Jens-Jörg Plep

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt...


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sehr ruhig. Hier muss ich mich erst einmal zum Bundeskanzleramt durchfragen, was zu der späten Stunde nicht ganz einfach ist. Doch schließlich sind wir da und ich parke das Auto linkerhand vor der Einfahrt. Hinter dem Tor wachen zwei junge BGS-Beamte, ich lasse meine Familie im Auto und gehe auf den vorderen Beamten zu. „Guten Abend, ich bin Regierungssekretär Plep von der Bundeswehr. Ich möchte den Bundeskanzler Herrn Dr. Gohl in einer dringlichen Angelegenheit sprechen."

      Der BGS-Mann geht in sein Wachhäuschen, er telefoniert kurz und spricht ein paar Worte mit dem anderen BGS-Mann. Als er wieder herauskommt, sagt er zu mir: „Tut mir leid, der Bundeskanzler ist in seinem Privatquartier, ich habe eben mit einem seiner Personenschützer telefoniert." Ich gehe zu meinem Toyota zurück und erkläre mit knappen Worten meiner Familie die Situation. Angela meint: „Dann müssen wir eben erst einmal zurückfahren. Du kannst ja noch am Montag telefonieren oder einen Brief schreiben."

      Das mit dem Brief hatte mir der BGS-Beamte auch schon gesagt...

      Ich glaube, die Herrschaften können sich gar nicht vorstellen, welcher Einfallsreichtum mich beflügelt, wenn es um den Weltfrieden geht. Denn vor einem Gespräch mit dem Kanzler habe ich überhaupt keine Angst - ich werde ihm meine Intentionen schon so rüberbringen, dass er mich versteht und handeln kann. In meinem Kopf fügt sich alles zu einer riesigen Gedankenkonstruktion, zu einem neuen Weltbild, zusammen - ich würde in dieser Angelegenheit jedem Beliebigen meine Gedanken schlüssig erklären können.

      Später musste ich allerdings feststellen, dass mir einige der damaligen Gedankenbrücken abhanden gekommen sind. Möglicherweise ist das auch gut so, denn ich habe von einem Psychiater erfahren, dass man diesen Vorgang, den ich damals durchlebte, „Gedankenrauschen" nennt - und das ist ziemlich krank. Man muss sich das so vorstellen, dass ein Gedanke auf den anderen folgt, immer schneller, immer weiter. Man kann nicht mehr aufhören, angestrengt zu denken - nicht tagsüber, nicht nachts. Das geht nicht lange gut, irgendwann ist ein Teil des Gehirns überlastet und versagt den Dienst völlig.

      Dabei sind durchaus klare und konstruktive Gedanken in meinem Kopf: Ich erarbeite mir ein Modell von Licht - wenn man sich etwas näher mit der Materie befasst, erkennt man, dass Licht eine ziemlich komplizierte Struktur aufweist, zumindest wenn man alle Aspekte von Licht verschiedener Wellenlänge im Modell betrachtet. Dann konstruiere ich im Kopf einen völlig neuartigen Licht-Computer: Er arbeitet auf der Basis von Interferenz, die Kohärenz wird dadurch sichergestellt, dass ein einzelner Laser das System zum Laufen bringt. Mit solch einem Gerät ist man in der Lage, den Zukunfts- und Vergangenheitslichtkegel zu manipulieren. Das kann dazu dienen, echte dreidimensionale Bilder im Raum zu erschaffen - Wunder der Technik!

      Mein Sohn ist mittlerweile eingeschlafen, ich starte in Richtung Heimat. Die Fahrt zieht sich hin, ich werde furchtbar müde. Um nicht einzuschlafen, drehe ich das Radio voll auf - es stört niemanden, denn meine Frau ist auch schon eingeschlafen. Wie im Traum zieht die Landschaft draußen vorbei, ich schrecke jedesmal auf, wenn mir die Augen ganz zufallen. Ein Radarblitz reißt mich aus meiner Lethargie, ich kann mich dunkel erinnern, dass kurz zuvor eine Geschwindigkeitsbeschränkung angezeigt wurde. Meine Müdigkeit ist dadurch fast verflogen, ich lasse mir jetzt mehr Zeit beim Fahren. Als wir endlich zu Hause ankamen, nutzten wir den Rest des Tages zum Ausschlafen. Abends liege ich schlaflos im Bett und überlege krampfhaft, was wohl Jesus in einer solchen Situation getan hätte.

      Wegweisung

      Noch ziemlich übermüdet stehe ich am Montagmorgen auf, die Morgentoilette fällt mir echt schwer. Angela ist besorgt: „Du siehst nicht gut aus - wie willst Du es denn im Dienst aushalten?" Ich beschwichtige: „Es muss gehen, also wird es auch irgendwie gehen!" Während der Fahrt nach Dölitz fällt mir auf, dass ich immer genau in Richtung des hellsten Sterns am Himmel fahre. Es ist seltsam: Auch wenn ich durch eine Kurve fahre - der Stern steht immer „auf zwölf Uhr" voraus. Der Stern zeigt mir den Weg, ich achte schon nicht mehr auf Details der Straße, sondern fahre immer nur einfach auf den Stern zu. Nach einigen Abbiegungen bin ich völlig überzeugt: Dieser Stern ist nur für mich dort vorn am Himmel!

