Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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aber in der Not frisst der Marder Pandas. Außerdem hat ihn bestimmt keiner seiner Artgenossen gesehen. Die pennen längst alle.

      Er könnte heulen, wenn er ein Mensch wäre. Schlafen... Ausgiebig gähnt er. Wie hatte er sich auf sein kuscheliges Nest gefreut! Zu allem Übel knurrt sein Magen, denn er hat in der Nacht nichts erbeutet, na ja, sich auch kaum angestrengt. Schließlich hat er sich bis heute immer darauf verlassen können, dass Mama ihm von ihren Streifzügen was Leckeres mit nach Hause bringt. Bei dem Gedanken daran, läuft ihm das Wasser im Maul zusammen. Er schluckt. Heute gab's nur Dresche. Raus aus dem Dachboden, über die Regenrinne hinweg, hat sie ihn davongejagt.

      Er blickt nach oben, durch das Gewirr von Kühlschlauch und Zündkabeln. Hotel Mama hat seine Pforten für ihn geschlossen – für immer. Schmerzlich wird es ihm klar. Diese winzigen roten, nackten Würmer, die er bei seiner Heimkehr fand – in seinem Nest –, die kriegen jetzt alles, was ihm zusteht!

      Das Sekret aus der Duftdrüse eines anderen Marders steigt ihm in die Nase. Offenbar ist der Panda schon besetzt. Mistie regt sich mardermäßig auf. Wenn ihn von hier auch einer vertreiben will, soll er's bloß versuchen!

      Voller Wut, voller Heimweh, schlägt er seine Zähne in den Kühlschlauch – immer und immer wieder, dann zur Sicherheit noch in ein paar Zündkabel. Satt wird er davon zwar nicht, aber es tut doch gut, Dampf abzulassen.

      Mardermüde sinkt er anschließend in einen tiefen Schlaf.

      Plötzlich ist alles wieder gut. Ha, er ist halt doch ein Glückskind und Glückskinder wollen hoch hinaus! Vielleicht liegt es daran, dass er direkt unter dem Himmel geboren wurde, in der prächtigsten Villa des zweitnobelsten Wohnviertels. Wie immer, wenn er tagsüber wach ist, sitzt er auch jetzt in der Regenrinne. Von hier aus sieht er nur auf die schönsten Seiten des Hafens. Besonders nach einem Sommerregen leuchtet alles unter dem Himmelsblau in der Sonne wie frisch gewaschen – bunte Dächer, Yachten, Segelboote. Wie von Menschenhand geschaffene Regenbögen, überspannen Brücken das silbern glitzernde Wasser.

      Seitdem Mistie zum ersten Mal sein kuscheliges Nest verlassen hat, sitzt er am liebsten in der Regenrinne und späht auf dieses wundervolle Panorama. Dabei stellt er sich vor, wie er die ganze Welt erobert und es seinen Geschwistern zeigt. Die behaupten nämlich immer, er hinge an Mamas Fellzipfel, sei ein Muttersöhnchen.

      Ha, die werden noch staunen über ihn, olle Besserwisser! Sind doch nur neidisch darauf, dass er Mamas auserkorener Liebling ist! Ist es etwa seine Schuld, dass nur er Opas unwiderstehlichen Charme geerbt hat? Dagegen kommt keiner an, am wenigsten Mama. Er ist seine wirksamste Waffe, wenn sie ihn mal wieder aus ihrer Nähe vertreiben will. Sofort schmelzen ihre üblen Vorsätze wie Schnee in der Sonne und sie leckt ihm liebevoll übers Fell. Und er hat ja ein so herrlich seidenweiches Fell. Wie sollten diese runzligen, nackten Würmchen dagegen ankommen?

      Wo sind sie überhaupt? Erst jetzt fällt Mistie auf, dass er sie gar nicht mehr an Mamas Milchbar herumschmatzen hört. Wie lange sind sie wohl schon verstummt?

      Hoffnung keimt in ihm auf. Er steckt seinen Kopf durch das Loch, wo vor dem Einzug das abgebrochene Eck des Dachziegels war, und wirft einen Blick aufs Nest, sieht Mama friedlich darin schlummern. In gleichmäßigen Atemzügen hebt und senkt sich ihr Bauchfell. Sollte alles bloß ein böser Traum gewesen sein?

      Mistie erträgt die Ungewissheit nicht, verlässt seinen Aussichtsplatz und schleicht vorsichtig zum Nest. Sein Magen knurrt. Er verharrt und lauscht.

      Nichts zu hören, außer seinem knurrenden Magen. Wie er Mama so anschaut, sehnt er sich plötzlich in seine früheste Kindheit zurück und möchte am liebsten selbst wieder mal einen Schluck aus ihrer köstlichen Milchbar nehmen. Sein Magen ist derselben Meinung. Immer lauter knurrt er, scheint sich regelrecht in ihm auszudehnen, dröhnt ihm bis in die Ohren.

