sich Peg wünschte.

      Trotz der Hintergedanken ihrer Mutter war Anne glücklich über die Möglichkeit, das Haus verlassen zu dürfen. Erst als sie vor die Tür trat, bemerkte sie, wie tief die Sonne stand. Die Zeit war vor lauter Arbeit sehr schnell vergangen.

      „Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte Betty leise.

      „Was sollte denn nicht in Ordnung sein?“

      „Du bist heute so nachdenklich. Und es hat dich überrascht, dass deine Mutter dir das Baden erlaubt, obwohl du das sonst immer darfst“, erklärte sie.

      „Es ist nichts“, sagt Anne und winkte ab, woraufhin eine unangenehme Stille entstand. Betty kaute wieder an ihren Fingernägeln.

      „Betty, sag einfach, was du denkst! Du weißt doch, dass ich dir nicht den Kopf abreiße.“ Bettys Gesicht verfärbt sich rosa. Sie sah Anne nicht an, als sie mit der Sprache herausrückte.

      „Hast du etwas angestellt?“ Die Angst des Mädchens, sie einfach direkt nach ihrem Vergehen zu fragen, amüsierte Anne. Betty war die ängstlichste junge Frau, die sie kannte. Allerdings kannte sie nicht sonderlich viele.

      „Ich war gestern am Hafen und hatte … eine kleine Auseinandersetzung mit ein paar betrunkenen Matrosen.“

      Um Betty nicht zu erschrecken, sagt sie das so beiläufig wie möglich. Sie wusste genau, dass ihre Freundin sie für unbeschreiblich mutig, aber auch für dumm hielt. Betty hörte immer auf das, was ihr gesagt wurde. Egal ob ihre Eltern, ihre Brüder oder sogar Nachbarn den Befehl aussprachen.

      „Hey hörst du mir überhaupt zu?“

      Anne schreckte auf.

      „Verzeih Betty! Was hast du gesagt?“

      „Ich hatte dich gefragt, ob wir hier ins Wasser gehen wollen.“

      Anne hatte gar nicht bemerkt, dass sie bereits an ihrem gewohnten Badeplatz standen. Sie lächelte Betty entschuldigend an und nickte. Zu zweit gingen sie zum Ufer und zogen sich hinter den dort eng bei aneinander stehenden Büschen bis auf die Unterröcke aus. Kurz darauf sprangen sie ins kühle Nass.

      „Und vorher hatte ich dich gefragt, was gestern wirklich passiert ist. Du nimmst mich doch auf den Arm. Oder?“ Das „Oder“ kam sehr zögerlich. Anne hob eine Augenbraue anstelle einer Antwort. „Meinst du das ernst, dass du am Hafen warst und dass du dich mit Männern angelegt hast ?“ Betty sagte es so, als könne sie sich gar nicht vorstellen, was von beidem das schlimmere Verbrechen war. Entsetzen und Unglauben schwangen in ihrer Stimme mit. Eigentlich hatte Anne keine Lust dem Mädchen alles zu erzählen, denn Betty war schon beeindruckt, wenn es jemand wagte, zu spät zum Essen zu kommen. Aber jetzt hatte sie das Thema angesprochen und musste die Fragen ihrer Freundin beantworten. Um Zeit zu schinden, tauchte sie einmal in dem klaren Wasser unter, welches ihre Haut angenehm umschloss, und schwamm danach ein Stück von Betty weg.

      Kurz darauf begann sie langsam zu berichten. Dabei achtete sie genau auf ihre Wortwahl. „Du weißt, dass ich in jeder freien Sekunde am Hafen bin“, sagte Anne erst einmal ganz allgemein, um Betty daran zu erinnern, wie normal diese Ausflüge für sie waren.

      „Ja, schon, aber wie hast du deine Mutter überredet, dich gehen zu lassen und wer hat dich begleitet?“ Anne prustete los. „Ich bin wie immer allein und ohne Pegs Erlaubnis gegangen!“ Betty starrte Anne ungläubig an. Bewunderung glitzerte in ihren Augen. Für Betty war das Baden bereits ein Abenteuer. Dabei lag dieser Teil des Flusses auf dem Grundstück ihrer Familie. Zu allen anderen Ereignissen, die nicht in ihrem Haus stattfanden, begleitete sie einer ihrer Brüder.

      „Aber was haben denn deine Eltern dazu gesagt?“, fragte das immer verwirrter werdende Mädchen. Anne erzählte ihr die ganze Geschichte mit möglichst harmlosen Worten. Leider hatte Betty von dem Abenteuer gehört. Es sprach sich schnell rum, wenn die Tochter von einem der reichsten Plantagenbesitzer der Umgebung betrunkene Matrosen fertigmachte, als wären sie kleine Kinder. Gewiss war Betty auch nur deswegen ausgerechnet heute zu ihr gekommen. Sie liebte es, Geschichten von Ereignissen zu hören, die sie selber niemals erleben würde. Und ebenso gern erzählte sie diese weiter. „Du nimmst mich auf den Arm!“, stammelte Betty gerade zum wiederholten Mal. „Das kann nicht wahr sein“, bestärkte sie ihren Zweifel.

      „Du vergisst, dass ich in Kinsale als Junge aufgewachsen bin. Da wird einem beigebracht, wie man sich verteidigt. Und dein Bruder Michel zeigte mir früher auch den einen oder anderen Trick.“ Anne hatte Betty als einzige von ihrer Vergangenheit erzählt. Genau genommen war es ihr vor einigen Jahren rausgerutscht. Dieses eine Geheimnis hatte Betty bis heute für sich behalten.

      „Aber hattest du denn gar keine Angst? Wenn du nicht so viel Glück gehabt hättest, …“ Betty vergaß, vor lauter Aufregung, sogar zögerlich und zurückhaltend zu sein.

      „Beruhige dich, Betty. Ich hatte kein Glück! Die Matrosen waren nicht die ersten Männer, gegen die ich gewonnen habe. Und sie waren nicht einmal annähernd die besten Kämpfer. Ich wusste die ganze