Manfred Lafrentz

Der Weg des Vagabunden


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mit den beiden anderen davon. Eluîna drehte sich um und marschierte los, und ich beeilte mich, sie einzuholen.

      Ich sah sie neugierig an. „Sie behandeln dich ein bisschen von oben herab, was?“

      „Hm.“, machte sie einsilbig.

      „Warum?“, fragte ich.

      Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. „Es liegt wohl daran, dass mein Vater ein Mensch war.“

      „Tatsächlich?“

      „Ich habe ihn nicht gekannt, und er ist natürlich schon lange tot.“

      „So um die hundert Jahre, vermutlich“, sagte ich.

      „Ja“, sagte sie traurig.

      „Hat deine Mutter dir nichts von ihm erzählt?“

      „Nein. Ich habe oft gefragt, aber die menschliche Herkunft gilt bei uns als Makel. Sie hat mir schließlich verboten, darüber zu reden.“

      „Na so was!“, rief ich empört. „Dabei ist sie es doch gewesen, die sich mit einem Menschen eingelassen hat. Mit Verlaub, aber deine Mutter ist mir nicht sonderlich sympathisch, auch wenn ich sie nicht kenne.“

      Eluîna lächelte. „Du hast sie eben gesehen. Die mittlere der drei war meine Mutter.“

      „Ach.“ Das nahm mir den Wind aus den Segeln, denn die Erscheinung der drei hatte mich schon ein wenig beeindruckt. „Trotzdem“, beharrte ich. „Sie hätte dir ruhig von deinem Vater erzählen können.“

      „Ich wünschte manchmal“, sagte sie sehnsüchtig, „er könnte, für einen Tag nur, oder auch nur für die Dauer eines Liedes, das ich für ihn singen könnte, aus dem Totenreich zurückkehren.“

      Das erinnerte mich an etwas, und unbehaglich schweigend stapfte ich neben ihr her.

      6

      Wir verließen schließlich den Wald von Yorn und kamen in das östlich davon gelegene Gebiet, das Meister Norwin als fruchtbar und reich an Menschen gepriesen hatte. Es war ein sanft hügeliges Grasland, durchsetzt mit mächtigen, baumbestandenen Felsformationen. Schmale Flussläufe führten klares Wasser durch kleine Gehölze, und es war nicht schwierig, geschützte Stellen für unsere Nachtlager zu finden, zumal in den lauen Nächten am Anfang des achten Mondes nicht viel Schutz, ja, nicht einmal ein Lagerfeuer erforderlich war.

      Menschen trafen wir allerdings nicht. Ich setzte darauf, noch weiter im Osten auf Siedlungen zu stoßen, und hoffte, dass die Angaben des alten Zauberers nicht genauso unzuverlässig waren wie er selbst.

      Vor allem was das Essen betraf, war ich unzufrieden in dieser Einsamkeit. Visionen von saftigen Braten marterten mich unablässig. Zwar sah ich gelegentlich Hasen durchs Gras flitzen, aber hinterherzurennen und sie mit bloßen Händen zu erwürgen, erschien mir würdelos und wenig aussichtsreich. Wohl hatte ich davon gehört, dass man diesen Tieren Fallen stellen konnte, aber wie man sie herstellte, war mir unbekannt. Meinen Bedarf an Fleischgerichten hatte ich bislang nur in Wirtshäusern gedeckt. Eluîna schien nicht sonderlich erpicht auf Fleisch zu sein und war mir in dieser Hinsicht keine Hilfe. Sie sammelte in den Gehölzen Beeren und Wurzeln und sogar Blumen, die wir zusammen mit einigen Krümeln ihres seltsamen Gebäcks aßen, sodass wir satt genug wurden. Aber es war eine jämmerlich eintönige Art, sich den Bauch zu füllen. Zum Sammeln der Beeren benutzte Eluîna meinen Hut, was mich sehr ärgerte. Aber da sie allein für unseren Proviant sorgte, wagte ich keinen Einwand, auch wenn ich gelegentlich glitschige Klumpen aus meinem Hut zupfen musste.

      Auch in einer anderen Hinsicht war die Elfe etwas anstrengend. Sie nutzte jede Gelegenheit, um in den Flüsschen, an denen wir entlang wanderten, zu baden, was mich, aufgrund ihrer vorwurfsvoll aufmunternden Blicke wohl oder übel dazu veranlasste, es ihr gelegentlich gleich zu tun, obwohl ich nicht den Eindruck hatte, es nötig zu haben.

