Manfred Lafrentz

Der Weg des Vagabunden


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Hut auf dem Kopf und einem Stab, auf den er sich stützte. Ich hatte solche Männer früher schon gesehen und nahm an, dass es sich um einen Zauberer handelte. Sie waren leicht zu erkennen, da sie immer wichtigtuerisch mit ihren Stäben herumfuchtelten und ihre Augenbrauen grotesk in die Höhe bürsteten. Dieser hier schien völlig in eine Beschwörung versunken, denn er regte sich nicht. Es empfiehlt sich nicht, einen Zauberer bei der Arbeit zu stören. Das mögen sie nicht, und sie haben auch keine Skrupel, dem Störer entstellende und demütigende Verwandlungen anzuhexen, sodass man womöglich als Frosch mit Vogelbeinen oder als Eichhörnchen mit Krötenkopf durchs weitere Leben watscheln muss. Also trat ich sehr behutsam an ihn heran. Immerhin war ich neugierig, was er in dieser verlassenen Gegend trieb.

      Als ich mich ihm näherte, merkte ich, dass er einfach nur schlief. Der Wind bewegte sacht seinen grauen Kittel und seine ebenso grauen Haare, die aus dem nicht mehr so spitzen Spitzhut herabhingen. Leise und friedlich schnarchte er vor sich hin. Die Regeln für das Wecken von Zauberern waren mir nicht bekannt, also räusperte ich mich vorsichtig. Als nichts geschah, räusperte ich mich etwas heftiger. Der Zauberer zuckte zusammen und öffnete blinzelnd die Augen.

      „Hm …? Was gibt´s?“

      „Seid gegrüßt, Meister!“, sagte ich respektvoll und zog meinen Hut. „Ich sah Euch hier so einsam stehen und wollte nicht unhöflicherweise an Euch vorübergehen, ohne Euch meiner Ehrerbietung zu versichern.“

      Der Zauberer kratzte sich unter seinem langen Bart. „Das ist sehr freundlich von Euch. Ihr scheint ein wohlerzogener Wandersmann zu sein.“ Er sah sich um und streckte sich. „Ich wollte eigentlich nur einen Augenblick ausruhen, aber in meinem Alter schläft man leicht ein, wenn man erst mal steht.“

      Während er ausgiebig gähnte, wies ich auf meine Schultertasche.

      „Ich habe Eure gebeugte Haltung bemerkt. Ihr habt nicht zufällig Verwendung für ein äußerst wirksames Rückenbalsam, das ich Euch gegen ein geringes Entgelt überlassen könnte?“

      „Nein, nein, mein Freund. Sehr zuvorkommend von Euch, aber nicht notwendig.“

      „So ein Zaubermeister wie Ihr“, sagte ich verdrossen, „hat sicher viele Möglichkeiten, mit allerlei Zipperlein fertig zu werden …“

      Er packte seinen Holzstab fester und hielt ihn hoch. „Ganz recht, ganz recht, Freund! Mit der Kunst, die ich beherrsche, ist man allen anderen immer einen Schritt voraus.“

      Was für ein Angeber, dachte ich, nickte aber beifällig und fragte ihn, wohin sein Weg wohl führen mochte.

      „Nun“, sagte er, „ich bin unterwegs zum Haus von Lord Sylvan. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich gern begleiten. Allzu weit kann es nicht mehr sein.“

      Ich fragte mich, wo in dieser Einöde das Haus eines Lords sein sollte, aber ich hatte sowieso kein rechtes Ziel, und vielleicht erwies sich die Bekanntschaft mit einem hohen Herrn als gewinnbringend. Also folgte ich dem Zauberer.

      Bald hatten wir den Wald endgültig verlassen, und nur noch einzelne kleine Baumgruppen unterbrachen die Eintönigkeit der Grasebene, die sich bis zum Horizont erstreckte.

      „Ihr seid wohl ein guter Bekannter des Lords, wie hieß er gleich?“, fragte ich neugierig.

      „Keineswegs.“ Der Zauberer runzelte die Stirn. „Ich kenne Lord Sylvan gar nicht. Aber es gibt Gerüchte, die von seltsamen Dingen berichten, die in seinem Haus vorgehen sollen, deshalb will ich dort nach dem Rechten sehen.“

      „Seltsame Dinge?“, fragte ich beunruhigt. „Welcher Art?“

      Der Zauberer zupfte an seinem Hut. „Nun, diejenigen, die dorthin gehen, kommen nicht mehr zurück.“

      Ich blieb stehen. „Sie kommen nicht mehr zurück? Dann geh ich gar nicht erst dahin.“ Ich drehte mich um und stapfte davon, aber der Zauberer hielt mich fest.

