Anne Robert

Vervögelt


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einer Stunde kam ich und meldete mich euphorisch an.

      Yabbadabbadoo. Wilma, I’m home, rauschte es durch meinen Kopf. Fred Feuerstein ist wieder zurück.

      „Hallo Alma, ich bin wieder da.“

      Ihr Blick war mürrisch. Was hatte ich ausgefressen.

      „Was ist los? Was gibt’s?“

      „Warst du in meinem Postfach?“

      „Dein Postfach?“. Ich wusste nicht, was ich in ihrem Postfach hätte tun sollen?

      „Ja, mein Google-Postfach. Ich habe meine Mails aufgerufen und du warst im Anmeldefeld schon eingetragen.“

      Ich kratzte mich am Kinn. Wie war das möglich? Hmmm.

      Mir kam da eine Idee.

      „Eigentlich kann das nur sein, weil wir das Video auf Youtube anschauten. Ich musste mich einloggen, da es auf Jugendschutz eingestellt war. Erinnerst du dich?“

      Sie blickte mich fragend an.

      „Und dazu habe ich mein Youtube-Login verwendet. Und Youtube ist die Tochter von Google und damit bin ich automatisch auch in Google eingeloggt. Es kann nur so sein.“

      „Aha“, antwortete sie mir knapp. Ihr Blick gab mir den Zusatz „ich glaub dir nicht“.

      „Wieso, was ist?“, fragte ich sie.

      „Ich möchte nicht, dass du in meinen Sachen herumstierst.“

      Oh, wow. Ich in ihren Sachen herumstieren? Wie kam sie denn darauf?

      „Wieso sollte ich?“, gab ich zur Antwort.

      Und dann setzte ich schnell nach: „Oder hast du was zu verbergen?“

      „Ich? Immer!“, antwortete Alma prompt. Für mich eine Spur zu schnell. Ich roch Lunte. Da stimmte was nicht und mir kam das sehr merkwürdig vor.

      Ich beschloss aber, das Thema vorerst ruhen zu lassen.

      6. Dezember – Nikolaustag

      Nachdem die Kinder ihren Nikolaussack vor der Wohnungstür entdeckt und geleert hatten und Alma mit der nächsten S-Bahn gen Arbeit entfleucht war, erinnerte ich mich zurück an die Situation von gestern.

      Ich griff nach dem Telefon und rief die abgespeicherte Nummer von Anne auf. Anne ist eine Freundin. Ich teilte mit ihr eine ganze Menge und schätzte sie als meine Beraterin. Auf ihr Urteil und ihre Menschenkenntnis konnte ich mich schon oft verlassen. Sie erklärte mir schon in der einen oder anderen Situation, warum Frauen so ticken, wie sie ticken, also für jeden Mann komplett unverständlich. Und sie kritisierte mich dort, wo ich mich selbst nicht mehr kritisch betrachtete.

      Ich war fast ein wenig verwundert, dass es etwas länger dauerte, bis Anne am Apparat war. Normalerweise war sie mit dem Telefonhörer am Ohr verwachsen und legte ihn bestimmt nicht mal für die Nacht aus der Hand.

      „Guten Morgen. Du sag mal, ich muss dir mal was erzählen. Was hältst du denn davon?“

      Ich schilderte ihr die Situation von gestern, noch bevor sie richtig „Hallo“ sagen konnte.

      „Mein Moritz ist krank. Ich muss zum Kinderarzt.“ Sie unterbrach mich etwas unwirsch. Moritz ist ihr kleiner Sohn, sechs Jahre alt und der Augenstern der Mutter. Ob Mütter prinzipiell ihre kleinen Kinder und insbesondere dann, wenn sie vom anderen Geschlecht sind, so sehr vergöttern? Manchmal denkt man, dass diese kleinen Wesen alles machen könnten, man sähe es ihnen nach.