      So wanderten wir tagsüber dahin und legten uns abends müde ins warme Gras, am Rande einer Baumgruppe oder am Fuß eines Felsens. Im weichgoldenen Abendlicht aßen wir, was wir hatten, während leiser Wind rauchig-würzige Luft herbeiwehte und das Laub über uns wispernd rascheln ließ.

      Die Einsamkeit beschwerte mich, und ich war froh, wenn Eluîna ihre Mandoline stimmte, um dann ein wenig zu singen. Ihre hohe Stimme umkreiste die Melodielinien ihres Instruments wie ein Vogel zwischen den Wipfeln hoher Bäume herumfliegen mag. Dann wieder klang ihre Stimme tiefer und ein wenig rau, wie der Wind, der warm über das Gras der Ebene streicht. Sie sang von Ländern, in denen Barken auf Flüssen von Blumen dahinschwimmen und Bäume sich mit Wolken vermählen. Ich glaube nicht, dass es solche Länder gibt, aber während sie sang, glaubte ich daran.

      Eines der Lieder, das sie in der Elfensprache sang, klang sehr traurig, und ich fragte sie, wovon es handelte.

      Sie lächelte scheu. „Es spricht von der Liebe zwischen denen, die nicht zusammen gehören, von Liebe, die man eigentlich für unmöglich hält.“

      Ich überlegte. „Gibt es eigentlich oft Verbindungen zwischen Menschen und Elfen?“

      „Hin und wieder.“ Eluîna senkte den Kopf. „Es gehen aber selten Kinder daraus hervor.“

      Ich betrachtete sie versonnen. Sie hatte die schräggestellten Augen und die spitzigen Ohren des Elfenvolkes, aber vielleicht waren sie nicht ganz so schräg und nicht ganz so spitzig.

      „Wie kommt das?“, fragte ich, auf ihre letzte Bemerkung eingehend.

      Sie runzelte die Stirn. „Solche Mischwesen sind bei beiden Völkern nicht beliebt. Und ich glaube, sowohl die Menschen- als auch die Elfenfrauen wissen, wie man Geburten verhindert.“

      Ich überdachte das eine Weile. „Das heißt, deine Mutter hat nichts gegen deine Geburt unternommen.“ Das machte sie mir wieder sympathischer. „Vielleicht hat sie deinen Vater sehr geliebt.“

      Eluîna lächelte nur.

      Müde wie immer nach des Tages Wanderung legten wir uns ins Gras, wo wir mit ein paar Zweigen ein armseliges Lager eingerichtet hatten. Erst jetzt begannen die Grillen ihr Konzert, als hätten sie sich nicht getraut, so lange die Elfe ihres nicht beendet hatte.

      Die folgenden Tage unterschieden sich nicht von den vorangegangenen. Wir gingen in Richtung einiger Hügel, die blassblau in der Ferne schimmerten.

      „Ich hoffe, die Gegend ist bewohnt“, sagte ich. Es wird Zeit, unser Geschäft zu probieren.“

      Eluîna sah mich an. „Was ist unser Geschäft?“

      Wir hatten bislang nicht darüber geredet, also schien es an der Zeit, ihr einige grundlegende Einblicke in das zu gewähren, was uns reich machen sollte.

      Ich klopfte auf meine Tasche. „Ich verkaufe Salben, Tinkturen und Säfte, die nahezu jedes Gebrechen, das die Menschen befällt, heilen können“, verkündete ich strahlend. „Und du wirst den Leuten einfach sagen, wie großartig diese Arzneien sind.“

      „Woraus bestehen sie?“

      „Nicht so wichtig“, brummte ich.

      „Ich würde es gern wissen, wenn ich sie anpreisen soll.“

      „Meine Güte!“, sagte ich ärgerlich. „Es ist von diesem was drin und von jenem, das muss man nicht so genau wissen.“

      „Weißt du denn nicht, woraus sie bestehen?“

      „Doch, doch …“

      „Also?“

      Ihre Hartnäckigkeit war lästig. „Also, es ist viel Wasser drin“, sagte ich mürrisch. „Außerdem einige zerriebene Blätter, mal solche, mal andere, dazu Früchte und sehr, sehr heilkräftige Erde.“

      „Das ist doch keine richtige Arznei!“, rief Eluîna vorwurfsvoll.

      „Wenn ich sage, es ist Arznei, dann ist es Arznei.“

      „Aber das ist Betrug!“

      „Betrug!