Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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sich untätig in sein Schicksal zu ergeben, frisst Mistie sich durch das Rührei. Dabei platzt sein Magen mittlerweile schier aus allen Nähten.

      Unendlich lang erscheint ihm die Fahrt. Obendrein hat er dauernd dieses nervende Klirren und Scheppern in seinen empfindsamen Ohren. Ansonsten ist es still. Der Kater muss sich verzogen haben. Wenigstens etwas, versucht Mistie sich zu trösten. Dann aber vernimmt er von fern vielstimmiges Menschengemurmel. Es kommt näher – vielmehr, er nähert sich ihm. Einzelne Stimmen ragen daraus hervor. Das Klirren und Scheppern verstummt. Der Wagen steht. Was nun?

      Vorsichtig versucht Mistie, die Kuppel über sich auf der Platte zu verschieben. Es gelingt ihm besser, als er dachte. Nur – wie soll er wissen, ob eine Flucht jetzt ratsam ist, wo ihn doch so viele menschliche Stimmen umgeben? Eine erkennt er sogar, die eines Mädchens. „Mama, David und ich, wir haben vorhin an Deck ein Frettchen gesehen.“

      „Ein Eichhörnchen“, widerspricht David.

      „Nein, was für eine Fantasie die beiden haben!“, staunt eine ältere Frau. Der Vater der Kinder erklärt wissend: „Tiere gibt es hier nur auf Tellern und Platten.“

      „Wie recht er hat“, schmunzelt Mistie leise vor sich hin, „sogar auf Silberplatten“. Im selben Moment wittert er jedoch, dass er sich irrt. Der Riesenkater? Nein, es ist ein... ein...

      „Stimmt nicht, Papa!“, ruft Sabrina, „da, auf dem Schoß von der Frau, da sitzt ein Hund.“

      „Ein Hund“, entfährt es dem Vater verächtlich. „Wenn man das mal so nennen kann, sieht eher aus wie ein Meerschweinchen.“ Meerschweinchen??? Mistie platzt fast vor Neugierde. Schon immer will er wissen, wie genau ein Schwein aussieht. Jetzt könnte er sogar eines sehen, das offenbar aus dem Meer kommt und wie ein Hund riecht. Er will raus und schiebt den Deckel über sich bis zum Plattenrand, wird aber in letzter Sekunde von seiner Angst gestoppt. Schließlich sind auch noch die vielen Menschen anwesend.

      „Lady Schätzchen, du legst dich jetzt brav unter den Tisch, während wir frühstücken“, bittet Sophia, aber die Minihündin stellt beide Ohren auf Durchzug. Ausgerechnet jetzt, wo gleich so viele Köstlichkeiten vor ihr auf dem Teller liegen, da soll sie sich wie ein gewöhnlicher Hund benehmen.

      Anton lacht spöttisch. „Ach Sophia, ist ja wieder mal toll, wie sie horcht.“

      „Sei du mal ganz ruhig, Tönchen“, kontert Sophia. „Oder hast du etwa schon vergessen, wer uns geweckt hat, wem wir es also verdanken, dass wir unserem Schiff nicht hintersehen mussten?“ „Wau, wau“, äfft Anton, „unserer 'lieben' Lady.“

      Die könnte sich jetzt noch in den Schwanz beißen, vor Wut auf sich selbst.

      „Wobei es mir wirklich schleierhaft ist“, meint Anton mit misstrauischem Seitenblick auf Sophias Schoß, „wie der Wecker Beine bekommen konnte und wo er abgeblieben ist.“

      „Anton“, warnt Sophia mit freundlicher Stimme, aber wenn sie ihn so nennt, läuten bei ihm unweigerlich die Alarmglocken.

      „Du weißt genau, wie sehr es mich verletzt, wenn du ungerecht gegenüber Lady bist.“

      Ätsch!, denkt die Hündin, dekorativ wie eine Sphinx auf Sophias Schoß, und fixiert ihn siegessicher. So klein ich auch bin, du bist mir trotzdem nicht gewachsen, du nicht!

      Seufzend gibt Anton klein bei – vorerst.

      „Außerdem“, meint Sophia, „ist das Buffet ja noch gar nicht eröffnet. Erst muss der Kapitän seine Begrüßungsansprache halten.“

      Mistie hat den menschlichen Dialogen nur halbherzig zugehört. Schließlich plagen ihn andere Sorgen. Aber Sophias letzte Bemerkung lässt ihn instinktiv aufhorchen. Buffet eröffnen, Begrüßungsansprache, das betrifft auch ihn – aber was soll es bedeuten?

