Manfred Lafrentz

Der Weg des Vagabunden


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besteht zwischen den Welten, aber der Lord ist durch einen Bann an ihn gebunden.“

      „Also müsste das Ungeheuer getötet werden?“

      „Nein, das würde nicht genügen. Die Untat des Lords muss rückgängig gemacht und dadurch der Riss geschlossen werden, sonst wird sich das Weltgefüge immer weiter auflösen, und nichts wird mehr sein wie es war. Die Toten werden mit uns wandeln, und die Lebenden werden wie Tote sein.“

      Bei diesen Worten lief mir ein Schauer über den Rücken, obwohl sie mir recht theatralisch vorkamen.

      „Und was sollen wir nun tun?“, fragte ich unbehaglich. „Was können wir überhaupt tun?“

      Der Zauberer kratzte sich am Kopf. „Das ist mir auch nicht ganz klar.“

      „Ich denke, Ihr wisst über diese Dinge Bescheid“, sagte ich ungehalten.

      „Ja, ja, das weiß ich auch“, brummte er. „Aber das will alles gut bedacht sein. Ihr Laien stellt euch das zu einfach vor.“

      „Mit anderen Worten, Ihr habt keine Ahnung, was zu tun ist.“

      „Nicht im Moment“, sagte er kleinlaut.

      „Großartig!“, rief ich und schleuderte einen Wurstzipfel ins hohe Gras. „Ihr müsst die Welt retten und habt keinerlei Plan. Aber was soll´s? Vielleicht ist es ja ganz lustig, wenn die Toten mit den Lebenden wandeln!“

      „Erspart mir Euren Sarkasmus“, sagte der Zauberer. „Natürlich habe ich einen Plan. Was sucht Ihr da eigentlich?“

      „Ich suche einen Wurstzipfel“, knurrte ich und fand ihn. „Wie lautet denn Euer famoser Plan?“

      „Wir müssen den Rat der Zauberer aufsuchen. Zusammen werden wir sicher eine Lösung finden, denn meine Kollegen besitzen umfangreiche Kenntnisse über diese Dinge.“

      „Wohl mehr als Ihr, was?“, rief ich höhnisch.

      „Seid nicht so vorlaut!“, sagte er streng. „So ein kompliziertes und ungewöhnliches Problem erfordert bedächtiges Vorgehen und tiefes Nachdenken. Je mehr kluge Köpfe sich daran beteiligen, desto besser.“

      „Und wo finden wir diese klugen Nachdenker?“

      „Das ist allerdings eine Schwierigkeit“, gab er zu. „Wir Zauberer sind selten zusammen an einem Ort. Unsere Aufgaben bringen es mit sich, dass wir ständig in alle Himmelsrichtungen verstreut sind. Am besten ist es, wir gehen einfach los. Irgendwann werden wir auf einen von ihnen stoßen, dann auf den nächsten und so weiter.“

      „Das nenne ich mal einen Plan!“, sagte ich feixend. „Wir gehen einfach los, und alles wird sich finden.“

      „Genau.“ Er stand auf und reckte sich. „Packt Eure Wurst und Eure Spottlust ein und lasst uns aufbrechen.“

      Wir wanderten den ganzen Tag über in östlicher Richtung und rasteten oft, was unsere Vorräte erheblich dezimierte. Meine Besorgnis, das Monstrum könnte uns verfolgen, versuchte der Zauberer zu zerstreuen.

      „Es scheint, als wäre er an den Ort seiner Tat gebunden und könnte ihn nicht verlassen. Das wäre nicht ungewöhnlich, denn Flüche hängen oft an dem Ort fest, an dem sie entstehen.“

      „Glaubt Ihr, er hat seine Gemahlin tatsächlich gefressen?“, fragte ich.

      „Das kann ich nicht sagen, aber ich bezweifle es. Ihr Verschwinden ist sicher ein Resultat der unseligen Experimente ihres Gatten. Auch das werden wir aufklären müssen. Vielleicht ist es sogar notwendig, dass wir herausfinden, wo sie abgeblieben ist.“

      Am späten Nachmittag stießen wir auf dichtere Baumbestände. Die Grasebene ging allmählich in Wald über. „Vor uns liegt der Wald von Yorn“, sagte der Zauberer. „Er ist ziemlich ausgedehnt. Wir werden Tage brauchen, um ihn zu durchqueren.“

      „Was liegt jenseits davon?“

      „Nach Osten hin fruchtbare Ländereien, das Hügelland, das ebenfalls Yorn genannt wird. Nach Norden hin liegen Sümpfe und Steppen, die sich bis zu den Bergen am Nordmeer erstrecken. Yorn ist ziemlich dicht besiedelt. Ich hoffe, dort auf einen meiner Kollegen zu treffen.“

