Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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keine Gewehre.

      Peng – knallt etwas an seiner Wange vorbei und prallt am Geländer ab, eine Walnuss. Mistie entschließt sich zur sofortigen Flucht, springt vom Rettungsring herunter und rast dicht am Netz entlang. Unterwegs sammelt er schnell noch die Nuss vom Boden auf. „Ein Frettchen!“ „Nein, ein Eichhörnchen!“, streiten sich hinter ihm die Geschwister David und Sabrina.

      Frettchen – Eichhörnchen... Mistie glaubt nicht richtig zu hören, würde eine Beleidigungsklage einreichen, wenn er ein Mensch wäre.

      „Ich versuch' es noch mal mit meiner Schleuder. Hast du noch eine Nuss, Sabrina?“

      Mistie weiß nicht genau, ob er das hoffen oder doch besser fürchten soll.

      „David, Sabrina!“, ruft die Mutter ihre Rangen zurück. „Kommt endlich frühstücken!“

      Frühstücken – unweigerlich hat Mistie vor Augen, wie Mama im Morgengrauen mit einem frischen Hühnchen ankommt. Seltsam – fast glaubt er es sogar zu riechen. Steht es schon so schlimm um ihn, dass ihm Halluzinationen zusetzen? Seine menschlichen Verfolger ist er immerhin los, verharrt atemlos und schaut sich um. Vor sich sieht er einen endlos langen Gang, an dessen Außenseite weitere Rettungsringe hängen. Es wird Zeit, Duftmarken zu setzen.

      Nachdem Mistie das erledigt hat, folgt er dem Gang. Passagiere kommen ihm entgegen. Er wechselt die Seite. Dort ist kein Netz, nur eine hohe Wand. Er sucht nach Ausweichmöglichkeiten. Als er keine findet, drückt er sich fest gegen die Wand und will am liebsten in ihr verschwinden, aber sie gibt seinem Druck kein bisschen nach. Zum Kuckuck, gibt’s denn hier nirgendwo einen Baum, auf den man klettern kann? Mistie erstarrt und presst seinen Bauch an den Boden, macht sich platt wie eine Flunder. So nah, dass ihr Fußschweiß ihm in die Nase sticht, gehen zwei Männer links und rechts von einer Frau an ihm vorbei. Dabei nimmt Mistie noch etwas anderes wahr: Die Kerle sind offenbar in Paarungsstimmung. Nun ja, es ist Frühling. Kein Wunder, dass die nicht auf den Boden achten, schon gar nicht auf einen kleinen Marder.

      Zum ersten Mal in seinem Leben ist Mistie froh darüber, dass diese Zweibeiner ihre Nase so hoch tragen, und bei denen hier scheint es ihm besonders ausgeprägt zu sein. Weiter huscht er an der Wand entlang, den Bauch noch immer dicht über dem Boden.

      Plötzlich endet sie an einer Treppe, die wiederum in eine einladend offen stehende Tür mündet. Himmlische Düfte nach Fleisch, Fisch und Früchten wabern die Stufen hinab, direkt vor Misties Nase. Wie einst Odysseus den Sirenen, folgt er ihnen und hoppelt die Stufen hinauf. Doch leider dringen durch die Tür nicht nur lockende Düfte, sondern auch menschliche Stimmen und andere Geräusche, die Mistie nicht einordnen kann. Sollte er nicht doch besser umkehren?, fragt er sich.„Nichts da!“, brummt sein Magen und treibt ihn voran. „Na gut, aber beschwer' dich später nicht bei mir, wenn wir in einem fremden Magen landen“, warnt Mistie.

      Nach einem Flur hinter der Tür, erhellt Tageslicht einen weitläufigen Raum. Mistie war noch nie in einer menschlichen Behausung, hat aber schon gelegentlich durch Fenster und Terrassentüren gespickt und das Treiben mancher Zweibeiner beobachtet. Jetzt erkennt er zwei der Stimmen von vorhin – eine ältere und eine junge, beide männlich. Sehen kann er nur beschuhte Füße und weiß behoste Beine und das auch nur ab und zu zwischen Schränken, Tischen, Anrichten, Servierwagen und Stühlen. Von überall her strömen unwiderstehliche Düfte zu ihm, kitzeln seine Nase und locken ihn mit ihren Reizen.

      Erregt trippelt Mistie umher. Sobald einer der beiden Männer sich ihm nähert, huscht er hinter eine Anrichte oder einen Servierwagen, wo ihn weitere verführerische Düfte erwarten.

      Plötzlich kann er gerade noch einen Aufschrei unterdrücken.

      Wer ist dieses Zerrbild eines Marders, das ihn da aus einer silbern glänzenden Wand anglotzt? Mistie bewegt sich – sein Gegenüber auch. Mistie verharrt, reißt sein Maul auf, weicht zurück, geht drohend auf den anderen zu... Egal, was der junge Marder macht, der andere macht es ebenfalls.

