Thomas Pattinger

Krieg und Freundschaft


Скачать книгу

schon wunderbare Geschichten. Du wirst sie bestimmt bald wiedersehen!«

      Moser wusste es, mit seiner natürlichen und fröhlichen Art Menschen aufzuheitern. Es funktionierte auch bei Roland und er fühlte sich nicht mehr so hilflos und allein, wie kurz nach der heutigen Ansprache in Linz.

      Aus einem Bier wurden drei und die beiden unterhielten sich noch lange Zeit, bis spät in die Nacht hinein. Roland war froh, einen Freund gefunden zu haben.

      4

      Nach kurzem, unbequemem Schlaf erwachte Roland bei Sonnenaufgang, irgendwo auf dem Weg nach Frankfurt. Zu dem mulmigen Gefühl in seiner Magengrube gesellte sich ein unangenehmes Ziehen im Rücken, bedingt durch die enge und ungewohnte Schlafposition und so verließ er umgehend das Abteil, um sich ein wenig die Beine zu vertreten. Im Zwischenbereich zweier Waggons schnappte er frische Luft, die ihn gänzlich wach werden ließ und ihn in die Realität zurückwarf.

      »Es war also doch kein Albtraum«, dachte er sich und kehrte mit gesenktem Haupt ins Abteil zurück. Auch die anderen Insassen waren bereits wach.

      »Jetzt müssten wir dann bald da sein«, meinte ein Schicksalsgenosse mit brünetten, gelockten Haaren und blauen Augen, dessen Name Roland entfallen war.

      »Und woher willst du das wissen, Zwingler?«, fragte Kainz mit misstrauischem Unterton.

      »Ich bin schon einmal hier gewesen. Mein Vater ist bei der Partei und er hat mich letztes Jahr für ein paar Tage mit nach Deutschland genommen. Da sind wir auch Frankfurt gewesen.«

      »Noch so ein Wichtigtuer, der meint, er wäre was Besseres, weil sein Vater Mitglied bei diesem Verein ist«, dachte sich Roland im Stillen und sah dabei Andi an, der wohl genau das Gleiche empfand.

      Nach einer weiteren Stunde Fahrt erreichte der Zug schließlich Frankfurt am Main. Als Roland ausstieg, staunte er nicht schlecht über den riesigen Bahnhof und die Menge an Zügen. Etwas Vergleichbares hatte er noch nicht gesehen. Ein uniformierter Mann mit strengem Blick erwartete die sechs Ankömmlinge bereits und führte sie aus dem Bahnhofsgebäude. Mit einem Bus setzte die Gruppe ihre Reise fort. Sie erreichten den Stadtrand und fuhren an einer langen, kahlen Mauer vorbei, die mit Stacheldraht gesichert war. Roland hatte das ungute Gefühl, dass dies das Ziel ihrer Reise sein würde und er sollte Recht behalten.

      An zwei Wachposten vorbei gelangten sie in den Innenhof einer Kaserne, die mehr einem Gefängnis glich. Soldaten mit den unterschiedlichsten Abzeichen waren zu sehen, Panzer und Geschütze standen in Reihen aufgestellt, uniformierte Gruppen marschierten umher. Es war, als wären sie in einer anderen Welt gelandet. Soldaten hatte Roland bisher lediglich in Zeitungen oder vereinzelt auch im Dorf gesehen, aber sie so konzentriert und nah anzutreffen, machte seine Lage auf eine angsteinflößende Art noch ein Stück realer.

      Die sechs stiegen aus und stellten sich in einer Reihe auf. Kurze Zeit später kam ein großgewachsener Mann auf sie zu und musterte die jungen Männer eingehend mit scharfem Blick. Er ging ein paar Mal vor ihnen auf und ab, ohne dabei ein Wort zu verlieren.

      »So, meine Herren«, gab er plötzlich, in einem Roland nicht vertrauten Dialekt, von sich, als er sich erneut vor die Gruppe stellte und Haltung annahm, »Sie sind hier, um als Soldaten ausgebildet zu werden. Während der nächsten acht Wochen werden Sie zu echten, deutschen Männern geformt. Ich erwarte von Ihnen vollsten Gehorsam und eiserne Disziplin. Sie sind erwachsene Männer, also verhalten Sie sich auch so. Sie werden einer Ausbildungskompanie zugeteilt, doch zu Beginn fassen Sie erstmals Ihre Ausrüstung aus. Dazu folgen Sie mir.«

      Alles ging furchtbar schnell. Roland war müde und erledigt von der langen Zugfahrt. Er fand sich an diesem Ort nicht zurecht. Sämtliche Eindrücke waren ihm fremd. Lediglich die Anwesenheit Andis bestätigte ihm, dass er in keiner anderen Welt gelandet war. Nicht einmal Zeit zum Nachdenken bot sich ihm, da sie bereits die Ausrüstungskammer erreicht hatten.