      Aber sonst ist alles ganz normal und ich kann doch nichts dafür, wenn ein Stern verrückt spielt! Meine Logik hat nicht etwa ausgesetzt, ich kann es mir nur schwer erklären. Vielleicht waren da draußen ja wirklich Außerirdische und lenken unsere Geschicke von oben. Oder es gibt doch einen Gott, der alles nach seinem Willen gestaltet. Nur eines steht fest: Ich kann diesen Stern deutlich sehen und er weist mir - wie auch immer - den Weg. Aber darüber sprechen werde ich mit niemand. Seit diesem Tag bringt mich der Stern jeden Morgen zur Arbeit...

      An den Stern von Bethlehem glauben schließlich auch viele Menschen, selbst wenn dessen Nichtexistenz astronomisch bewiesen zu sein scheint.

      Jedenfalls komme ich gut in meiner Dienststelle an. Ich begebe mich gleich in mein Büro - heute würden erst später Unteroffiziere kommen. Am Fenster rauche ich eine Zigarette, ich kann im Gebäude schräg gegenüber den Dienststellenleiter hantieren sehen. Mit seinem Vollbart erinnert mich Oberstleutnant Hoffmann an den biblischen Abraham. Unteroffizier Bahnen aus meiner Abteilung kommt hereingeschneit. Wir unterhalten uns kurz über den Tagesablauf und über Neuheiten in der Computertechnik. Bahnen kennt mich gut und ermahnt mich, ich solle mir nicht schon wieder einen Kopf machen und den Dingen gelassen entgegensehen - gut gesagt!

      Als Bahnen gegangen ist, rufe ich den Dienststellenleiter - der für die Soldaten „Kommandeur" heißt - mit dem Haustelefon an: „Guten Morgen, Herr Oberstleutnant Hoffmann! Ich möchte Sie gern einmal - beim Barte des Abraham - kurz in einer wichtigen Angelegenheit sprechen." Hoffmann stutzt erst einmal still vor sich hin, so als habe er sich verhört. Dann antwortet er: „Ja gut, Herr Plep! Ich habe gerade nichts Wichtigeres zu tun - Sie können gleich rüberkommen." Ich gehe zuerst ins Dienstzimmer von Unteroffizier Bahnen und kläre - für den Fall, dass mein Gespräch doch länger dauern sollte - den weiteren Tagesverlauf mit ihm. Dann steige ich hinauf in den „Olymp", das Dienstzimmer des Kommandeurs. Im Vorzimmer empfängt mich Frau Wolle, die Chefsekretärin. Wir unterhalten uns kurz, ich bringe dabei meine Besorgnis über die gegenwärtige Weltlage zum Ausdruck. Der Kommandeur ruft mich in sein Zimmer und bietet mir einen Stuhl an. Er sagt zu mir: "Guten Morgen, Herr Plep! Sie sehen aber ziemlich fertig aus - na dann erzählen Sie doch mal, was Sie zu mir führt!"

      Ich hole tief Luft und fange an zu reden: "Ich habe zu Hause ein paar Experimente und Überlegungen auf dem Gebiet der Quantenoptik durchgeführt und dabei habe ich - es ist wirklich unvorstellbar- den Stein der Weisen gefunden."

      Hoffmann ist verwundert: „Das kann ich mir aber nicht vorstellen - ich denke, dass es sich dabei nur um eine Legende handelt." Ich versichere ihm: „Nein, den gibt es wirklich. Bis vor Kurzem hab ich auch nicht daran geglaubt. Dieser Stein hat ganz vorzügliche elektro-optische Merkmale. Damit lassen sich binäre Logikschaltungen mit Licht realisieren - so genannte Lichtcomputer. Ein Orakel könnte man damit bauen, das ist keine Science Fiction mehr." Für den Oberstleutnant ist das alles sichtlich ein bisschen viel: „Nun gut - und was hat es mit der vorhin erwähnten Photonenwaffe auf sich?" Ich erläutere: „Im Detail will ich das hier nicht beschreiben, es ist noch gar nicht spruchreif. Es handelt sich dabei jedenfalls um Lichtbündelung ohne Linsen. Weil die verwendeten Materialien und Verfahren keinen größeren Aufwand erfordern, ist diese Art der Lichtbündelung besonders geeignet, auch sehr große Lichtmengen zu verarbeiten, was wiederum den Einsatz als Waffe denkbar macht."

      Jetzt ist der Chef noch mehr erstaunt: „Und wie kommen Sie dazu, sich in dieser Form zu betätigen?" Ganz leicht wird mir die Beantwortung dieser Frage nicht fallen. Ich versuche es so: „Meine Gedanken, meine Wertvorstellungen und mein Verantwortungsbewusstsein haben mir diese Handlungsweise sozusagen auferlegt. Kürzlich habe ich erfahren, dass Sie ein sehr gläubiger Katholik sind und sich beispielsweise regelmäßig an Wallfahrten beteiligen. Also gehe ich mal davon aus, dass Sie fest im Glauben sind und sich auch öfter fragen, wie wohl Jesus in einer bestimmten Situation gehandelt hätte. Auf diesem Weg kann man - unter meinen konkreten Umständen - ganz schnell zu einer eher unkonventionellen Handlungsweise kommen. Da sich der Westen zur Zeit - nach dem aktuellen Medienbild - auf Konfrontationskurs mit dem Islam befindet, sollte man sich schon mal