Jeannette Kneis

SERUM


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dachte ... . Sie ... sie sagten, sie fliegen nach München. Wie kommen Sie in mein Haus?" Ihre Stimme überschlug sich.

      Bernhardt Jackson grinste höhnisch und zeigte dabei seine ganze Abscheu. "Wie leicht Sie doch zu beeinflussen sind, Frau Doktor." Er genoss sichtbar seinen unerwartet nächtlichen Auftritt.

      "Was wollen Sie? Was hat Ihr Erscheinen zu bedeuten?" Doktor Kurz gab sich nach außen selbstsicher. In ihrem Inneren bebte es mit einer Stärke von 7,5 auf der Richterskala.

      "Lassen Sie Ihre Intelligenz arbeiten!"

      "Brauchen Sie Geld? Wollen Sie mich vergewaltigen?" Spontan waren dies die ersten Gedanken, die ihr durch den Kopf fuhren.

      Ein finsteres, amüsiertes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. "Оh, nichts dergleichen, meine liebe Madeleine", säuselte er trügerisch. Angewidert fuhr er mit seinen Augen über ihre kümmerliche Gestalt. "Seien Sie nicht so stupide. Schließlich haben Sie studiert und sind eine angesehene Wissenschaftlerin dieses Planeten."

      "Ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht umgehend mein Haus verlassen!" erhob sie ihre Stimme, obwohl sie sich ziemlich sicher war, ihr Smartphone im Handgepäck gelassen zu haben. Verdammt, meine Tasche! Die Disc! Ihr Gesichtsausdruck sollte ihre ganze Wut und Entschlusskraft widerspiegeln, doch mit der verlaufenen Schminke sah es einfach nur lächerlich aus.

      "Dazu sind Sie wohl kaum in der Lage", stellte er zu ihrem weiteren Unwillen fest. "Also, wozu bin ich Ihnen wohl gefolgt, Frau Doktor Kurz?" Er klang beinah wie der Moderator in einer Quizshow.

      Die junge Wissenschaftlerin, in ständiger Angst und Sorge, dass sie jemand verfolgen und töten könnte, weil sie ... . Oh mein Gott! Oh mein Gott! Ihr stockte der Atem. Die unverblümte Erkenntnis traf sie wie ein messerscharfes Fallbeil. Er hat mich kaltherzig hinters Licht geführt. Mich die ganze Zeit angelogen! Lügner! Madeleines Knie wurden wieder weich, ihre Gesichtszüge schmolzen. Sie trat instinktiv einen Schritt zurück.

      Ihr Gegenüber folgte ihr wie selbstverständlich. "Nanana, wie kommen Sie nur darauf, ich wolle Sie umbringen. Das ist nun gar nicht meine Absicht. Für Ihr Ableben werden", er hob vielsagend die Augenbrauen, "andere sorgen, meine Liebe. Ich will nur die MiniDaten-Disc."

      "Was?" Im ersten Moment stutzte sie. "Woher wissen Sie ... . Wie können Sie wissen ...?" Madeleine schüttelte ahnungslos ihren Kopf, bis sie einige Sekunden darauf die pure Ernüchterung überschwemmte und ohne Gegenwehr mit sich riss. In ihr zog sich alles zusammen und Hass flammte auf wie eine Fackel. "Sie arbeiten für ihn!"

      "Das haben Sie auch getan", entgegnete ihr Gesprächspartner ruhig. "Und nun werde ich mir die Daten-Disc einfach aus dem Versteck ihres präparierten Handspiegels nehmen und Sie ihrem verdienten Schicksal überlassen."

      Ihre Kinnlade und Schultern sanken verdutzt nach unten. Madeleine war so perplex, dass sie für Momente nicht reagieren konnte. Erst als Bernhardt, der sich hoch erhobenen Hauptes umdrehte, sich in Sicherheit wiegend, dass von der Kurz keine Gefahr ausging, um ins Wohnzimmer zu marschieren, wo ihre Aktentasche mit ihrem wertvollen Inhalt lag, kam sie wieder zu sich. Adrenalin schoss erneut durch ihren Körper und mobilisierte sie. Na warte, das werde ich dir heimzahlen. Hinterhältiger, verlogener Schuft! Sie sammelte all ihre Kräfte, griff sich eine hölzerne Duschbürste mit langem Stil von einem der Wandhaken, die sie mit beiden Händen fest umklammerte, dass die Knöchel weiß hervortraten, und rannte auf nackten Sohlen hinter ihrem einen halben Kopf größeren Feind her. Kraftvoll drosch sie mit der Bürste auf ihn ein. Ein paar Mal erwischt sie ihn am Kopf, wo kurz darauf dünne Rinnsale von leuchtend rotem Blut sich mit dem silbergrauen Haar vermischten, doch alles, was Bernhardt tat, war sich umzudrehen, die nächsten Schläge geschickt mit Händen und Armen abzufangen und die wütende Frau mit einem überaus kräftigen Schub ins Bad zurückzuwerfen. Madeleine stolperte haltlos rückwärts mit weit aufgerissenen Augen, knallte mit dem Hinterkopf gegen das rechteckige Porzellanwaschbecken und fiel anschließend bewusstlos zu Boden. Die hellgrünen, hochflorigen Badteppiche milderten den Aufprall für einige Körperregionen glücklicherweise ein wenig ab. Aber half ihr das zu überleben?

