Manfred Lafrentz

Der Weg des Vagabunden


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den Eindruck, als bewegten sie sich. Brennende Blicke unmenschlicher Augenpaare glaubte ich auf meinem Rücken zu spüren. Ständiges Geraschel im Verborgenen tat ein Übriges, um meine Nerven zu strapazieren. Ich konnte nicht begreifen, wie mein Begleiter so seelenruhig und zuversichtlich voranschreiten konnte.

      Immerhin fand er tatsächlich einen gangbaren Weg durch dieses Labyrinth von Bäumen und Sträuchern. Möglicherweise halfen ihm seine magischen Künste dabei. Ich hielt mich direkt hinter ihm, denn der Gedanke, meinen Führer durch diese Waldhölle zu verlieren, war grauenerregend.

      Nach einer Weile wurde der Baumbestand endlich wieder etwas lichter. Wir konnten ungehinderter ausschreiten, und ich beruhigte mich ein wenig, obwohl immer noch die Frage des Nachtquartiers ungeklärt war.

      „Gibt es vielleicht eine Herberge in der Nähe?“, fragte ich hoffnungsvoll. Die Verhältnisse in einem großen Wald waren mir weitgehend unbekannt, aber ich hatte etwas gesehen, das mich erwartungsvoll stimmte.

      Der Zauberer lachte. „Ihr scherzt wohl! Wir befinden uns mitten in der Wildnis, falls Ihr das noch nicht bemerkt habt.“

      „Aber“, sagte ich und fühlte mich in diesem Augenblick dem Alten weit überlegen, „da vorne ist doch ein Haus!“ Ich deutete auf ein mit Grassoden bedecktes Dach, das durchs Laubwerk der Bäume deutlich zu erkennen war.

      „Potzdonner und Blitz!“, rief der Zauberer. „Ihr habt recht! Da soll mich doch …“ Er kratzte sich verwirrt unter seinem Bart. „Mir ist nichts davon bekannt, dass in diesem Teil des Waldes jemand lebt. Höchst verwunderlich, das! Höchst verwunderlich!“

      „Nun“, sagte ich von oben herab, „Ihr könnt eben nicht alles wissen. Vielleicht hat sich erst kürzlich jemand hier angesiedelt, und es hat sich noch nicht bis zu Euch herumgesprochen.“ Die Aussicht auf ein Dach über dem Kopf für die Nacht hatte meine Gemütslage erheblich aufgehellt, und ich schlug dem Alten freundlich auf die Schulter. „Nehmt´s leicht! Die eine oder andere Wissenslücke ist auch für einen Zauberer …“

      „Ihr wisst nicht, was Ihr redet!“, unterbrach er mich unwirsch. „Hier hat nie jemand gelebt, und es ist auch nicht vorgesehen, dass jemand hier lebt.“

      „Was heißt vorgesehen?“, fragte ich ärgerlich. „Wollt Ihr etwa behaupten, dass es ein Gesetz dagegen gibt, sich eine Hütte im Wald zu bauen?“

      „Man könnte es so nennen. Nur Elfen dürfen in diesem Wald siedeln. Ohne ihre Erlaubnis darf sich niemand hier niederlassen.“

      „Elfen?“, fragte ich interessiert. „Hier leben Elfen?“

      „Natürlich. Der Wald von Yorn ist ihr Gebiet.“

      „Vielleicht wohnt ein Elf in der Hütte. Lasst uns nachsehen!“

      Der Zauberer sah versonnen zu dem Häuschen hinüber, hinter dem man eine größere Lichtung im letzten Abendlicht erkennen konnte. Seltsamerweise stand es zwischen den Baumstämmen, als ob der Bewohner bewusst die Deckung, die sie boten, bevorzugt hätte. „Elfen wohnen nicht in Bretterhütten, mein Freund. Aber Ihr habt recht, lasst uns nachsehen.“

      Vorsichtig schritt er auf die Hütte zu, und ich folgte ihm, womöglich noch vorsichtiger. Die hintere Position kam mir sehr entgegen, denn so konnte ich leichter verschwinden, falls sich der Bewohner dieses einsamen Ortes als über die Maßen unfreundlich erweisen sollte.

      Wir gelangten bis zur Hütte, ohne dass sich in ihr etwas gerührt hatte. Zumindest bemerkten wir nichts davon. Die Fensterläden waren verschlossen, sodass wir nicht ins Innere spähen konnten.

      „Was nun?“, fragte ich. „Sollen wir klopfen?“

      „Hm“, machte der Zauberer und zupfte unschlüssig an seinem Bart.

