Jeannette Kneis

SERUM


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Warum sollte es jetzt anders sein?"

      "Das ist wieder einmal eine typische Schnittstellenproblematik, wie ich sie liebe." Das letzte Wort sprach sie mit einer extra Portion Zynismus aus.

      "Wie lautet denn konkret unser Befehl?"

      "Beschattung und schnellstmögliche Kontaktaufnahme. Wir sollen herausfinden, in was sie tatsächlich verwickelt ist. Hintergründe, Auswirkungen, Kontaktleute. Das übliche Prozedere. Hoffen wir, dass sie gesprächig und geständig genug ist, sonst haben wir ein Problem. - Ich will mich heute wirklich nicht damit herumärgern müssen."

      "Welcher Zeitraum steht uns für die Ermittlungen zur Verfügung?"

      "Das Präsidium sowie die Staatsanwaltschaft wünschen, dass wir den Fall so schnell wie irgend möglich abhaken."

      "Das klingt ja tatsächlich nach einer äußerst unangenehmen Sache, die der Chef von Jetzt auf Heute aus dem Weg geräumt haben will. Außerdem drängt sich der Gedanke auf, dass unser Boss wiederum mehr weiß als wir zwei."

      "Aber immer noch weniger als die Amis. Eine logische Schlussfolgerung, mein lieber Michael. Und wenn der Fall nicht solche Eile hätte, dann säßen wir an diesem kalten Sonntagmorgen ... ."

      "Unserem ursprünglich freien Sonntagmorgen", betonte ihr Kollege.

      "Du sagst es. Dann säßen wir an unserem ursprünglich freien Sonntagmorgen auch nicht in unserem Dienstwagen."

      "Ganz recht. Können die Kriminellen ihre Aktivitäten denn nicht auf werktags verlegen? Warum, verdammt nochmal, ziehen eigentlich immer wir die Arschkarte?"

      "Du weißt doch, wir sind nun mal die besten Ermittler, die die Leipziger Polizei zu bieten hat." Sie konnte sich den ironischen Unterton in ihrer Stimme nicht verkneifen. Sie grinste erst neckisch, bevor sich ihre Mundwinkel langsam wieder nach unten bewegten. "Ich bin froh, wenn unsere unfreiwillige Wochenendbereitschaft für diesen Monat gegessen ist. Ich habe schon genug Mehr- und Überstunden. Ich könnte einen ganzen Monat frei nehmen. Herrgott nochmal", fuhr sie jetzt wütender fort, "hat denn dieser Fall nicht bis Montag Zeit?"

      Am liebsten hätte er sich jetzt auf sie gestürzt. Er mochte es, wenn Conny wütend wurde und ihre blaugrauen Augen wild zu funkeln begannen. Er war förmlich wie berauscht, wenn sie erst einmal wie ein Wasserfall zu sprechen begann und die Worte nur so aus ihrem verführerischen Mund sprudelten. "Du sprichst mir aus der Seele", säuselte er. Im ernsteren Ton fuhr er fort. "Ich liebe meinen Beruf, aber keiner von diesen Bürohengsten und Sesselfurzern will einsehen, dass mir meine freien Tage auch wichtig sind!"

      Constanze musste kichern, als Michael ihre Vorgesetzten im Präsidium mit diesen zwei lustigen Worten betitelte.

      "Was ist? Warum lachst du?" fragte ihr Kollege ernst. "Das sind nun mal Bürohengste und Sesselfurzer, die sich tagtäglich ihren Hintern breit sitzen. Und ich soll, ginge es nach meinen Eltern, auch so einer werden? Nein danke!"

      Sie musste lachen. Es klang so lustig, wie er die witzigen Synonyme aussprach. Und dabei sah sein Gesicht mürrisch und todernst aus. Aber schon im nächsten Moment zogen sich seine Mundwinkel langsam nach oben, seine Augen erstrahlten und Michael fiel feixend mit ein. Nach etwa einer Weile verebbte der herrliche Lachanfall und die Kriminalbeamten konzentrierten sich erneut auf ihren Job. Sie überprüften die Umgebung und das Haus der Zielperson für etliche Sekunden mit Argusaugen. Als nichts Ereignisvolles geschah, widmeten sie sich erneut der Akte.

      "Okay, meine Lieblingskollegin, was wissen wir noch über diese Frau Kurz?"

      "Moment!" Die Angesprochene blätterte eine Seite zurück. "Hm, sie verfügt über eine eigene Homepage. Die könnte durchaus interessant sein. Allerdings müssen wir uns diese im Büro vornehmen."

      "Wieso? Hast du dein Notebook schon wieder mal vergessen?"

      Conny verzog das Gesicht zu einer Entschuldigung. "Leider. Aber die Spiegelreflexkamera und die Objektive befinden sich unter dem Beifahrersitz, wo sie auch hingehören."

      "Wenigstens etwas. Hol die Kamera doch gleich mal vor. Die werden wir auf jeden Fall brauchen."

