Jens-Jörg Plep

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt...


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Es ist Frau Wolle: "Guten Morgen, Herr Plep. In einer Stunde kommt hier ein Kontaktmann in die Dienststelle - der Kommandeur hatte ja mit Ihnen darüber gesprochen.

      Fühlen Sie sich gesundheitlich in der Lage, hierher zu kommen? - Ja? - Gut. Wir erwarten Sie dann hier. Auf Wiederhören."

      Ich starte mein Auto in Richtung Dölitz, die Sterne sind schon nicht mehr zu sehen, so dass ich mich diesmal nicht von meinem Stern zur Dienststelle leiten lassen kann. Begleitet werde ich von einer losen Eskorte von ständig wechselnden Wagen. In der Dienststelle gehe ich schnurstracks zum Stabsgebäude, zum Vorzimmer des Kommandeurs. Frau Wolle begrüßt mich und schickt mich in einen kleinen angrenzenden Raum, wo bereits ein Herr im Smoking auf mich wartet. So sieht also ein "echter" James Bond aus. Er stellt sich vor: "Ich bin der Herr Meyer vom MAT. Wir können uns hier ganz ungestört unterhalten."

      Es sprudelt gleich aus mir hervor: Ich erzähle ihm die ganze Geschichte, wobei ich manchmal nicht weiß, wo ich anfangen und aufhören soll - die Worte spulen sich einfach ab wie auswendig gelernt. Der Mann muss die ganze Story von Gott, dem Universum, von Krieg und Frieden sowie von Kämpfern und Ignoranten über sich ergehen lassen. Dennoch habe ich den Eindruck, dass der Geheimdienstmann nur sehr wenig mit meiner Geschichte anfangen kann. Aber ich habe einen Plan: Eine kleine Gruppe innerhalb der Bundeswehr könnte doch eine Mission durchführen. Wie das genau ablaufen könnte, ist mir selbst noch nicht klar, doch ich sage dem Mann schon mal: „Wenn hier einige führende Stellen im Krisenmanagement versagen, müssen die eben umgangen werden. Sprechen Sie bitte nur mit solchen Leuten über meine Aussagen, denen Sie in dieser Hinsicht voll vertrauen können." Wir verabschieden uns und ich fahre wieder nach Hause, denn ich bin noch für zwei Tage krankgeschrieben.

      Am Nachmittag besuchen wir meine Eltern. Angela beschreibt mit vorsichtigen Worten mein Verhalten in den letzten Tagen. Meine Eltern sind darüber sichtlich besorgt, mein Vater fragt mich, wie das alles weitergehen soll. Ich erkläre, dass mein weiteres Vorgehen von der Entwicklung der politischen Lage abhängig sei. Mein Vater sagt nur: „Junge, denke an Deine Familie! Die ganze blöde Politik darf Dir nicht wichtiger sein als Deine Familie!" Wir diskutieren noch ein wenig hin und her, dann verabschiede ich mich: „Möge die Macht mit Euch sein!" Meine Eltern sehen sich verdutzt an, ich lächele beschwichtigend und wir verschwinden.

      Der Plan

      Die nächsten Tage verbringe ich größtenteils mit Tagträumen, Götter und Außerirdische bevölkern meine Fantasie. Und ich denke weiter über den „Plan" nach. Man könnte doch zum Beispiel eine Transall der Bundeswehr mit Hilfsgütern von einem Flug nach Jugoslawien umleiten über die Türkei mit dem Ziel Irak. Dazu braucht man natürlich ein paar Leute innerhalb der Bundeswehr, die eingeweiht sind und voll mitspielen. Es wäre jedenfalls eine deutliche politische Geste - schließlich haben die Deutschen noch etwas gutzumachen...

      Am Montagmorgen fahre ich wieder zum Dienst. Nach der Frühstückspause bittet mich Hauptmann Wolk zu einem Gespräch in sein Dienstzimmer, lässt mich dort noch einige Minuten warten. Letzte Woche war Prinzessin Diana tödlich verunglückt und jetzt sehe ich ihr Bild auf dem Schreibtisch des Hauptmanns. Wolk stürmt zur Tür herein, wendet sich an mich: „Sie betrachten da recht intensiv das Bild..." Ich drehe mich herum: „Ja, die Prinzessin Diana war eine interessante Frau..." Wolk ist verdutzt: „Das ist doch meine Frau!" Da hatte ich wohl wieder voll ins Schwarze getroffen: „Verzeihung, aber es gibt schon eine gewisse Ähnlichkeit mit der Prinzessin..." Wolk erklärt: „Ich wollte mal mit Ihnen sprechen wegen Ihres Verhaltens in den letzten Wochen. Ich habe mit dem Kommandeur gesprochen - falls es hier irgendwelche Missverständnisse geben sollte, will ich diese gleich ausräumen." Ach du liebes Bisschen, denke ich bei mir, schon wieder eine Grundsatzdiskussion!