      Jeder Neuankömmling erhielt als Allererstes ein großes Leintuch, welches am Boden ausgebreitet werden sollte. Danach wurden sämtliche Utensilien einzeln ausgegeben. Vom Mantel bis zur Unterhose füllte sich das Leintuch allmählich mit Uniformteilen. Weiter ging es mit Stiefeln, Gürtel und Helm sowie einem Rucksack, einer Gasmaske und vielen fremdartigen Taschen und Geräten. Dazu gesellten sich dutzende weitere Gerätschaften und Kleinteile, denen Roland vorerst keinen eindeutigen Zweck zuweisen konnte. Zu guter Letzt bezogen die angehenden Soldaten ihr Gewehr.

      Es war für Roland ein beunruhigendes Gefühl, wenige Augenblicke nach dem Eintreffen in der Kaserne bereits eine echte Waffe in Händen zu halten. Viel Zeit darüber nachzudenken blieb ihm aber ohnehin nicht. In einem nächsten Schritt sollten sie alle schweren Ausrüstungsgegenstände im Rucksack verstauen. Die Waffe wurde um den Hals getragen und wirkte nicht nur durch ihr Gewicht und den einschneidenden Riemen als ungewohnte Belastung.

      Alles, was jetzt noch übrigblieb, wurde mithilfe des Leintuchs geschultert. So marschierte der Tross mit etwa vierzig Kilogramm Ausrüstung pro Mann wieder zurück zum Ausgangsplatz.

      Kurze Zeit später fanden sich die sechs Österreicher gemeinsam mit zehn anderen in einem ihnen zugeteilten Zimmer wieder. Der Raum war nicht besonders schön und sehr schlicht ausgestattet. Geschlafen wurde in einfachen Stockbetten, getrennt durch jeweils zwei schmale Spinde. In der Mitte des Zimmers befand sich ein langer Tisch mit sechszehn beigestellten Holzstühlen. Ansonsten gab es, außer vier Fenstern und einem Spiegel neben der Tür, nichts Besonderes zu entdecken.

      Die jungen Männer hatten nun etwas Zeit, ihre Unterkünfte zu beziehen. Genau nach vorgegebenem Plan mussten die Spinde eingeräumt und das Bett überzogen werden.

      »Ab heute sind Sie Soldaten«, wurde ihnen noch auf dem Weg in die Unterkunft mitgegeben.

      Roland hörte diese Worte immer und immer wieder in seinem Kopf nachhallen. Er fühlte sich nicht wie ein Soldat und er wollte auch keiner sein. Diese Rolle hatte er sich nicht ausgesucht, sie war ihm aufgezwungen worden und er musste nun damit leben. Im Zimmer hatte er sich ein Bett am Fenster ausgesucht. Andi bezog das Bett über ihm. Feinsäuberlich räumten die jungen Soldaten ihre Spinde ein. Die Betten wurden wie angeordnet überzogen, sodass ein Leintuch die bescheidene Matratze bespannte. Ein zweites musste exakt eine Handbreit über das Kopfende der darübergelegten Felddecke geschlagen werden.

      Derweil die jungen Männer damit beschäftigt waren, ihre Hemden und Hosen peinlich genau zusammenzulegen, betrat ein junger Soldat den Raum. An seinem strammen Auftreten war keinerlei Makel erkennbar, doch wirkte er nicht wie alle anderen Soldaten, die Roland bisher gesehen hatte. Sein Gesicht war nicht so kalt und eisern, sondern strahlte Menschlichkeit und Vertrauen aus. Im Zimmer war es plötzlich still geworden. Alle Blicke richteten sich zur Tür.

      »Guten Tag, meine Herren. Mein Name ist Leutnant Huber und ich bin dieser Gruppe als Kommandant zugeteilt. Mir ist bewusst, dass alles hier für Sie noch neu und ungewohnt ist, aber Sie werden sich schnell an das Soldatenleben gewöhnen. Sie erhalten von mir jetzt Ihre Erkennungsmarken. Diese sind immer um den Hals zu tragen.«

      Er ging herum und teilte die kleinen Stahlplättchen aus, die in der Mitte vorgestanzt waren, um sie im Todesfall brechen zu können. Dabei verblieb eine Hälfte um den Hals des gefallenen Soldaten, die andere wurde in die Heimat gesandt. Roland fühlte sich wie ein gebrandmarktes Tier, als er das erste Mal die kalte Marke an seiner Brust spürte. Wie ein Werkzeug wurde er nummeriert und stand zur Verwendung bereit. Nun war er endgültig ein Teil der Masse geworden, dachte er sich im Stillen, während er abermals versuchte, ein graues Feldhemd auf die exakte Größe eines Blattes Papier zusammenzufalten.

      »Nachdem Sie alles eingeräumt haben, ziehen Sie sich Ihre Uniform an und warten Sie hier auf weitere Befehle«, ergänzte der junge Leutnant, ehe er den Raum verließ.

      »Hast du eine Ahnung, was ich von diesem Zeug alles anziehen soll?«, fragte Andi Roland, nachdem er seinen Bestand an Kleidungsstücken ausgiebig gemustert hatte. Roland schüttelte ratlos den Kopf.

      »Wartet Jungs, ich helfe euch«, meldete sich ein Kamerad, den Roland noch nicht bemerkt hatte, mit hochdeutschem Akzent.

      »Mein