Thomas Pattinger

Krieg und Freundschaft


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eingekleidet sah sich Roland im Spiegel an. Er erkannte sich nicht wieder, so wie er jetzt aussah. Auch wenn die Uniform nicht sehr bequem saß und die Schuhe drückten, fühlte er sich in diesem Aufzug doch unweigerlich etwas stärker als zuvor. Fast automatisch hob sich das Kinn und die Brust schwoll an.

      Als die gesamte Mannschaft des Zimmers fertig umgezogen war, gab dies ein durchaus stolzes Bild ab, wie es die meisten der Frischlinge, wie sie genannt wurden, sonst nur aus der Wochenschau kannten. Die Einheitlichkeit der Uniformen verlieh den jungen Männern ungeahnte Stärke. Ein beinahe unheimliches Gefühl plötzlicher Macht schien sich mit der Uniform auf die angehenden Soldaten zu übertragen. Roland und Andi musterten sich gegenseitig und staunten nicht schlecht über diese plötzliche Verwandlung.

      Viel Zeit dazu hatten sie jedoch nicht, da sie wenige Augenblicke später auf den Innenhof der Kaserne bestellt wurden. Dutzende frisch eingekleidete Neuankömmlinge säumten den Antreteplatz vor dem Kompaniegebäude. Es herrschte keine Ordnung, alle standen wild verstreut umher und tauschten ratlose Blicke aus. Der junge Leutnant, der Roland bereits vertraut war, rief seine Gruppe zu sich. Ebenso taten es ihm andere Höherrangige gleich, bis sich auf dem Platz verteilt kleine Ansammlungen geformt hatten. Rasch versuchten einige Kommandeure, Ordnung in den Haufen zu bringen und die frischen Kräfte in Einheiten zu gliedern. Roland und seine Zimmerkameraden bildeten die dritte Gruppe im ersten Zug. So verhieß es ihnen der junge Leutnant, der trotz des Trubels Ruhe und Sicherheit ausstrahlte. Der Größe nach stellten sie sich nebeneinander auf. Roland fand sich neben Markus Moser und Matthias Hartl ein.

      Eine ganze Weile verharrten sie in dieser Position, bis sich schließlich alle Züge ordentlich formiert hatten. Anschließend sprach ein bisher unbekannter Mann zu ihnen:

      »Guten Tag, erste Kompanie! Ich begrüße Sie hier in Frankfurt. Manche von Ihnen haben eine weite Reise hinter sich und befinden sich nun weit entfernt von der vertrauten Heimat. Für die nächsten zehn Wochen wird dies hier Ihr Zuhause sein. Ihre Ausbildner haben Sie bereits kennengelernt. Sie werden Ihnen alles beibringen, was Sie als Soldat können und wissen müssen. Mein Name ist Hauptmann Schaller und ich befehlige diese Kompanie mit ihren drei Zügen. Ich erwarte von Ihnen, solange Sie unter meinem Kommando stehen, vollste Disziplin und Hingabe. Strengen Sie sich an, meine Herren, denn alles was Sie hier lernen, kann und wird Ihnen später von größtem Nutzen sein. Wie Sie wissen, befindet sich unser Land im Krieg und auch Sie werden ihr Möglichstes dazu beitragen, dass daraus der Endsieg hervorgeht.«

      Plötzlich verkrampfte sich etwas in Rolands Magengrube, als er daran erinnert wurde, wieso sie eigentlich hier waren.

      »Nach dieser Ausbildung geht es an die Front«, dachte er sich, »dort wo die Verlierer sterben und es keine Gewinner gibt.«

      Er hörte dem Hauptmann überhaupt nicht mehr zu. Schmerzende Angst durchbohrte seinen Körper. Es gab kein Entfliehen, keinen Ausweg aus dieser unheilbringenden Situation. Andere konnten ihren Einsatz wohl kaum erwarten. Viele wirkten sichtlich heiß auf ein Abenteuer, weit weg von der Heimat, um als Helden zurückzukehren. Gleich dem Märchen, wie es Hitler Tag für Tag seinem Volk auftischte, wollten auch sie als tapfere Krieger und Sieger gefeiert und verehrt werden, so verriet es der stolze Glanz so mancher Augenpaare.

      »Dritte Gruppe auf mein Kommando.«

      Auf einmal stand der Leutnant vor ihnen. Roland hatte es nicht bemerkt, dass der Hauptmann aufgehört hatte zu sprechen und bereits verschwunden war.

      »Rechts um«, setzte der Leutnant fort, »Reihe ohne Schritt, mir nach, Marsch!«

      Die dritte Gruppe setzte sich in Bewegung. Ein paar Meter weiter vorne, erblickte Roland Andis Kopf.

      »Hauptsache wir bleiben zusammen«, hoffte Roland, als er auf den blondgelockten Schopf starrte.

      Die Einheit machte halt und richtete sich entlang einer Linie aus.