      „Oh je, dein Moritz ist krank? Was hat er denn?“

      „Er hat über 40°C Fieber. Schon seit gestern. Gerhard hat heute keine Zeit und ich muss mit dem Kind irgendwie zum Arzt und wieder da sein, bevor Ina von der Schule kommt.“

      „Also wenn Ina heim kommt und du solltest noch nicht wieder zurück sein, dann soll sie bei mir klingeln. Ich mach meinen Kindern was zu essen, dann isst sie mit uns mit.“

      Der Willhelm-Läpple-Weg, in dem Anne eine Wohnung im Haus gegenüber bewohnte und mir praktisch zuwinken könnte, war ein bisschen wie Bullerbü. Hier kümmerte sich jeder um jeden. Anne übernahm, wenn es bei mir beruflich eng war und wenn ich zu Hause im Home-Office arbeitete, dann durften auch alle Kinder zu mir kommen. Immer alle vier. Da jeweils die bessere Hälfte von uns außer Haus arbeitete, fanden wir damit eine ideale Lösung für die Kinder. Dachten wir. Als beste Freunde waren sich die Kinder nahe und genossen die Situation einer „Großfamilie“.

      „Jetzt hör mal. Das mit Moritz ist schlimm, aber er wird schon nicht sterben. Was sagst du denn zu dem komischen Verhalten von Alma?“

      „Hmmm. Damit kann ich nicht wirklich was anfangen. Merkwürdig ist das schon. Was hat sie denn zu verbergen?“

      „Na, wenn man ihrer Aussage glaube soll, schon ne Menge.“

      „Dann schau doch mal in ihr Netbook. Du kannst doch zaubern.“

      Das Vertrauen von Anne schmeichelte mir.

      „Ja, aber ich mach das nicht. Anderen hinterher zu spionieren. Das ist nicht meine Art.“

      „Gut. Du kannst natürlich auch dumm sterben.“

      Oh, wie direkt die kleine Blonde von nebenan sein konnte.

      „Du meinst also, ich solle mal nachschauen?“

      „Ja klar!“, sie schrie mich fast an, „keine Frau wäre so blöd und würde nicht nachschauen, wenn sie einen Verdacht hätte sondern würde direkt wühlen, was hier vor sich geht.“

      Ich überlegte kurz.

      „Denk‘ nicht nach. Mach. Bestimmt machst Du dir völlig umsonst Sorgen.“

      Sie konnte wohl meine Gedanken lesen, so wie ich das manchmal auch bei ihr konnte.

      „Ok. Ich starte mal ihr Netbook und schaue nach.“

      „Gut so. Ich muss jetzt los. Gerhard meinte, er hätte keine Zeit und wohl viel zu tun. Blabla etc.“

      „Aha“, meinte ich. Gerhard war etwas unstrukturiert. Entweder mit viel Zeit, die er nicht nutzen konnte oder ohne Zeit, die er auch nicht nutzen konnte. In jedem Fall also nicht wirklich eine Hilfe. Struddelig wie er war, schlug er zu Hause auf und vergaß dabei ganz, Ina auf dem Heimweg beim Sport mitzunehmen. Anne erinnerte ihn immer an alles, was er gerne vergaß.

      „Ich wundere mich manchmal, wie du deine Familie meisterst. Eigentlich hast du drei Kinder.“

      Ich verabschiedete mich von Anne und legte auf.

      Eine endlos scheinende Weile verging, in der ich am Frühstückstisch saß. Auch wenn Anne fand, ich sollte das Netbook meiner Partnerin starten und alles lesen, was es so gab, so kämpfte in mir Engelchen und Teufelchen. Man stiert nicht in den persönlichen Unterlagen seiner Frau.

      Teufelchen gewann und ich wischte meine Gedanken weg. Sollten andere heilig sein. Ich nicht.

      Mit zitternden Händen zuckelte ich am Schieberegler des Samsung Netbooks rum. Das kleine Gerät brauchte lange, bis es mich mit dem Windows-Logo begrüßen wollte. Das Gefühl ließ mich nicht los, Alma könnte jeden Moment um die Ecke kommen und mich ertappen. Mir kam es vor, als sollte die Langsamkeit des Rechners mich bewahren, Dinge zu erfahren, die ich besser nicht erführe. Den Zugang zu Almas Google-Account wusste ich nicht, aber ich konnte doch einfach mal in ihrem Outlook-Postfach nachschauen? Das war akribisch aufgeräumt. Wenn ich mich auf etwas verlassen konnte, dann darauf, dass Alma alles aufräumte, ordnete und katalogisierte. Sie war womöglich die einzige Person, die eine ganze Familie dazu verdonnern konnte, bei 30°C im Schatten den Keller aufzuräumen – und das mit dem Wissen, das dies der letzte Sommertag des Jahres