Jeannette Kneis

SERUM


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So sollte es uns wirklich öfter ergehen."

      Seine Beifahrerin holte zügig eine Pistole aus dem Schulterholster unter ihrer hellbraunen Wildlederjacke hervor, um sie zum zweiten Mal auf Funktionalität zu überprfen. Dabei achtete sie darauf, dies unterhalb der Seiten- und Frontscheibe zu tun, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen, falls zufällig Passanten vorbeischlenderten. Man konnte ja nie wissen. Manche Menschen störte die Kälte absolut nicht. "Hoffentlich macht sie uns keine Probleme. Darauf kann ich heute, zum Sonntag, wirklich ungemein gerne verzichten", meinte sie mit geschäftsmäßigem, kühlen Ton, seufzte missgelaunt und schob das mit 13 Patronen gefüllte Stangenmagazin mit der Handkante zurück in den faserverstärkten Kunststoffgriff. "Das ausgerechnet uns immer die unliebsamen Aufträge aufgehalst werden, scheint ja von Anfang an unser Schicksal gewesen zu sein. Wofür hält er uns eigentlich? Allmählich habe ich von diesen Sondereinsätzen die Nase voll. Hast du eigentlich schon mal deine Mehr- und Überstunden zusammengerechnet? Zum Monatsende werden es bei mir ... ."

      Michael hörte nur mit einem Ohr hin, mal abgesehen davon, dass ihre Stimme wie das sanfte Plätschern eines Waldbaches im Sommer klang, das ihn jedes Mal berauschte, egal, über welches Thema sie sprach und völlig unabhängig von ihrer emotionalen Tonlage. Stattdessen schaute er seine Beifahrerin mit den blond gefärbten, kurzen Haaren mehr als interessiert an. Seine kastanienbraunen Augen saugten jeden Zentimeter und jede Bewegung ihres Körpers auf wie zwei ausgetrocknete Schwämme, die sich, nach einer viel zu langen Trockenperiode, nach Wasser sehnten. Ein Moment von unschätzbarem Wert, wie ihm bewusst wurde. "Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich es liebe, wenn du mit Waffen hantierst?" durchbrach er ihren Redeschwall mit samtener und zugleich machtvoller Stimme. Wie ein süßer Glockenschlag um Mitternacht. Es lag ihm im Blut.

      Seine Äußerung verfehlte ihr Ziel nicht. Um keinen Millimeter. Constanze wurde von der unerwarteten Formulierung in ihrem Wortfluss abrupt gebremst. "Äh, was? Was hast du gesagt?" Sie erinnerte sie kurzfristig. "Du liebst es, wenn ich an meiner Waffe hantiere?" Constanzes Verdutztheit spiegelte sich einwandfrei in ihrer Mimik wider. Ihre scharf funkelnden, blaugrauen Augen schienen ihm förmlich entgegen zu springen, ihr Puls beschleunigte sich von selbst und ein zartes Rosarot legte sich wie ein hauchdünner Schleier über ihre Wangen. Für einen Moment hielt sie die Luft an, um seinen Satz gedanklich zu verarbeiten. Dann steckte sie mehr als eilig die Dienstwaffe zurück an ihren Platz. Mit fast sachlicher Kühle, aus dem der Spott förmlich schrie, erwiderte sie: "Ist ja höchst interessant, aus welchem Blickwinkel du mich heute betrachtest." Die Situation war ihr irgendwie unangenehm. Vielleicht auch deswegen, weil sie diese Aussage dieses Kompliment niemals erwartet hatte? Seine Lobgesänge zielten eher auf ihr Erscheinungsbild und ihr Auftreten. Ihre Intelligenz. Ihr ihr bezauberndes Wesen, wie er es häufig nannte. Es war ihr Job, täglich mit einer Waffe zu arbeiten. Sie war ihr ständiger Begleiter. Normalität eben. Aber bei Michael musste man jeden Tag auf alles gefasst sein. Sonst wäre er kein halber Italiener. Heißes, italienisches Blut. Mütterlicherseits. Die heutige Bemerkung galt unbestreitbar als bisheriger Höhepunkt seiner Kommentare ihr gegenüber. Sollte sie darauf vielleicht sogar stolz sein? Gemischte Gefühle füllten unsicher ihr Innerstes.

      "Was ist? Mit der Waffe in der Hand siehst du unglaublich sexy aus. Hat dir das, außer mir, noch keiner gesagt?" Er spielte den Entsetzten, obwohl die Worte wie ein schmeichelnder Fluss über seine Lippen glitten.

      "Ach, Michael, hör auf damit! Du machst mich ganz verrückt!" ermahnte sie ihn verhalten vorwurfsvoll und gab ihrem Partner mit der südländischen Ausstrahlung mit der rechten Faust einen freundschaftlichen Puff in den Oberarm. "Und schau mich dabei nicht wieder wie eines dieser süßen Hundewelpen an, denen ich sowieso nicht widerstehen kann." Zugegeben, sie hatte das eine oder andere Mal in heißen Dessous, die sie sich extra dafür gekauft hatte, und ihrer Pistole inklusive Waffengurt vor dem breiten Spiegel ihres Kleiderschrankes posiert, um zu sehen, ob dieser Anblick auf Männer möglicherweise tatsächlich anziehend wirkt, was sie auch subjektiv und wohlwollend bestätigte. Ein Kick für ihr Ego. Vor allem ihre fein geformten Muskeln, die sie regelmäßig im Fitnessstudio und beim Qwan Ki Do trainierte, rundeten die sexuell erregende Erscheinung hervorragend ab. Sie besaß in der Tat einen sehr sportlich geformten Körper mit einer angemessenen Oberweite. Einfach ideal! Andere Frauen würden bei ihren wohlgeformten Linien womöglich vor Neid platzen. Pah, nicht ihr Problem. Mit der Zeit gefiel es ihr so gut, dass sie darüber nachdachte, in einem professionellen Fotostudio ein paar aufregende Aufnahmen von sich machen zu lassen. Dafür stand ein Termin im Dezember fest. Aber Michael musste ja nicht alles wissen. Ein paar Geheimnisse sollte Frau schließlich für sich behalten. Entweder bis zum Lebensende, was in diesem Fall äußerst schade wäre, oder um den geliebten Partner eines schönen Tages außerordentlich zu überraschen. Hmm ... .