      Plötzlich und ohne Vorwarnung wurde die Tür des Häuschens mit einem Ruck aufgerissen, und eine heisere Stimme krähte: „Hoho! Was haben wir denn da? Zwei Besucher, und was für schmucke!“

      Mir war der Schreck in alle Glieder gefahren. Wie erstarrt stand ich da, während eine grausige Gestalt aus der Hütte gesprungen kam. Ich konnte nur graue und bunte Fetzen erkennen, die um uns herumwirbelten, und ich befürchtete, ein sprachbegabtes Untier oder ein Dämon wollte uns zerreißen. Aber als die Gestalt etwas zur Ruhe kam, entdeckte ich zu meiner Verblüffung, dass es sich um eine alte Frau handelte, offenbar recht drahtig und rüstig, ihrem Gehopse nach zu urteilen. Ihr braunes Gesicht wurde von vielen Fältchen durchzogen und von einer grauen Mähne umrahmt, die sie sich schwungvoll und, wie ich fand, mit einer gewissen Affektiertheit immer wieder über die Schulter warf. Gekleidet war sie in einen Kittel aus lauter bunten, zusammengeflickten Fetzen, in einer augenscheinlich sinnlosen und völlig willkürlichen Zusammenstellung. Er reichte vom Hals bis zu den Füßen und wurde um die Hüften von einem schlichten Seil zusammengehalten. Insgesamt bot diese Frau einen kuriosen, aber harmlos wirkenden Anblick, und ich entspannte mich.

      Meinem Gefährten schien es ebenso zu ergehen. Er glotzte die sonderbare Hausherrin an und lächelte dabei etwas einfältig, wie ich fand.

      Sie deutete mit einem dürren Finger auf ihn. „Ah, ein Zauberer!“ Dann deutete sie auf mich. „Und ein Nichtsnutz.“

      Zwar war ich solche Kränkungen gewöhnt, aber hier, mitten in der Wildnis, von einem derartig skurrilen Wesen beleidigt zu werden, empfand ich dann doch als starkes Stück. „Ich wüsste nicht …“

      „Mund halten, Bürschchen!“, fuhr sie mich an. „Wenn ich den Herrn Magier in mein Haus bitten dürfte …“ An mich gewandt: „Du kannst auch kommen, wenn es sich nicht vermeiden lässt.“

      Damit verschwand sie in der Hütte.

      Ich sah meinen Begleiter an. „Also, ich muss schon sagen!“, flüsterte ich erbost. „Was haltet Ihr davon?“

      Er grinste immer noch etwas dümmlich. „Ich glaube, sie ist eine Erdfrau.“

      „Aha. Und was bedeutet das?“

      „Erdfrauen sind im Grunde wie Zauberer, nur dass sie nicht zur Gilde gehören und etwas unberechenbar sind. Einige Meister haben Bedenken gegen weibliche Ausübende der Zauberkunst. Ich natürlich nicht!“, fügte er hastig mit einem Blick auf die Tür hinzu. „Aber manche halten die Erdfrauen für zu unabhängig, um sich vorschriftsmäßig in die Gildenordnung einzufügen.“

      „Kann ich mir vorstellen“, brummte ich. „Diese alte Hexe beleidigt mich ohne jeden Grund und …“

      „Mäßigt Euch!“, flüsterte der Zauberer eindringlich. „Nicht Hexe. Erdfrau! Erdfrau! Ihr tätet gut daran, sie nicht zu verärgern. Erdfrauen können sehr viel Macht besitzen.“

      „So?“ Ich warf einen argwöhnischen Blick zur Tür hinüber. „Ich würde sagen, wir sollten verschwinden.“

      „Was ist?“, krähte es aus der Hütte. „Mögen die Herren kein Bier?“

      Wir traten ein.

      4

      Das Innere der Hütte erinnerte an den kunterbunten Aufzug der Alten. In heillosem Durcheinander standen auf rohen, an die Wand genagelten Brettern Unmengen von Krügen, Töpfen, Schalen und Bechern mit undefinierbarem Inhalt. Dazwischen steckten überall Bündel von Kräutern und sonstigem Gemüse. Auch von der Decke hingen solche Büschel herab, sodass man ständig Zwiebeln, Wurzeln und Ähnlichem ausweichen musste. Sie sorgten anscheinend für den scharfen, würzigen Geruch, der die Hütte vollständig ausfüllte. Im hinteren Teil der Behausung befand sich eine primitive Feuerstelle, die offenbar schon länger nicht mehr benutzt worden war, den erstarrten Ascheklumpen nach zu urteilen, über denen ein verbeulter Kessel an einem Haken hing. Daneben stand etwas, das man mit einigem guten Willen als Bett bezeichnen konnte, nämlich ein länglicher, mit Stroh ausgefüllter Holzkasten, auf dem eine grobe Leinendecke lag.

      Wir setzten uns unaufgefordert auf recht wacklige Hocker rund um den Tisch, der mitten im Raum stand, denn auf ihm standen neben einer großen Kanne drei Krüge, die tatsächlich