      »Gleich heute beginnen Sie zu lernen, wie die wesentlichen Grundkenntnisse aussehen, über die Sie als Soldat verfügen müssen. Wir werden nun das Exerzieren üben und ich verlange dabei vollste Konzentration.«

      Der Leutnant zeigte ein paar Mal das »Rechts um« und das »Links um« vor, ehe es die Gruppe auf Befehl nachmachte. Es funktionierte schon ganz gut, nur beim Marschieren gab es noch die ein oder anderen Schwierigkeiten. Außerdem wurde gelehrt, wie sich ein Soldat zu melden und wie er mit seinen Vorgesetzten zu sprechen hatte. Nach einer anstrengenden Lektion ging es dann im zuvor gelernten Gleichschritt zum Mittagessen.

      Es kam Roland wie eine Ewigkeit vor, als er an seine letzte Mahlzeit zurückdachte. Trotzdem hatte er kaum Hunger. Er war bloß müde und erschöpft, auch wenn ihn die innere Anspannung wachhielt. Ständig wünschte er sich, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen, doch es geschah nicht. Er zwang sich, ein paar Bissen zu essen, musste jedoch bald aufgrund großer Übelkeit aufgeben.

      Der Nachmittag war gespickt mit neuerlichem Unterricht im Exerzieren. Zudem erklärte man ihnen die Funktionsweise ihrer Waffe, woraufhin diese mehrmals auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden musste. So ging es bis zehn Uhr nachts, ohne große Pausen. Erledigt und ausgelaugt fielen die jungen Männer nach Dienstschluss in ihre Betten. Diese waren unbequem und durchgelegen, aber das störte in diesem Moment niemanden.

      Roland lag noch einige Zeit wach und dachte an daheim. Er vermisste seine Eltern und seine Geschwister. Er sehnte sich nach seinem vertrauten Umfeld, nach seinem Bett und vor allem nach Lilli. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Sein Kopf und seine Glieder schmerzten. Er klopfte zweimal leise an die Holzbretter über ihm, die Andis Matratze trugen:

      »Gute Nacht, Andi.«

      »Schlaf gut, Roland«, hallte es von oben zurück. Roland schloss seine Augen und atmete tief durch. Danach schlief er ein.

      5

      »TAGWACHE!«

      Roland saß aufrecht in seinem Bett. Schlagartig war er hellwach. Sein Herz raste wild und für einen Moment musste Roland all seine Gedanken bündeln, um zu realisieren, was gerade vor sich ging. Das grellweiße Licht schmerzte in den verschlafenen Augen, Spindtüren krachten und junge Männer hüpften aus ihren Betten. Niemand wusste so recht, wie ihm geschah. Andi blickte verdutzt von oben herab.

      »Es ist sechs Uhr. Sie haben fünfzehn Minuten Zeit, sich zu waschen und ordentlich zu rasieren. Um exakt Nullsechsfünfzehn sind Sie fertig adjustiert auf Ihren Zimmern. Durchführen!«

      Roland wusste nicht, wer diese Worte so laut über den Flur geschrien hatte, jedoch machte er sich schleunigst daran, sich anzuziehen. Mit der vorgegebenen Zeit kam er gerade noch so aus, da es im Waschraum turbulent zuging, als achtzig Soldaten mit zehn Waschbecken auskommen mussten. Überpünktlich wurde der Befehl zum Austreten gegeben und die müden Soldaten drängten die Stiegen hinunter, hinaus auf den Antreteplatz. In Reih und Glied stellte sich jeder an seinen Platz und verharrte dort mucksmäuschenstill. Ein Gruppenführer brüllte:

      »Still gestanden!«

      Einheitlich nahmen alle anwesenden Soldaten Haltung an. Nun durfte sich keiner mehr bewegen. All das hatten die jungen Soldaten bereits am Vortag gelernt und es schien zu funktionieren. Alles wartete gespannt auf den Hauptmann. Dieser schritt mit festem Blick die Stufen herab und stellte sich vor die angetretene Kompanie. Er salutierte auf und begrüßte laut die angetretenen Soldaten:

      »Guten Morgen, Kompanie!«

      »Guten Morgen, Herr Hauptmann«, brüllten ihm zweihundertvierzig Kehlen entgegen.

      Roland bekam Gänsehaut. Aber nicht nur er war erstaunt, wie mächtig so ein kraftvoll im Chor gesprochener Gruß wirkte. Die eindringlichen Worte der Masse hallten einen Moment lang nach und hinterließen Erstaunen und Wohlgefallen in den Gesichtern der jungen Männer. Der Hauptmann machte ein zufriedenes Gesicht und ließ die Kompanie ruhen. Es folgte eine Standeskontrolle, um die Vollzähligkeit der Angetretenen festzustellen. Anschließend ging es geschlossen zum Frühstück.

      Das Programm der nächsten Tage war dicht und Roland hatte nicht viel Zeit, um nachzudenken. Ohne große Unterbrechungen