Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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Lady diese Viecher ja nicht leiden, aber den – den hätte sie vor Freude sogar geküsst.

      Und was macht ihre Sophia? Kauft dem Anton doch tatsächlich am selben Tag einen Porsche. Der steht jetzt sicherheitshalber in der Garage.

      Sophia stößt einen Schrei aus. Wie eine Sprungfeder schnellt Lady vom Sofa, stürmt zur Schlafzimmertür und hüpft aus dem Stand auf die Klinke. Die Tür springt auf und Lady aufs Bett, zwickt Anton gehörig in seinen nackten Po. Er fährt herum, will nach ihr treten, aber Sophia hält ihn zurück. „Nein, sie hat doch nur gedacht, du wolltest mir was tun!“, stößt sie hervor und schließt ihr Hündchen schützend in die Arme.

      Triumphierend schaut Lady in Antons Augen. Wenn Blicke töten könnten, wäre es jetzt aus mit ihr.

      „Versöhnt euch“, fordert Sophia. Anton bleckt die Zähne, aber Sophia will darin unbedingt ein Lächeln sehen. Fast erstarrt Lady, als er ihr mit seiner von Angstschweiß klebrigen Pranke über den Kopf streicht, verkneift sich mühsam ein Knurren. Ich beiße nicht, beschließt sie. Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt dafür.

      3

      Und was macht Steinmarder Mistie? Kriegt der seine Zähne auseinander?

      Einem Riesenhund sieht er sich gegenüber. Bisher hat er noch nie persönlich die Bekanntschaft mit dieser Spezies gemacht. Muss auch jetzt nicht unbedingt sein, entscheiden seine Beine und befördern ihn in Windeseile durchs Unterholz und in den Wald hinein.

      Zwischen aufeinandergestapelten Buchenästen verharrt er mardermäuschenstill, hört seine Verfolger blaffen. Ganz in der Nähe müssen sie sein und mindestens zu dritt.

      Dann ertönen von fern andere Stimmen, menschliche. Nach und nach wird das Gebell leiser, entfernt sich, verebbt schließlich ganz.

      Mistie atmet auf und triumphiert. „Sind die blöd! Wie blöd müssen erst die Menschen sein, wenn sie sich so was als 'besten Freund' ausgesucht haben? Da verfügen wir Marder doch über ganz andere Qualitäten!“

      „Ja, vor allem du“, dringt es von hinten spöttisch an seine Ohren. Mistie fährt herum und schaut seinem erstgeborenen Bruder direkt ins unverschämt grinsende Gesicht. „Na“, lästert der weiter, „hat 'Hotel Mama' jetzt endgültig seine Pforten für dich geschlossen?“

      „Ich unternehme nur einen kleinen Ausflug“, schwindelt Mistie. Dem Pokerface seines großen Bruders ist nicht anzusehen, ob er ihm glaubt. „Schließlich hatte ich letzten Vollmond Geburtstag“, schickt Mistie schnell hinterher, „und ich denke, es ist Zeit, mir die Welt anzuschauen.“

      „Fällt dir reichlich spät ein“, meckert sein Bruder weiter.

      „Ich bin ja auch jünger als du“, kontert Mistie. Der Bruder lacht.„Ja, ganze vier Minuten.“

      „Na und...“ Mistie stockt. Ihm fällt gerade nichts mehr ein.„Glaub' bloß nicht“, nutzt der Bruder seine Denkpause, „dass ich dir Nachhilfeunterricht erteile. Musst schon selbst erfahren, wie man sich hier draußen zurechtfindet.“

      Kaum hat er ausgesprochen, da springt er auch schon über Baumwurzeln davon, die wie Schlangen aus dem Boden ragen.„Halt, warte!“, schreit Mistie ihm hinterher, mit mehr Panik in der Stimme als ihm lieb ist. Tatsächlich hält der Bruder inne und schaut fragend zu ihm zurück.

      „Kannst du mir nicht einen Tipp geben, wo hier was Fressbares zu ergattern ist, nur einen kleinen – einen klitzekleinen?“, fügt Mistie hinzu, als sein Bruder immer noch nichts erwidert.

      „Also gut“, seufzt der endlich betont wohlwollend, „weil du mein Bruder bist.“

      Erleichtert atmet Mistie auf. Blut ist eben doch dicker als Wasser.

      „Geh' mal zurück zum Waldrand“, meint sein Bruder. „Im Garten vom ersten Haus kriechen jede Menge Nacktschnecken über Osterglocken und Tulpen.“

      Ich hör' wohl nicht richtig, denkt Mistie. „Von da sind doch die Hunde gekommen.“

      Wieder dieses saublöde Grinsen. „Tja, Brüderchen, das ist dein Problem. Lektion eins beim Nachhilfeunterricht: der Umgang mit Hunden.“ Und weg ist er.

