Jens-Jörg Plep

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt...


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meiner Analyse habe ich festgestellt, dass unsere Medien tendenziös und populistisch berichten. Und im Analysieren großer Informationsmengen bin ich wirklich gut, auch wenn ich das nicht gern sage. Ich empfinde es als schlimm, was man mit einer wenig objektiven Berichterstattung in den Köpfen der Bevölkerung anstellt. Wir sind jetzt in einer ganz gefährlichen Phase auf dem Weg zur Superzivilisation..."

      Der Kommandeur lehnt sich zurück: „Und wieso wenden Sie sich damit an mich? Mit meinem dienstlichen Auftrag hat das doch so gut wie nichts zu tun. Einiges von dem, was Sie sagten, habe ich verstanden, vieles ist mir noch unklar. Aber ich bin sicher in dieser Angelegenheit nicht der richtige Ansprechpartner." Ich finde es schon gut, dass er einiges verstanden hat: „Nun ja, Sie sind mein großer Chef, darum habe ich Sie ins Vertrauen gezogen. Vor kurzer Zeit hätte ich das nicht gemacht - ich habe Sie lange Zeit für ein absolutes Arschloch gehalten. Jetzt weiß ich aber, dass Sie ein frommer Mann sind und als solcher auch charakterliche Qualitäten haben dürften."

      Hoffmann wird rot im Gesicht: „Na, das ist ja starker Tobak! Wie kommen Sie dazu?"

      Ich erkläre: „Sie stehen kurz vor Feierabend immer am Fenster und registrieren die Leute, die ein paar Sekunden zu früh ihren Arbeitsplatz verlassen. Dann kommt die Abmahnung oder die Kündigung. Mich haben Sie übrigens noch nie unter diesem Kollegen gesehen und werden das auch in Zukunft nicht erleben. Jedenfalls würde so auch ein Sklaventreiber handeln. Und mir ist bekannt, dass Sie oft Ihre Offiziere völlig respektlos anschreien."

      Hoffmann scheint peinlich berührt zu sein: "So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ihr Problem jedenfalls hat mit unserem dienstlichen Auftrag wohl nichts zu tun und ich weiß nicht, was ich in dieser Sache tun könnte. Ich werde mal beim MAT anrufen und Ihnen einen Kontakt zu einem Mitarbeiter verschaffen. Vielleicht finden Sie ja dort den richtigen Ansprechpartner. Aber Sie gehen jetzt nicht zurück an Ihren Arbeitsplatz, sondern teilen Ihrem Abteilungsleiter mit, dass ich Sie zum Arzt geschickt habe - Sie sehen doch völlig fertig aus! Weiterhin können Sie sich auch an Hauptmann Wolk wenden, ich werde mit ihm sprechen."

      Ich fühle mich in der Tat völlig ausgebrannt, ich verabschiede mich und gehe ins Büro von Hauptmann Wolk. Dort melde ich mich krank und mache nur ein paar kurze Andeutungen zu meinem Gespräch mit dem Kommandeur. Den Dienstablauf für den Tag hatte ich ja schon mit Unteroffizier Bahnen geklärt. Hauptmann Wolk hat mich noch gefragt, ob ich in der Lage sei, mein Auto nach Hause zu steuern, was ich bejaht hatte.

      Geheimagenten

      Als ich aber nun in meinem Toyota saß, war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich fahre langsam los und verzichte darauf, das Gaspedal tief durchzutreten.

      Auf der Bundesstraße beobachte ich den Verkehr um mich herum sehr genau - ich habe das Gefühl, dass ich von einigen Geheimdienstfahrzeugen aus beobachtet werde. Besonders ausländische Wagen ordne ich in diese Kategorie ein. Immer wenn ein Beobachter von einem anderen abgelöst wird, winke ich dem Abgelösten deutlich sichtbar hinterher. Dabei denke ich noch nicht einmal etwas Schlimmes: eine einfache, konspirative Eskorte...

      Aus dem Radio verlangt "Bell, Book & Candle" nach Rettung: "Rescue Me". Das Wartezimmer meines Hausarztes Dr. Tames ist leer, ich darf gleich ins Sprechzimmer. Der Doktor fragt mich nach meinen Beschwerden, ich antworte: „Ich leide sozusagen an einem allgemeinen Schwächezustand, näher kann ich das nicht erklären. Sie wissen ja, dass ich bei der Bundeswehr arbeite - in der gegenwärtig angespannten Lage habe ich wahrscheinlich zu viel und zu intensiv gearbeitet..." Dr. Tames horcht mich ab, fühlt meinen Puls und kontrolliert den Blutdruck, dann sagt er: „Sie sollten sich in den nächsten Tagen zu Hause schön ausruhen, ich schreibe Sie krank. Falls Sie nachts nicht einschlafen können, verschreibe ich Ihnen ein Beruhigungsmittel - das können Sie bei Bedarf einnehmen."