      "Wau wau." Er setzte die betörendste Mimik auf, die er als Mann im Repertoire hatte und legte den Kopf etwas schief. Einfach unwiderstehlich.

      Ihr Herzmuskel pumpte noch schneller das mit aufgeputschten Reizen angefüllte Blut in ihren Körper. Die liebliche Röte auf ihren Wangen verschwand nicht. Unmöglich, dass diese Reaktion von der Wärme im Wagen stammte. "Мichael, du treibst mich in den Wahnsinn damit. Hör auf!" ermahnte sie ihn mit einem schmalen Schmunzeln, das sie kaum zu unterdrücken vermochte. Hach, sie konnte diesem Mann einfach nicht widerstehen. Das konnte sie, wenn sie all die Jahre zurückdachte, noch nie. Er war einfach zum Anbeißen. Wie ein süßer Mann aus Vollmilchschokolade. Sie hingegen bestand nur noch aus dahinschmelzender Sahne. Eine perfekte Kombination. Seine Anziehungskraft schien in ihren Augen um ein Mehrfaches stärker als das Magnetfeld der Erde.

      "In den Liebeswahnsinn, Schätzchen. Das ist ja auch der Sinn der ganzen Sache." Spitzbübisch schmunzelnd, mit unergründlich dunklen, nach liebevoller Zweisamkeit fiebernden Augen, rutschte er ein Stück zu ihr hin. Wenn nur nicht die breite Mittelkonsole mit der Armlehne im Weg wäre. "Warum sollte ich mir sonst solche Mühe geben?" Charmant zog er den rechten Mundwinkel und die rechte Augenbraue nach oben.

      Constanze wurde noch unruhiger. Ihr Puls raste ungestüm als außer Kontrolle geratener Tornado durch ihre elastischen Adern. Ihre Haut prickelte an jeder erdenklichen Stelle. Michael verstand es perfekt, sie zu verführen. Dann griff sie urplötzlich zu. Kräftig packte sie ihn an seiner schwarzen, textilen Winterjacke und zog ihn so dicht an sich ran, dass sich ihre Nasen fast berührten. "Los, küss mich, ehe ich den Verstand vollständig verliere!" forderte sie sehr dominant, keine Widerrede duldend. Die Lust, den stoppelbärtigen Michael zu vernaschen, durchströmte schon die ganze Zeit kribbelnd ihren gesamten Körper. Als würde feinkörniger Sand durch sie hindurch rieseln. Tauchte jede Zelle in eine alles verbrennende Glut. Auch deswegen, weil er eine unüberschaubare Anzahl an wohl duftenden Pheromonen ausschüttete, die sie hingebungsvoll, mit geschlossenen Augen inhalierte, als wäre es lebenserhaltende Medizin. Doch ehe sich ihre Lippen trafen, flüsterte Michael mit gewolltem Ernst: "Constanze, wenn uns jemand sieht. Vergiss nicht, wir haben einen Job zu erledigen!" Connys Gesichtszüge erstarrten. Für zwei Sekunden hielt sie die Luft an, um den Schock zu verdauen. Und der Kuss? Der erstickte sofort im Keim. Ihre Blutgefäße schienen sich mit einem Mal allesamt zusammen zu ziehen. Die Nerven, die eben noch unter einer gefährlichen Hochspannung standen, erschlafften, als wären diese aus weichem Gummi oder so. "Spielverderber!" flüsterte sie grimmig, mit halb zusammengekniffenen, wütenden Augen, und ließ seine Jacke beleidigt los. "Ich hasse es, wenn du das tust!" Frustriert kreierte sie mit ihren von Natur aus eindrucksvoll schön geformten Lippen einen Schmollmund. "Und ich hasse es, wenn du recht hast." Die angestauten Hochgefühle zerstreuten sich umgehend in alle Richtungen. Sie fühlte, wie die Hitze rasant aus ihrem Kopf wich und der alltäglichen Einstellung Platz machte.

      "Ich weiß", grinste Michael, ohne ein Bedauern in seiner Stimme erkennen zu lassen. Lässig lehnte er sich auf seinem Sitz zurück. Nach einer kurzen Pause fügte er ziemlich sachlich hinzu. "Lass uns an die Arbeit gehen. Je eher wir die Sache hinter uns gebracht haben, desto besser. Meine Eltern werden es hassen, wenn ich heute Abend wieder einmal zu spät zu ihrem abendlichen Dinner käme. Oder gar nicht erst auftauche. Du weißt ja, wie sie sind." Er schweifte unbeabsichtigt von der eigentlichen Sache, ihrem Job, ab.

      "Ja", seufzte seine Partnerin und kuschelte sich mit vor der Brust verschränkten Armen in ihren Sitz, während ihre Augen akribisch die vor ihnen liegende Straße mit den daran aufgereihten Häusern