      „Herr Hauptmann, es ist einfach so, dass ich mir über einige aktuelle politische Entwicklungen Gedanken mache und nicht beabsichtige, alles tatenlos hinzunehmen." Wolk hakt nach: „Wie meinen Sie denn das?" Ich erkläre: „Die Entwicklung im Golfkrieg gefällt mir überhaupt nicht, da muss jetzt endlich mal eine Wende eintreten!" Der Hauptmann scheint nicht richtig zu verstehen: „Und was wollen Sie da machen?" Ich sage, dass ich schon etwas unternommen habe und jetzt Verbündete für Aktionen im Interesse eines dauerhaften Friedens am Golf suche. Und ich erzähle ihm noch etwas über meine gegenwärtigen Befindlichkeiten. Wolk bietet mir eine Zigarette an, wir rauchen und reden dabei weiter. Plötzlich fragt er mich: „Herr Plep, halten Sie sich etwa für Jesus?" Ich kontere sofort: „Nein, auf gar keinen Fall - doch ich glaube, man kann auch von Jesus lernen..." Was ich ihm nicht sage: Ich denke, dass ich wesentliche Züge und vor allem Ziele von Jesus verinnerlicht habe.

      Ich fahre fort: „Aber das Bild ist gar nicht so falsch: Wie Jesus versuche ich jetzt, Jünger um mich zu scharen. Damit das sinnlose Töten endlich aufhört - auch das sehe ich als meine Pflicht." Wolk lehnt sich zurück, diesen Verlauf des Gesprächs hatte er wohl nicht erwartet. Nun frage ich ihn: „Und wie steht es eigentlich mit Ihnen - sehen Sie lieber tatenlos zu, wenn unschuldige Menschen getötet werden?" Wolk muss überlegen, für mein Gefühl etwas zu lange, denn diese Frage zielt doch klar auf sein Selbstverständnis als deutscher Soldat. Er sagt dann: „Aber die Amerikaner sind doch unsere Freunde und Verbündeten, Herr Plep!" Ich erkläre kurz: „Da haben Sie aber Glück, dass im NATO-Vertrag nichts von Bombardements am Golf steht - sonst müssten Sie jetzt vielleicht auch unschuldige Menschen abknallen..." Wolk räuspert sich: „Ich bin Soldat und gehorche Befehlen." Solche Sprüche mag ich vielleicht leiden: „Sie wissen genau, dass man Befehle nicht ausführen darf, die gegen die Menschenrechte verstoßen!" Noch als ich das sage, fällt mir das Paradoxe dieser Formulierung auf: In welchem Krieg gab es denn nun Befehle, die nicht gegen die Menschenrechte verstießen?

      Wie auch immer: Wenn die Amerikaner wieder mal Weltgendarm spielen, muss man da als Deutscher noch lange nicht mitspielen...

      Außerdem hält eine echte Freundschaft auch mal harte Kritik aus. Doch der Hauptmann schien schon begriffen zu haben: „Nun gut, Herr Plep, aber denken Sie immer daran: Die Bundesregierung verhält sich in diesem Konflikt fast neutral und unser Auftrag besagt auch nichts anderes!" Ich lächle: „Ich habe auch nicht vom Auftrag geredet, was ich meine, ist eher eine moralische Stellungnahme. Und als verantwortungsbewusster Staatsbürger hat man auch ethische Verpflichtungen." Ich merke schon, dass es jetzt für meinen „Plan" nicht der richtige Zeitpunkt ist - dazu müsste ich noch ganz anders auf den Hauptmann eingehen...

      Ich gehe auf mein Dienstzimmer, erarbeite Statistiken, schreibe eine Service-Anforderung und verleihe Videokassetten. Morgen wird der polnische Oberbefehlshaber in unserer Dienststelle zu Besuch sein und ich muss noch Einiges vorbereiten. Die Computer-Ausbildung wird morgen früh die erste Station des Besuchs sein, ich richte alles so ein, dass nur noch ein Knopfdruck je Arbeitsplatz nötig ist. Ich weiß auch, dass der Hauptmann Welschkopf morgen einen Vortrag hält, bei dem er die Tafel benutzen muss. Jetzt grübele ich vor mich hin: Waren die Polen nicht mehrheitlich erzkatholisch? Ich klappe die Tafel auf und schreibe mit großen Lettern darauf: WELCOME, GENERAL WOJTYLA! (das ist der Nachname des Papstes). Ich klappe die Tafel zu - auf die Reaktion morgen früh bin ich schon gespannt. Auf dem Parkplatz setze ich mich in meinen Corolla und begebe mich auf die Heimfahrt, dabei werde ich von Geheimdienstfahrzeugen eskortiert. Um so viel Personaleinsatz hatte ich doch gar nicht gebeten...

      Zu Hause sieht mich meine Frau besorgt an: „Du siehst richtig gehetzt aus - was ist denn nur mit Dir los?"

      Ich versuche abzulenken, aber das gelingt mir nicht wirklich. Ich frage Angela: „Und was wäre eigentlich, wenn es gar keine Indianer mehr gibt?" Sie entgegnet verständnislos: „Was redest Du wieder für ein dummes Zeug?" Ich versuche, den Gedanken zu erläutern: „Na ich meine, wenn Kolumbus und Co wirklich alle umgebracht haben - Männer, Frauen und Kinder. Die hätten das sicher nie zugegeben - so könnte dann das Märchen von noch existierenden Indianerstämmen entstanden sein. Und wenn es Amerika - so wie wir es zu kennen glauben - gar nicht gibt?" Jetzt reicht es meiner Frau: „Jens, hör bitte auf, so ein konfuses Zeug zu reden - das ist ja wirklich krank!" Sie versteht mich einfach nicht, sie denkt eben nicht weiter über Gott und die Welt nach. Das ist schon in Ordnung - warum sollte denn jeder philosophieren? Aber sie könnte mich ruhig meine