      Ah! Das ist ja kaum mehr auszuhalten. Dass Mama dabei überhaupt noch schlafen kann? Sie muss es doch auch hören. Irgendwie muss sein Magen jetzt sogar aus Mistie heraus gekommen sein, denn das schreckliche Gebrumm ist nicht mehr in ihm. „Aufhören!!! Mein Trommelfell platzt!!!“

      Mistie reißt die Augen auf. Wo ist er? Ernüchtert fühlt er den harten Asphalt unter sich, erkennt über sich den zerfetzten Kühlschlauch des Fiat Pandas. In der Ferne verhallt das Brummen.

      Es kam gar nicht aus seinem Magen, muss Mistie feststellen. Der scheint das Knurren aufgegeben zu haben. In unmittelbarer Nähe hat jemand den Motor seines Autos angelassen und ist losgefahren.

      Erst jetzt bemerkt der junge Marder, dass nicht mal der Widerschein eines Sonnenstrahls mehr sein Exil erhellt, spickt vorsichtig darunter hervor – alles dunkel. Die Abenddämmerung hat er schon verschlafen und verträumt.

      Er vergewissert sich, dass ringsumher keine unmittelbare Gefahr droht, und kriecht unter dem Panda hervor. In vertrauter Atmosphäre erkennt er alles wieder – den Gehweg vor „seiner“ Villa, die Straße, den nahen Waldrand.

      Huschte da nicht gerade etwas zwischen den Tannen hindurch?Ein Marder? Einer seiner Geschwister vielleicht? Nicht, dass Mistie besonders scharf darauf wäre, die zu treffen, aber sie kennen sich hier draußen viel besser aus, haben sich ja letzten Herbst schon selbstständig gemacht und wissen bestimmt, wie und wo man hier leicht an etwas Essbares ran kommt. Mistie musste ja bisher nie viele Gedanken an derart elementare Dinge verschwenden. „Los, hinterher!“, fordert sein Magen. Sein Instinkt warnt: „Sei vorsichtig, sei immer vorsichtig!“

      Sein Magen gewinnt die Oberhand. Mistie flitzt los und peng –kriegt er eins über die Nase.

      2

      In der nobelsten Villa des nobelsten Wohnviertels, sitzt zur selben Zeit Chihuahua-Mädchen Lady im Salon auf einem weißen Nappaledersofa und blickt verdrossen auf einen Reiseprospekt, der vor ihr auf dem Couchtisch aus Carraramarmor liegt.

      Schon wieder eine Kreuzfahrt! Lady seufzt. Wochenlang weder Gras noch Erde unter den Pfoten, dafür fast den ganzen Tag lang auf Sophias seidenbekleidetem Schoß rumhocken...

      Also manchmal versteht Lady die Menschen einfach nicht. Wenn sie mal durch eine Pfütze springt, wird Sophia gleich sauer. Aber auf so einem unübersichtlich riesigen Teich, da steht sie am liebsten an der Reling und schwärmt ihr was vor.

      Fast den ganzen Tag hat Sophia heute mit Anton, ihrem frisch Angetrauten, vor diesem Fetzen Papier gesessen und sich begeistert, als wär's 'ne leckere Leberwurst. Dabei ist da drauf nicht mal ein richtiges Schiff, alles nur aus Papier – riecht eklig, und schmecken tut's erst recht nicht.

      Lady weiß das aus Erfahrung, hat als Welpe mal einen Prospekt gefressen.

      Und diesmal werden sie zu allem Übel diesen blöden Kerl am Hals haben. Na ja, Sophia stört sich ja nicht daran, lässt sich hingebungsvoll von Kopf bis Fuß von ihm abschlecken.

      Anton passt es nicht, wenn Lady das sieht. Deshalb hat er sich jetzt mit Sophia ins Schlafzimmer verzogen – und Lady die Tür vor der Nase zugeknallt. „So eine Unverschämtheit“, blafft die Hündin empört, „mich einfach aus unserem gemeinsamen Bett auszusperren!“

      Sophia meint, sie wäre eifersüchtig. Aber da irrt sie sich gewaltig. Wenn Lady ihr das bloß verklickern könnte... Diesen Anton, den konnte sie von Anfang an nicht riechen. Der stinkt noch viel mehr als der Prospekt da. Und er weiß genau, dass sie ihn durchschaut hat. Zuerst, ja, da hat er versucht, sich auch bei ihr einzuschmeicheln. Überhaupt – er hat sie dazu missbraucht, um an Sophia ranzukommen! Ist ja nichts Neues, diese Masche. Viele Männer, die sich nicht trauen, mit ihrer Sophia zu flirten, versuchen's über Lady. „Ach, was für ein niedliches kleines Hündchen Sie da haben...“

      Und so stolz wie Sophia auf sie ist, verliert die dann manchmal völlig den Verstand.

      Gegen ein nettes Herrchen hätte Lady ja gar nichts einzuwenden, aber der da... Ah, wenn sie nur zur Schlafzimmertür schaut, könnte sie zum Werwolf mutieren. Vor allem ärgert es Lady, dass Anton sie für so dumm hält. Den Schlüssel hat er nicht herum gedreht, das hätte sie gehört. Wenn es sein muss, wenn er ihrer Sophia auch nur eins ihrer wunderschönen