Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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heller geworden. Die Lichtstrahlen! Sie dürfen Sophia nicht wecken! In Windeseile sprintet Lady zurück ins Schlafzimmer, hechelt vor Aufregung. Kommt sie etwa zu spät?

      Sophia räkelt sich im Schlaf, reibt sich die Augen, und dreht sich auf die andere Seite – zu Anton. Das passt Lady natürlich auch nicht. Vom Fußende aus springt sie ins Bett, robbt auf dem Bauch zwischen die beiden und erstarrt schier zum Plüschhund. Keiner rührt sich. Lady atmet ein wenig auf. Nein, das Leben mit den Zweibeinern ist wahrlich nicht einfach. Erschöpft döst sie vor sich hin – bereit, beim geringsten Alarmsignal hellwach zu sein.

      Von draußen dringt Vogelgezwitscher in ihre Ohren. Die Hündin weiß, Menschen hören schlecht, aber trotzdem... Dieses verflixte Geflügel soll gefälligst die Schnäbel halten! Wenn sie wenigstens ein warnendes Knurren von sich geben könnte, aber das wäre zu riskant, so dicht bei den Schlafenden. Lady fallen die Augen zu. „Nein, Sophia“, winselt sie vor sich hin, „es ist die Nachtigall und nicht die Lerche. Schlaf nur ruhig, schlaf.“

      Wie wunderbar weich es unter ihr ist! Lady liegt auf einer Wiese am Waldrand und streckt behaglich alle Viere von sich. Dann dreht sie den Kopf und sieht belustigt ihrem Schwänzchen zu, wie es herausfordernd vor dem blauen Himmel hin und her wedelt. Sie springt auf, jagt es, schnappt danach, dreht sich im Kreis, bis sie hinfällt. Neben ihr erklingt Sophias helles Lachen.„Komm weiter, Lady!“, ruft sie und spaziert in den Wald. Die Hündin springt begeistert hinterher, sucht Stöckchen und lässt sie sich von Sophia werfen. Wie herrlich! Sie haben das blöde Schiff verpasst. Dort gibt es keine Stöckchen, keine taunassen Wiesen, die nach Erde duften und nach Mäusen – keine Bäume mit pinkelfrischen Liebesbriefen von Felix, dem charmanten Border Collie.

      Von fern mischt sich ein Misston in Ladys Idylle. Nun ja, kein Paradies ohne Schlange beziehungsweise Waldarbeiter. Sie lassen wieder mal ihre Sägen heulen. Lauthals protestiert Lady dagegen. Wer weiß, vielleicht kann sie irgendwann doch mal einen dieser Störenfriede vertreiben. „Positiv denken“, sagt Sophia immer.

      Da sieht Lady den Kerl auch schon. Er setzt einer Eiche zu, ausgerechnet Felix' Lieblingseiche. Womöglich haftet an ihrem Stamm noch ein Hauch seiner letzten Liebeserklärung an sie. Immer eindringlicher brummt die Säge. In großem Bogen will Lady daran vorbeiflitzen, da dreht der Holzfäller sich plötzlich zu ihr um und grinst sie an. Der Schreck dringt ihr bis ins Mark. Es ist Anton. „Was suchst du schon wieder hier? Geh' hin, wo der Pfeffer wächst“, zischt er ihr zu.

      Lady weiß nicht, was überwiegt, ihr Entsetzen oder ihre Wut. So leicht lässt sich ein Chihuahua nicht ins Boxhorn jagen!Außerdem weiß sie gar nicht, wo der Pfeffer wächst. Also holt sie Luft und kläfft ihn an.

      Da hört sie Sophia neben sich fragen: „Wie spät ist es? Oh nein, schon ganz hell draußen!“

      Ehe Lady klar wird, dass sie geträumt und den schnarchenden Anton durch ihr Gekläff geweckt hat, springen er und Sophia aus den Federn. Vor Zorn auf sich selbst, beißt sich die Hündin jetzt tatsächlich in den Schwanz.

      Sophia und Anton hüpfen in ihre Klamotten. Sophia klemmt

      sich Lady unter den Arm und schnappt sich mit der anderen Hand einen der vielen Koffer, während Anton ein Taxi ruft und flucht.

      „Wir schaffen's schon noch“, stößt Sophia atemlos hervor,„positiv denken, immer positiv denken!“

      Lady strampelt, weil Sophia sie in ihrem Eifer ein bisschen zu sehr an sich drückt, und quietscht. „Positiv denken – manchmal verstehen wir beide darunter halt doch zweierlei.“

      5

      Marder Mistie schläft so tief und fest wie noch nie, merkt nicht einmal, dass sich sein „Bett“ jetzt tatsächlich bewegt – in engen Kurven durchs nobelste Wohnviertel und dann zum Hafen.

      Als er erwacht, fühlt er sich immer noch mardermüde, kriegt seine Augen kaum auf. Sein Schädel brummt, als tummelten sich tausend Bienen darin. Und von außen kommen noch mal tausend dazu oder was ist das? Menschen – viele, viele Menschenstimmen um ihn herum!