      Eine andere Stimme, die er bereits kennt, unterbricht seine Gedanken. Sie gehört dem Begleiter des Dicken im Rollstuhl, dem dünnen Alten. Der weist gerade auf Lady. „Das muss der Hund sein, der unsere Tasche zernagt hat.“

      „Dann hat der meinen Speck ge...“, platzt Dick heraus, unterbrochen vom Dünnen. „Sei still! Eigentlich sollte ich der Töle dankbar sein, weiß jetzt wenigstens, dass du mich hintergehst. Aber – stopf ruhig weiter fetten Speck in dich rein, dann brauchst du bald drei Stühle zum Sitzen.“

      Buffet eröffnen, eröffnen... Unaufhörlich kreisen die Worte durch Misties Kopf. Er ahnt nichts Gutes, jedenfalls für sich, muss unbedingt ausprobieren, wie schnell er notfalls hier heraus kann. Mit Schnauze und Vorderpfoten versucht er, zwischen die Platte und den Rand des Deckels zu kommen, ihn anzuheben. Aber es ist nicht leicht. Erschwerend kommt hinzu, dass mittlerweile mehr Rührei in seinem Bauch ist als auf der Platte. Autsch! Mühsam unterdrückt der Marder einen Aufschrei, hat sich eine Pfote eingeklemmt, will sie zurückziehen.

      „Verehrte Gäste“, ertönt unterdessen die sonore Stimme des Kapitäns. „Ich darf Sie recht herzlich zu unserer Kreuzfahrt auf der MS Viktoria begr...“ Ein Klirren lässt ihn kurz innehalten. Dann räuspert er sich und fährt fort: „Ähem... Ich begrüße Sie recht herzlich zu unserer Kreuz...“

      Klirr, schepper, peng! Durch Misties Versuche, seine Pfote wieder frei zu bekommen, hat sich der Deckel zu weit verschoben und fällt lautstark zu Boden.

      So geschwind, dass keiner es mitbekommt, springt er vom Servierwagen und huscht durch eine offenstehende Tür davon.

      „Da ist ja kaum was drauf“, flüstert ein Passagier und blickt auf das restliche Rührei. „Na, das kann ja heiter werden, wenn die Verpflegung so mickrig ist – und das bei den Preisen.“

      7

      In einer Ecke hält Mistie für eine Verschnaufspause inne und schaut sich um, hat keine Ahnung, wo er ist. Schließlich wurde er ja nicht ganz freiwillig als blinder Passagier nach hierher verfrachtet. Die leichten Vibrationen unter seinen Pfoten werden ihm allmählich vertraut und signalisieren ihm, dass er immer noch auf hoher See ist.

      Hier sieht alles seltsam aus. Über ihm wölbt sich kein Himmel, sondern eine Decke mit lauter runden Lichtern. Sterne? Dann müsste es ja inzwischen Nacht geworden sein. Unmöglich, so gewaltig kann ihn seine biologische Uhr nicht trügen.

      Und was ist das unter ihm, worauf er läuft? Grün und angenehm weich – er schnuppert daran. Kein Gras, erinnert ihn irgendwie an die Matten vor den Türen vieler Häuser, auf denen er sich bei seinen nächtlichen Streifzügen so gern erleichtert hat.

      Apropos erleichtern – dafür ist es wirklich an der Zeit. Sorgfältig markiert Mistie zumindest seine nächste Umgebung. Das ist er auch seinen Mitgeschöpfen schuldig. Die müssen ja erfahren, mit wem sie es zu tun haben.

      Anschließend erkundet er weiter sein neues Terrain. Wie eine künstliche Welt erscheint es ihm – künstliche Sterne, künstliches Gras, künstliche Kat... nein! Schon wieder dieser Riesenkater. Auf der Stelle macht Mistie kehrt, rennt durch einen langen Flur, saust um eine Ecke, dann um die nächste, die nächste... Ihm wird schon ganz schwindlig. Er kann kommen, wohin er will, immer steht dieser Kater vor ihm! Kunststück, der kennt sich hier natürlich besser aus.

      Plötzlich gibt es keine Ecke mehr, um die Mistie flitzen kann, ringsumher nur Wände. Er weicht zurück, will nach hinten ausbrechen, aber es klappt nicht. Immer ist der Kater schneller. Liegt es daran, dass Mistie zu viele Eier im Bauch hat?

      „Okay, okay“, stößt er endlich atemlos hervor. „Du hast gewonnen.“ Aug in Aug stehen sie sich gegenüber. Der Kater faucht, entblößt vier Reihen prächtiger Zähne, duckt sich zum Sprung und wedelt voller Jagdeifer mit seinem buschigen Schwanz.

      Mistie katzbuckelt, obwohl er ja ein Marder ist und damit nicht gerade in das Beuteschema eines Katers passt, weicht dessen Blick aus. „Verehrter Captain Nemo“, säuselt er demütig. Der stutzt einen Augenblick und faucht dann wieder. Offensichtlich reicht ihm das nicht.

      „Verehrtester Captain Nemo, hochverehrter Captain Nemo.“ Ja zum Kuckuck, wie soll er das denn