      „Was ist, wenn die Zauberer alle im Süden sind? Immerhin bewegen wir uns von dort weg.“

      „Möglich wär´s. Aber eigentlich meiden wir die großen Städte des Südens. Zauberer werden dort gern in politische Geschäfte verwickelt. Eine Beschwörung hier, eine Intrige dort, man hat nur Ärger damit, denn Feinde macht man sich immer. Trotzdem kann es sein, dass sich Zauberer dort aufhalten, aber irgendwo müssen wir ja anfangen, nach ihnen zu suchen, und wenn wir erst mal einen gefunden haben, wird sich unser Wissen schon verdoppeln.“

      Oder verzehnfachen, dachte ich, denn ich hegte den Verdacht, dass sich mein Begleiter nicht gerade am oberen Ende der Rangordnung seiner Kollegen befand. Außerdem beschäftigte mich der Gedanke, was eigentlich für mich bei der ganzen Sache heraussprang. Die Welt retten, na schön, aber wer dankt es einem und in welcher Form?

      Als ich den Zauberer fragte, ob wir denn im Erfolgsfall eine Belohnung zu erwarten hätten, schmunzelte er.

      „Das kann man nie wissen. Die Dankbarkeit der Menschen ist unberechenbar. Ich erinnere mich an eine Geschichte über einen Ritter, der seinem König einen großen Dienst erwiesen hatte. Zur Belohnung wurde er vollständig mit Goldmünzen überschüttet. Dabei saß er auf seinem Pferd und hatte noch einen Speer in der Hand, der seinen Kopf überragte.“

      Ich riss den Mund auf. „Das muss eine Menge Gold gewesen sein!“

      „In der Tat.“

      Mir wurde fast schwindlig, als ich mir vorstellte, dass es mir wie diesem glücklichen Ritter gehen könnte. Am liebsten hätte ich mich in die Sonne gelegt und diesen Traum in allen Einzelheiten ausgekostet. Ich malte mir genüsslich aus, wie ich Noch! Noch! gerufen hätte, weil die Speerspitze immer noch unbedeckt war.

      Dann ernüchterte mich der Gedanke, dass der Zauberer mir so etwas nur erzählte, um sich meiner Unterstützung zu versichern. Ich nahm mir vor, skeptisch zu bleiben und bei allem vorzüglich eines zu suchen: meinen Vorteil.

      Nach der Eintönigkeit der Grasebene war es zunächst sehr angenehm, durch den Wald zu wandern. Kleine und größere Baumbestände wechselten mit sonnenbeschienenen Lichtungen ab, wo Tausendgüldenkraut und Waldröschen rosa und purpurn blühten und Bienen und Käfer hübsche Konzerte gaben. Gegen Abend jedoch, als wir immer weiter in den Wald vordrangen, wurden die Lichtungen seltener und verschwanden schließlich ganz. Wir befanden uns in einem steten Dämmerlicht, denn das Licht der Sonne, die noch gar nicht untergegangen war, ließ sich jenseits des Daches aus dichtem Laub, das die immer mächtiger werdenden Stämme der uralten Bäume trugen, kaum noch erahnen.

      Diese beständig sich vertiefende Düsternis behagte mir, der die offenen Landschaften des Südens gewohnt war, wenig. Nicht, dass ich mich gefürchtet hätte, aber eine gewisse Beklemmung ließ sich nicht leugnen.

      „Wo werden wir heute Abend eigentlich bleiben?“, fragte ich besorgt. „Haben wir den Wald bald durchquert?“

      „Wo denkt Ihr hin?“, rief der Zauberer und lachte. „Wir befinden uns an seinem äußersten Rand und werden Tage brauchen, um ihn zu durchqueren. Das habe ich Euch doch schon gesagt.“

      „Aber dann müssen wir hier im Wald übernachten!“, rief ich.

      „Natürlich.“ Er sah mich von der Seite her an. „Was ist? Fürchtet Ihr Euch?“

      „Keineswegs!“, sagte ich hitzig. „Aber eine gewisse Beklemmung lässt sich …“

      „Macht Euch keine Sorgen“, unterbrach er mich schmunzelnd. „Der Wald ist weit weniger gefährlich als die Leute aus den zivilisierteren Gegenden gemeinhin annehmen.“

      Ich fand das nicht sehr beruhigend. Irgendwoher müssen die Schauergeschichten über Wälder schließlich kommen.

      Inzwischen wirkte alles immer