      Mit hängendem Kopf schleicht Mistie zurück, macht aber einen großen Bogen, als zwischen den Tannen die eidotterfarbene Fassade jenes Hauses auftaucht, schwach beleuchtet von einer Straßenlaterne. Keine zehn noch so saftige Hühnchen würden ihn nach dahin zurück bringen, geschweige denn Nacktschnecken!

      Der Waldboden ist hart, weil es lange nicht geregnet hat. Trotzdem gräbt Mistie wenigstens ein paar vertrocknete Würmer aus. Dörrfleisch. Aber sein Magen protestiert nicht, ist froh, dass er endlich überhaupt was kriegt.

      Im Schutz der letzten Tannen, entlang des Kieswegs, den die Menschen benutzen, wenn sie in den Wald wollen, lässt Mistie seinen Blick über Straßen und Häuser schweifen. Seltsam – wieso kann er nirgends den Hafen sehen, das silbern glitzernde Meer mit seinen bunten Schiffen? Warum verschwindet das alles, sobald er den Dachboden verlässt?

      Mistie grübelt, findet keine Antwort auf diese Frage und schlägt sie sich schweren Herzens aus dem Kopf – vorläufig. Schließlich ist diese Grübelei anstrengend und weckt nur wieder seinen kaum gestillten Hunger.

      Plötzlich erkennt der junge Marder „seinen“ Fiat Panda. Der muss inzwischen auch unterwegs gewesen sein, steht ein paar Meter weiter hinten. Mistie schaut darüber hinweg zur Villa. Soweit er kann, reckt er seinen Hals. Dort, hinter den jetzt grau erscheinenden Dachziegeln, genau dort ist sein gemütliches Zuhause – war sein Zuhause.

      Wehmut beschleicht ihn. Um ihr zu entkommen, flitzt er über die Straße und verkriecht sich wieder unter dem Panda. Immerhin – der Motorraum ist kuschelig warm. Wie wohl das tut in dieser doch noch recht frischen Aprilnacht! Flugs schlüpft Mistie zwischen zwei Schläuche, lässt sich von ihnen umarmen und versucht, seiner Wehmut zu entfliehen – in einen weiteren schönen Traum, aus dem er am liebsten nicht mehr erwachen will.

      Aber Pusteblume! Es klappt nicht, rein gar nichts scheint mehr zu klappen in seinem Leben. Wahrscheinlich ist es auch noch viel zu früh zum Schlafen. Die Kirchturmuhr hat ja noch nicht mal zwölf geschlagen.

      Mistie vergewissert sich, dass die Luft rein ist, und verlässt den Panda. Ein letzter wehmütiger Blick zurück auf sein altes Leben, die Dachrinne „seiner“ Villa, in der er immer so gern seine Zeit verträumte... und dann nichts wie weg, bevor er an gebrochenem Herzen stirbt.

      Ziellos rennt er umher, im Zick-zack-Lauf über Straßen und Gehwege. Ab und zu blenden ihn Autoscheinwerfer. Dann eilt er auf die andere Seite und verbirgt sich zwischen den Sträuchern eines Vorgartens.

      Wie angenehm warm die Motoren frisch abgestellter Fahrzeuge sind! In eisigen Nächten kann man sich wohlig an sie schmiegen.

      Schon auf den ersten gemeinsamen Ausflügen hat Mama ihm davon vorgeschwärmt. Als stünde sie neben ihm, so deutlich hört er jetzt ihre Stimme aus der Erinnerung: „Da schau, mein lieber Junge, diese bunten Blechhügel, die sich bewegen können, als wären es lebende Wesen, das sind Autos. Unsere Urahnen haben vor langer, langer Zeit erkannt, wie nützlich sie sind und ihren Gebrauch von Generation zu Generation überliefert. In ihnen bist du sicher vor Hunden, Katzen, Menschen und anderem Ungeziefer.“

      Seufz. „Oh Mama! Wärst du doch nur wirklich hier an meiner Seite!“

      Angeregt durch ihren Unterricht, hat Mistie sich zum Autokenner und -liebhaber entwickelt. Leider verschwinden die schönsten Modelle vor seinen Augen in Garagen.

      Plötzlich – vom vielen Hin- und Herlaufen weiß Mistie gar nicht mehr, wo er gerade ist –, kommt er angefahren – ein Traum von einem Benz! Es ist sehr spät, schon kurz vor der Morgendämmerung. Das Objekt seiner Begierde rollt mit behaglich schnurrendem Motor majestätisch den Straßenrand entlang, direkt auf ein ausnehmend luxuriöses Anwesen zu. Im Schutze eines Polos, tretelt Mistie mit den Vorderpfoten auf dem kalten Asphalt und registriert mit höchster Sorge, dass zu jenem Anwesen eine riesige Garage