      Jetzt reicht's Mistie, er will ihn in die Nase beißen und stößt gegen harten Edelstahl. Nichts wie weg hier, der Klügere gibt nach! Mistie weicht in einen anderen Gang aus. Lieber einem leibhaftigen Menschen begegnen als einem Marder, der gar keiner ist!

      Der jüngere, ein Schiffskellner, schiebt einen beladenen Servierwagen auf Mistie zu. Der huscht davon und gerät beinahe dem älteren, dem Chefkoch, zwischen die Füße. Der trägt ein Tablett mit einem englischen Frühstück darauf und sieht ihn deshalb nicht. „Warte, das kommt noch dazu!“, ruft er und stellt das Tablett auf den Servierwagen.

      Mistie leckt sich über die Schnauze. Hmhm... Eier, Fleisch – und irgendeine Frucht, die er noch nicht kennt, aber sehr gern kennenlernen möchte. Seine Lefzen fließen über und Speichel tropft auf den Boden.

      Mistie wartet, bis beide Männer sich entfernt haben, springt dann über einen Stuhl auf den Servierwagen, und zieht ein Würstchen vom Teller auf dem Tablett. „Ah! Das ist ja heiß!“, quiekt er, lässt es vor Schreck fallen, schnappt sich das danebenliegende Spiegelei und verzieht sich damit auf den Flur.

      Leider ist auch das viel zu heiß, weshalb Mistie es nur langsam verzehren kann. „He!“, hört er den Chefkoch schimpfen. „Dein verdammter Kater hat ein englisches Frühstück versaut!“

      Mistie ist entsetzt. Hat der etwa auch einen Kater? Neugierig spickt er um die Ecke und sieht, wie der Kellner auf den Chefkoch zugeht. „Mein Kater? Der war doch gar nicht hier drin. Immer, wenn dir was daneben geht, schiebst du es auf meinen unschuldigen Kater.“

      Der Chefkoch deutet auf Misties Speichelflecken. „Willst du etwa behaupten, ich spucke auf den Boden, hä, willst du das?“

      „Nein“, entgegnet der Kellner beschwichtigend, „natürlich nicht. Aber mein Kater war das nicht.“

      Wie recht er hat, denkt Mistie. Erleichtert schließt er aus dem Disput der beiden, dass keiner ihn gesehen hat und leckt sich die letzten Dotterreste von der Schnauze. Das Ei war köstlich!

      Gestärkt schlendert Mistie durch den Flur, ein zufriedenes Grinsen auf den Lefzen. Doch das vergeht ihm sogleich. Im Türrahmen steht eine imposante dunkle Gestalt, umhüllt von einem Kranz aus Sonnenstrahlen, eine Bürste von Schwanz steil erhoben und den Rücken nach oben gewölbt.

      Ohne sich mit Überlegungen aufzuhalten, ob das nun der Kater des alten Dünnen oder des Kellners ist, versucht Mistie, an ihm vorbei und nach draußen zu flitzen, aber das Biest reagiert erstaunlich schnell und lässt ihn nicht. Also bleibt ihm nur die Flucht zurück.

      Nach ein paar Sprüngen versperrt der Servierwagen Mistie den Weg. Von einer großen Edelstahlplatte mit Rührei steigt eine unwiderstehliche Duftwolke auf. Der Kellner kehrt Mistie gerade den Rücken zu, greift nach irgendwas. Schwups – landet der Marder mitten im Rührei und versinkt geradezu darin, wühlt sich hinein wie ein Maulwurf.

      Sein Vergnügen währt nur kurz. Ein schrilles Klirren ertönt und über ihm wölbt sich die Abdeckhaube aus Edelstahl. Mistie ist gefangen. In unmittelbarer Nähe wittert und hört er den Kater.„Hau ab!“, donnert der Chefkoch, „oder ich mach' einen falschen Hasen aus dir!“ Entrüstet maunzend, beschwert sich der Kater bei dem Kellner. „Nur über meine Leiche!“, ruft der auch gleich.

      „Ich bin noch immer der Küchenchef“, entgegnet der Chefkoch,„und in meiner Küche hat kein Viech was zu suchen!“

      „Ach“, hört Mistie den Kellner lästern, „aber die stinkreichen Tussis mit ihren nutzlosen Schoßhündchen. Captain Nemo hält uns wenigstens die Ratten vom Hals.“

      Captain Nemo, so folgert Mistie, das muss dieser Riesenkater sein – offenbar ein hohes Tier, wenn ein Mensch ihn so verteidigt.

      „Von diesen 'stinkreichen Tussis', mein Lieber...“ Mistie hält den Atem an, vernimmt den des Chefkochs direkt über sich. Dann glaubt er, Opfer eines Erdbebens zu werden, aber es ist nur eine Faust, die neben ihm aufschlägt. „...von diesen 'stinkreichen Tussis' leben wir!“

      „Schlimm genug“, meint der Kellner kleinlaut. „Außerdem – Nemo fährt doch gar nicht auf Spiegeleier ab?“

      Apropos