      „Nun wartet mal, Freund!“, rief er beschwichtigend. „Kein Grund, davonzulaufen. Schließlich habt Ihr in mir einen Begleiter, der Eure Sicherheit garantiert. Ein Meister der Magie, wie ich es bin, wird spielend leicht mit jeder Situation fertig, in die wir dort hineingeraten könnten.“

      Ich war nicht überzeugt, wollte andererseits aber auch nicht die Gunst eines Meisters verlieren, die ich vielleicht noch zu meinen Vorteil ausnutzen konnte.

      „Ihr seid sicher, dass Ihr gegen alles gewappnet seid?“

      „Natürlich, Freund, vertraut mir!“, sagte er, und sein Lächeln war in der Tat beruhigend und Vertrauen erweckend.

      Wir gingen weiter in die Richtung, in der das Haus von Lord Sylvan liegen sollte. Ich war immer noch verunsichert. Schließlich wusste ich nicht mit Bestimmtheit, ob es sich bei dem Burschen wirklich um einen Zauberer handelte oder ob er nur so tat.

      „Vielleicht könntet Ihr mir eine kleine Probe Eurer Kunst vorführen? Nur damit ich weiß, dass Ihr wirklich ein Zauberer seid. Versteht mich nicht falsch, ich glaube Euch natürlich alles, was Ihr sagt.“ Ich machte ein bekümmertes Gesicht, in dessen Ausdruck ich allen Schmerz legte, den ich durch die Gemeinheit der Welt erfahren hatte. „Aber das Leben hat mich misstrauisch gemacht, versteht Ihr?“

      Er sah mich fragend an. „An was denkt Ihr?“

      Ich überlegte und wies dann auf einen niedrigen Busch. „Verwandelt doch einen dieser Zweige in eine blühende Blume. So ein kleines Kunststückchen dürfte Euch nicht schwerfallen, oder?“

      Der Zauberer wirkte nicht erfreut. „So was ist schwieriger als Ihr denkt. Es erfordert höchste Konzentration, und ich will meine Kräfte nicht vergeuden. Wer weiß, was wir …“

      „Nun macht schon!“, rief ich ungeduldig dazwischen. „So eine kleine Sache kann doch nicht so schwer sein. Und ich wäre ruhiger, wenn Ihr mir Eure Fähigkeiten beweisen könntet.“

      Er kniff ärgerlich die Augen zusammen. „Also gut, also gut!“

      Er hob seinen Holzstab, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Richtung des Busches und murmelte unverständliches Zeug. Die Luft schien ein wenig zu flimmern, und als ich danach auf den Busch sah, trug dieser tatsächlich anstelle eines Zweiges einen Stängel mit leuchtend roten Blüten. Es sah auf komische Weise unpassend aus.

      „Alle Wetter!“, rief ich lachend. „Das ist ja großartig!“

      Der Zauberer strahlte. „Seht Ihr? Seht Ihr?“, rief er triumphierend. „Es hat funktioniert! Ich hielt den Stab hoch, so, und sagte einen Zauberspruch, und schon geschah´s. Na also, haha!“

      „Ihr scheint ein wenig überrascht“, sagte ich verwundert. „Als würdet Ihr das Gelingen Eurer Zauberei eher selten erleben.“

      „Was soll das heißen?“, fragte er grimmig und hob den Stab gegen mich. „Wollt Ihr meine Meisterschaft bezweifeln?“

      „Keineswegs, keineswegs“, versicherte ich eilig. „Ihr habt sie eindeutig bewiesen, und ich gehe jetzt zuversichtlicher mit Euch mit.“

      Wir gingen weiter, er etwas mürrisch, ich eher verwirrt. Eine Weile sagten wir beide kein Wort, sodass ich begann, mich unbehaglich zu fühlen. So wie es aussah, konnte ich allerdings keinen Rückzieher mehr machen. Er wäre vermutlich beleidigt gewesen, wenn er es nicht schon war, und mit beleidigten Zauberern ist nicht zu spaßen. Ein Eichhörnchen mit Froschbeinen ist keine schöne Existenz.

      Schließlich brach ich zaghaft das Schweigen. „Woher wisst Ihr eigentlich, in welche Richtung Ihr gehen müsst?“ Ich konnte auf der Grasebene nichts erkennen, was als Orientierungspunkt hätte dienen können.

      „Gute Zauberer wissen das“, knurrte er unwirsch. Aber dann wurde seine Miene etwas freundlicher. Er holte einen Gegenstand aus einer Tasche seines ausgebeulten Gewandes.

      „Seht Ihr? Das ist ein Richtungsstein“, sagte er und zeigte mir ein flaches rundes Ding aus grauem Stein, in dessen Mitte sich eine Vertiefung befand, worin ein zitterndes Stäbchen aus Metall immer in die gleiche Richtung wies.

      „Das Stäbchen zeigt nach Norden“,