      "Schlampe!" knurrte Jackson angewidert und tupfte sich mit einem der beliebigen Handtücher, die im Badezimmer verteilt lagen oder hingen das Blut von Kopf und Haar. Dabei fluchte er noch einige Male über das Miststück, dass ihn dermaßen verunstaltete. Wenigstens traf die Wissenschaftlerin nicht sein Gesicht oder brach ihm gar die Nase. Dann wäre er für immer gezeichnet gewesen. Und das bei seinem hohen Grad an Attraktivität und der immensen Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht. Die Wunde hörte für seinen Geschmack nicht schnell genug auf zu bluten, deshalb kramte er in den diversen, geschlossenen Badmöbeln nach einem Blutstiller-Stick, den er auch kurz darauf fand. Damit brachte er die Blutung schnell unter Kontrolle. Zum Schluss säuberte er penibel sein von silbergrauem Haar gekröntes Haupt von den Blutresten. Ein abschließender Blick in den Spiegel sagte ihm, dass er wieder unter die Leute treten konnte. Achtlos schleuderte er das benutzte, mit seinem Blut versehene Handtuch in die Mulde des Waschbeckens. "Schicken Sie mir die Rechnung, Lady!" Jackson warf einen letzten, verächtlichen Blick auf die immer noch bewusstlos auf dem Boden liegende Frau. Erste Hilfe zu leisten wäre das Allerletzte, was er hier tun würde. "Verräterin!" zischte er herablassend und ging lockeren Schrittes hinüber ins geräumige Wohnzimmer. Zielsicher schritt er auf die braune Businessaktentasche zu, die noch immer auf der schneeweißen, unberührt wirkenden Couchlandschaft lag, öffnete diese, schüttete vorsichtig deren Inhalt aus und griff nach dem gesuchten Handspiegel, der sich darunter befand, öffnete ihn mit einer Klinge seines Taschenmessers, nahm die darin befindliche MiniDaten-Disc erfreut grinsend heraus und steckte diese in eine Disc-Hülle aus seiner Manteltasche. Anschließend verschwand er, überaus zufrieden grinsend, aus Madeleine Kurz' Haus auf Nimmerwiedersehen.

      Madeleine kam erst Minuten nach Jacksons Verschwinden wieder zu sich. Blinzelnd starrte sie gegen die weiße Decke mit der dreistrahligen Lampe und wunderte sich, dass sie in ihrem Badezimmer am Boden lag. Sofort kamen jedoch die üblen Erinnerungen in ihr hoch, die sie etwas schwerfällig, aber wütend hochfahren ließ. Verdammter, hinterhältiger Mistkerl! Wie konnte ich nur so dumm sein? Ihr Kopf brummte und schmerzte. Sie fühlte vorsichtig nach der Stelle am Hinterkopf. Eine Beule hatte sich gebildet. Sie zog die Finger zurück. Es klebte kein Blut daran. Der Ausschlag auf ihrer Haut brannte dafür weiterhin wie ein alles verzehrendes Feuer und sie erinnerte sich, dass sie auch etwas unter ihrer Haut hatte krabbeln sehen. Der Gedanke daran ließ sie erneut heftig frösteln und überschattete für einen kleinen Moment jeglichen Schmerz. Wenn dies doch alles nur ein schlechter Traum wäre Sie blickte in den großen, erleuchteten Kristallspiegel, sah ihr von Erschöpfung, Schmerz und verwischten Make-up gekennzeichnetes Gesicht und ... aaaah!! Ein langanhaltender Schmerz explodierte in ihrem Körper und schien sämtliche Fasern mit besonders qualvollem Genuss auf höchstem Niveau zerreißen zu wollen. Sie fiel auf die Knie, die Arme schützend vor dem Bauch, den Kopf auf dem Badteppich abgelegt, als könne sie die Qual so besser ertragen. Höllisch scharf und unglaublich heiß stachen Nadeln in ihr Fleisch und betäubten es. Immer und immer wieder. Nach einer endlosen Ewigkeit von Sekunden ebbte der bizarre, unmenschlich erscheinende Schmerz ab, das er einigermaßen zu ertragen war. Erschöpft und schwer atmend zog sie sich wieder nach oben. Sie blickte erneut in den Spiegel und schluckte ungeheuer schwer. Krabbelnde Bewegungen unter ihrer Haut. Nein!! D-da! Zwischen ihren Brüsten und weiter abwärts Richtung Oberbauch! Oh Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott! Wie eklig!!! Händen und Füßen entfloh jegliche Wärme. Es es war tatsächlich wahr! Oh nein! Oh Gott! Madeleine zitterte so heftig am ganzen Leib, als unterläge er nicht mehr ihrer Kontrolle. Ihr Wille, sich zu beruhigen, erwies sich als zu schwach. Für ein bis zwei Sekunden wurde ihr schwarz vor Augen und kleine gelbe Sternchen tanzten um sie herum. Dann klärte sich der Blick wieder. Das Bild blieb unverändert. Die Angst vor dem, was unvermeidlich auf sie zukam, sog ihr förmlich die Kraft aus dem Leib. Sie versuchte sich zu beruhigen, was sich unter den gegebenen Umständen als äußerst schwierig erwies. Die krabbelnden Bewegungen unter ihrer Haut fühlten sich wie Durchblutungsstörungen an. Minutenlang starrte sie wie geistesabwesend ihr Spiegelbild an, bis sie allmählich Ruhe in Körper und Geist brachte. Ihre wissenschaftliche Neugier überwog. Sie zählte hastig. Mindestens ein halbes Dutzend Bewegungen! Und das war sicherlich nur eine lächerliche Dunkelzahl. Die Wissenschaftlerin schüttelte sich vor Ekel und