      Blinzelnd ertastet Mistie sein Umfeld, erfühlt Schläuche, Kabel, und Motorteile seines Benz'. Der steht inzwischen, ist aber noch warm. Nichts Gutes ahnend, blickt Mistie zwischen den Schläuchen unter sich hindurch zum Boden. Der sieht anders aus – und ist so hell. Was hat ihn geweckt, obwohl er doch noch viel zu müde zum Aufwachen ist? Irgendwas ist passiert, aber was? Mistie kratzt sich seinen schmerzenden Kopf. Was fehlt ihm bloß? Ist er etwa krank?

      Er kommt nicht dazu, darüber nachzudenken. Das Menschenmeer um ihn herum ertränkt jeden vernünftigen Gedanken im Keim.

      Plötzlich ertönt hinter ihm ein schreckliches Getöse. Nimmt da jemand seinen Benz auseinander? Mistie lässt sich auf den Boden fallen. Jedes Knöchelchen in ihm rebelliert vor Schmerz. Der Boden sieht nicht nur anders aus, er fühlt sich auch anders an. Und alles ringsumher riecht nach Menschen.

      Kein Zweifel – er ist nicht mehr in seinem Wohnviertel, aber wo ist er dann?

      Ein ohrenbetäubender Knall hinter ihm unterbricht erneut seine Gedanken. Fast wäre er unter dem Benz hervorgerannt und zwischen die Menschen geraten.

      Da rollt plötzlich etwas von hinten direkt neben die Beifahrertür und hält dort. Knapp über vier Rädern sieht Mistie eine Ladefläche mit großen Koffern und Taschen darauf. Alle riechen nach Leder, aber der einen Tasche entströmt zusätzlich ein unwiderstehlicher Duft nach fettem Fleisch.

      Das ist zu viel für Misties ausgehungerten Magen! Zack – schon ist er vom Benz auf den Rollstuhl umgestiegen, sitzt nun auf besagter Tasche und versucht, sich zu der köstlichen Speise durchzubeißen. Aber die Tasche gibt ihren Schatz nicht so leicht preis, widersteht zunächst Misties spitzen Zähnen. Nur mühsam können sie sich durch das zähe Leder bohren.

      Zum Glück schützt die Sitzfläche des Rollstuhls sowie das übrige Gepäck den Marder vor menschlichen Blicken. Er selbst achtet nämlich gar nicht mehr darauf, so stark brodelt die Wut in ihm und überlagert all seine Angst. Er wird dieses „Biest“ ausnehmen, er wird... Plötzlich biegt sich das „Dach“ über ihm durch, und es riecht fatal nach mindestens hundertzwanzig Kilo Mensch. Dann scheint sich auch noch der Boden unter dem armen Mistie zu bewegen. An der Frontseite seines neuen Gefährts verdecken zwei stramme Waden in grauen Hosen fast völlig die Sicht, und auch sonst wimmelt es ringsumher nur so von Menschenbeinen und -füßen. Selbst wenn Mistie dazwischen mal was erhascht, erkennt er nicht, was es ist.

      Doch immerhin – die Tasche hat kapituliert. Der Marder vergräbt seinen Kopf in ihr und würde am liebsten ganz darin untertauchen, aber sie ist zu voll. Alle Sinne vom aromatischen Speck betört, verschlingt Mistie hastig ein Stück und verbeißt sich ins nächste.

      Die Tasche ist jetzt natürlich leerer, doch nicht nur deshalb vollführt Mistie einen Kopfstand darin. Unversehens ging es nämlich abwärts. Gleich danach kippt Mistie zurück und fühlt wieder Boden unter den Hinterpfoten. Aber nicht lange, denn nun geht es bergauf. Mistie rutscht rückwärts, den Kopf immer noch in der Tasche, und droht, von der Ladefläche des Rollstuhls zu stürzen. Doch ein Koffer hinter ihm hält Stand und stützt seinen Po.

      Mistie klammert sich am Henkel der Tasche fest, kriegt den Kopf nicht mehr heraus. Vielleicht – wenn er den Speck loslässt...? Nein, das bringt er nicht über sein Marderherz. Er will da raus, aber nicht ohne seinen Speck!

      Endlich gelingt es ihm. Doch zum Jubilieren bleibt keine Zeit. Der Rollstuhl wird wieder waagerecht geschoben, bleibt sogar stehen und Misties Herz beinahe auch, denn eine Menschenhand greift nach ihm. Nein, nur nach einer der Taschen – dann nach der nächsten, öffnet sie und wühlt darin herum.

      Schneller als sein eigener Schatten, flieht Mistie mit einer Scheibe Speck über einen hellen Boden, der von der Morgensonne beleuchtet wird, und hält verzweifelt Ausschau nach irgendeiner Deckung. Endlich ein vertrauter Geruch – Holz. An einer Wand hangelt er sich hoch und landet mit seinem Speck auf der anderen Seite auf einem Holzboden. Holzwände umgeben ihn, eine davon gerade so hoch, dass er auf zwei Beinen über den Rand spicken kann,