      Conny reichte ihrem Kollegen die Mappe, der die innen liegenden Informationen weiter durchlas, während sie die Spiegelreflex zügig mit flinken Fingern vorbereitete, als würde sie jeden Tag nichts anderes tun.

      "Hier steht, dass sie seit ihrem 6. Lebensjahr Diabetes mellitus hat, muss sich seitdem Insulin spritzen." Michael schaute zweifelnd zu seiner Kollegin auf dem Beifahrersitz. "Hä, ich dachte die Krankheit bekommen nur alte Menschen?"

      Constanze schüttelte den Kopf, während sie die Augen empört über so viel Unwissenheit und seiner mittelalterlichen Weltanschauung verdrehte. "Sag mal, wo lebst du eigentlich? Hinterm Mond?"

      "Na, entschuldige mal, ein Mensch kann doch nicht alles wissen."

      „Also Michael, ich dachte wirklich, dass gehört auch zu deinem Allgemeinwissen, dass ein Mensch, unabhängig von seinem Lebensalter, Diabetes bekommen kann."

      "Ab jetzt ja." Er tippte sich an die Schläfe und zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch. "Ist abgespeichert."

      "Ausgezeichnet!" lobte seine Kollegin sachlich und schielte auf die Akte. "Hast du noch ein paar brauchbare Infos gefunden, die unser Wissen über Frau Doktor Kurz erweitern?"

      "Es sind nur noch die Zeitungsartikel übrig."

      "Zeig mal her!"

      Gemeinsam gingen die Kommissare die Kopien der Zeitungsausschnitte durch. Der aktuellste von ihnen war auf Mai letzten Jahres datiert. Hauptsächlich handelten die Artikel von Veranstaltungen und Auszeichnungen, an denen die Wissenschaftlerin international und erfolgreich teilgenommen hatte und geehrt wurde. Über ihre Arbeit fiel kein einziges Wort. Absichtlich? Wollte oder sollte sie darüber nicht sprechen? Die Frage nach zeitnahen Projekten ist doch jedem Reporter bekannt und höchst interessant. Also, warum findet in keinem der Artikel diese Sache absolut keine Erwähnung? Geht es um eine Forschung, die nicht erwähnt werden darf, weil sie zu viel Aufsehen erregen würde, weil sie illegal ist oder weil sie einfach nicht interessant genug ist, um der Öffentlichkeit diese mitzuteilen? Bei einer weltweit angesehenen Wissenschaftlerin wie Doktor Madeleine Kurz scheint dies äußerst zweifelhaft. Das waren weitaus mehr Fragen, wie Antworten. Aber das war für die beiden Polizeikommissare das übliche Problem.

      Michael Hofer schlug die Akte zu und reichte sie seiner Kollegin, die sie in der Seitentür verstaute. "Da liegt wieder einmal ein unüberschaubarer Berg an Arbeit vor uns. Wir haben praktisch keinen Anhaltspunkt und der Chef möchte am liebsten, dass wir den Fall schon gestern abgeschlossen haben."

      "Hah", machte seine Kollegin, während sie mehrere Fotos von der Wohnanschrift der Zielperson knipste. "Das Haus verfügt aus unserer Sicht über keine sichtbare Alarmanlage", sagte sie mehr zu sich selbst.

      "Ohne tatsächlichen Verdacht auf eine Straftat. Echt klasse!" beendete er seinen Gedanken.

      "So ist das eben, mein Lieber", erwiderte sie seufzend und legte die Kamera auf ihrem Schoss ab. "Вesprechen wir die Vorgehensweise."

      "In Ordnung. Wie wollen wir vorgehen?" fragte er seine dienstältere Kollegin.

      Constanze lächelte Michael wissend an. Ihr Wimpernschlag sah verführerisch aus, dass sich im Partner sofort die Erregung aufbäumte, wie ein feuriger Mustang. "Du riechst unheimlich gut! Ich verliere den Verstand, wenn du mich jetzt nicht augenblicklich küsst!" forderte sie erneut und zog ihn abermals kräftig zu sich heran. Michael ließ es ohne Gegenwehr geschehen. Er grinste verschmitzt und gefährlich zugleich. Leger beugte er sich nun über die Mittelarmlehne zu seiner Kollegin hinüber, die ihm von selbst entgegenkam, und meinte cool, mit einem Zucken der rechten Augenbraue: "Оkay, Süße, du hast es nicht anders gewollt. Nun musst du die Konsequenzen tragen!"

      "Was immer du willst!" hauchte Constanze erregt und ergeben zugleich, und beide vergaßen dabei vollkommen ihre Umwelt. Beide wussten nur zu gut, dass intime Beziehungen zwischen Polizeibeamten während der Dienstzeit, auch wenn sie miteinander liiert waren, einen schweren Verstoß gegen die Dienstvorschriften darstellte. Doch der Moment zeigte