      Zu Hause versuche ich dann ernsthaft, Ruhe zu finden. Doch es geht nicht; die Gedanken rasen durch meinen Kopf und überschlagen sich dabei. Nicht einmal das Beruhigungsmittel kann dagegen etwas ausrichten. Ich liege auf meinem Sofa und muss denken, denken - immer schneller, immer abstrakter. Das Kissen unter meinem Kopf macht bei jeder Bewegung laute Geräusche, meine Ohren durchforsten die ganze Stadt nach Kindergeschrei und Sirenengeheul. Ständig höre ich beunruhigende Geräusche - braucht da nicht jemand meine Hilfe? Ja, es ist wahr: Ich kann das Gras wachsen hören.

      Als ich später mit meiner Familie spreche, bemerke ich, dass ich manche Sätze nicht zu Ende spreche und manchmal sogar stottere. Meine Frau geht mit mir sehr fürsorglich um und selbst mein Sohn hat viel Verständnis für mich - trotz seines kindlichen Alters.

      Unverständliche Zeichen

      Ich betrachte morgens die Bilder in unserem Wohnzimmer. Wenn man die Bilder durch Linien verbindet, erhält man ein umgekehrtes Kreuz - das Zeichen des Satans. Es sind kleine Reproduktionen großer Bilder: die Sixtinische Madonna, ein Selbstbildnis Rembrandts, die Schlummernde Venus und ein nacktes Mädchen von Renoir. Ich nehme die Bilder von der Wand, wickle sie in eine Decke. Irgendwann werde ich sie wieder aufhängen, in anderer Anordnung.

      Mein Blick schweift über die Anbauwand im Wohnzimmer. Da steht ein goldfarbener mechanischer Wecker - ein Souvenir von irgendwem, irgendwoher. Seine Feder ist ausgeleiert, er tickt nur noch für wenige Stunden. Ich nehme den Wecker, gehe damit in die Küche. Das linke Küchenfenster ist angeklappt, ich schiebe den Wecker durch den Fensterspalt und lasse ihn einfach zwei Stockwerke hinunterplumpsen. Es scheppert unten - wahrscheinlich ist der Wecker auf ein Auto gefallen.

      Ich begebe mich in mein Arbeitzimmer, wo zwei Computer auf mich warten. Ich zünde mir eine Zigarette an und blicke dem Rauch hinterher. In diesem kleinen Raum wird schnell die Luft eng, wenn man raucht. Draußen ist es ziemlich kühl, ich habe also wieder das Problem mit dem Fenster. Dieses Fenster ist nämlich nicht korrekt eingebaut worden, es lässt sich nicht anklappen. Stattdessen kann man es nur ganz öffnen - zu kalt an diesem Morgen! Ich starte meinen Internet-Rechner, beim Hochfahren erhalte ich einen Systemfehler. Mensch, ist das ärgerlich mit den ganzen kaputten Fenstern! Den Computer bekomme ich schnell wieder in den Griff, aber die Luft wird mir jetzt wirklich sehr eng.

      Ich balle die Hand zur Faust und zerschlage mit voller Wucht die Verbundglasscheibe. Klirrend fallen Glasscherben zu Boden, ich schaue meine Faust an - wie durch ein Wunder ist sie völlig unverletzt, nicht einmal ein kleiner Kratzer ist zu sehen. Jetzt ist wenigstens genug Frischluft zum Durchatmen im Zimmer. Ich setze mich wieder vor meinen Online-Rechner und tippe:

      microsoft.com.

      Dort müsste doch irgendwo die Service-Nummer vom Super-Fensterbauer Bill Gates zu finden sein. Soll der doch mit seiner Truppe anrücken und hier mal alle Windows in Ordnung bringen - schließlich habe ich für das neueste Windows-Update ganz schön geblecht! Ich schreibe dem Mann jetzt eine Email:

      Windows-CRASH! Send a service team - now!

      Nun reicht es mir aber schon wieder - ich bin mit den Nerven am Ende. Ich schalte den Rechner ab und gehe ins Schlafzimmer. Ich werfe mich auf mein Bett und bleibe dort liegen - fieberartig fantasierend.

      Angela kommt von der Arbeit, sie sieht sich kurz um und geht dann auf mich los: "Was ist denn hier los? Was hast Du da wieder angerichtet! Wer hat das Fenster kaputt gemacht?" Ich versuche sie zu beschwichtigen: "Mir geht es nicht besonders - ich brauchte einfach Luft.

      Wegen dem Fenster kommt dann gleich jemand von Microsoft vorbei und repariert das. Lass mich jetzt bitte ausruhen!"

      Meine Frau bekommt einen roten Kopf, sie schreit mich an: "Hör endlich auf, so einen Blödsinn zu machen. Und eins ist ja wohl klar: Microsoft repariert keine kaputten Glasscheiben!" Doch ich bin nur noch müde: „Entschuldige bitte Schatz, wenn ich ein bisschen durcheinander bin. Das wird schon wieder." Beim Sprechen fallen mir die Augen zu, ich lege mich auf mein Bett und schlafe ziemlich lange, aber mein Schlaf ist nicht sonderlich erholsam.

      Morgens erwache ich beim Klingeln von Angela's Wecker. Nach der Morgentoilette frühstücken wir gemeinsam, auch unser Sohn sitzt