Kirsten Klein

Marder ahoi! Eine mörderische Kreuzfahrt


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Prachtstücks verlöschen. Es hält.

      Mistie fasst es nicht, traut seinen Augen kaum. Die Luxuskarosse parkt tatsächlich am Straßenrand. Im nächsten Moment wird deutlich, warum. Ein dünner, alter Mann steigt aus, torkelt und nickt schier im Gehen ein.

      „Mach' dir die Bequemlichkeit der Menschen zunutze“, ertönt erneut Mamas Stimme in Mistie. Wie recht sie doch hat, ist wahrlich eine weise Marderin! Und er wird ihr Ehre erweisen, versprochen!

      Wenn der Alte doch nur etwas schneller torkeln würde... Nicht, dass er es sich noch anders überlegt und doch in die Garage fährt. Aber nein, jetzt fummelt er mit so einem glitzernden Ding – einem Schlüssel – an der Haustür herum. Wie lange das dauert...

      Mistie erträgt die Warterei nicht mehr. Wieder missachtet er seine warnende innere Stimme und saust, schnell wie ein Schatten, über die Straße zu „seinem“ Benz. Schützend verbirgt der ihn unter sich vor den Augen der übrigen Welt. Mit den Tatzen prüft der Marder die Temperatur der unteren Schläuche. Sie ist gerade passend. Der Alte hat tatsächlich so lange gebraucht, dass Mistie den Motorraum sofort in Beschlag nehmen kann. Wie geräumig der ist! Und völlig frei von fremden Duftmarken! Sorgfältig signiert Mistie ihn überall mit seinen, damit jeder andere Vierbeiner künftig seine Pfoten davon lässt, schmiegt sich an den Motor und sinkt in einen tiefen Schlaf. Alles um ihn herum und in ihm ist still, sogar sein Magen.

      Abends weckt ihn der Ruf eines Käuzchens. Leider erwacht auch sein Magen und knurrt vernehmlich.

      Nur ungern verlässt Mistie seinen Benz, aber der Hunger lässt ihm keine Ruhe mehr. Der Wald, den er erreicht, ist ihm fremd, doch auch hier liegen aufeinandergeschichtete Äste am Wegesrand, und dazwischen – Misties Herz hüpft vor Freude – huschen Mäuse umher. Vorsichtig schleicht er sich an, wie Mama es ihm gezeigt hat.

      Zum Kuckuck – hören die leckeren Häppchen etwa seinen Magen knurren? Jedenfalls sind sie plötzlich verschwunden. Warum gelingt mir das nicht?, fragt sich Mistie. Bei Mama sah alles so leicht aus.

      Da, ein Schnäuzchen! Mistie prescht vor – und stößt sich die Nase an einem Ast. Betreten schaut er sich um. Hoffentlich hat ihn kein anderer Marder gesehen. Wäre wirklich zu peinlich. Endlich kann er einen Mäuserich gerade noch am Schwanz erwischen. Sein Fleisch ist hart wie Stein. Wahrscheinlich war er steinalt.

      Mistie sucht sein Glück anderswo, kriecht durchs Unterholz, springt über Baumwurzeln. Für Walderdbeeren ist es noch zu früh – leider. Vor ihm werden die Abstände zwischen Buchen, Eichen, wilden Kirschen und Kiefern größer. Dazwischen sprießt das Gras üppiger. Mistie hält inne und blickt erstaunt auf eine Fläche, die ihn fast ein bisschen an seine Aussicht von der Regenrinne erinnert – das silbern glitzernde Wasser mit den Schiffen darauf.

      Er geht weiter, doch das vermeintliche Wasser entpuppt sich als Wiese, deren Gräser im Mondlicht silbern schimmern. Sacht streicht der Wind darüber hinweg und bewegt sie. Mistie atmet die würzige Nachtluft ein und springt auf die Lichtung. „Hund, Katze, Maus nochmal!“, entfährt es ihm laut. Argwöhnisch stupst er mit der Nase einen bunten, blechernen Gegenstand an, worüber er gestolpert ist. Aus einer Öffnung tropft etwas Gelbliches heraus. Der Marder rümpft die Nase. Bäh! Was ist das denn?

      „Bier“, hört er hinter sich jemanden antworten und fährt herum. Schon wieder sein großer Bruder. Ob der seine peinlichen Jagdversuche bemerkt hat? „Was machst du denn hier?“, fragt Mistie. „Wusste gar nicht, dass das hier zu deinem Revier gehört.“

      „Tut es auch nicht“, entgegnet der Bruder, „noch nicht.“ Sowas von ehrgeizig, denkt Mistie. Aber so war der schon immer. Die gelbliche Flüssigkeit fällt ihm wieder ein. Wie nannte er das – Bier?

      „Haben die Menschen vergessen“, erklärt der große Bruder.„Manchmal ist noch was drin, kann man sich dran gewöhnen, ist jedenfalls besser als gar nichts.“ Schon stöbert er auf der Lichtung herum und ruft. Ob er noch was gefunden hat, was Genießbares? Mistie wundert sich. Der würde doch sicher nicht mit ihm teilen. Neugierig eilt Mistie herbei und sieht noch so ein Blechding im Gras liegen. Der Bruder leckt an der Öffnung herum. „Ist fast voll. Heb' mal das andere Ende ein bisschen an, damit was rausläuft.“

      Ach so ist das, denkt Mistie. Er braucht mich, um daraus trinken zu können. Der Bruder scheint seine Gedanken zu lesen. „Ich zuerst, weil ich der Ältere bin“, erklärt er weise. „Dann du, Bier trinken macht allein keinen Spaß.“

      Immer abwechselnd, süffeln beide. Zuerst findet Mistie das Zeug abscheulich, will's aber nicht zugeben. Zu schön ist es, mal wieder mit jemandem was gemeinsam zu unternehmen. Offenbar ist er noch nicht zum absoluten Einzelgänger geworden. Mit sich allein kann man auch nicht so gut angeben.„Ach, übrigens“, beginnt er und stockt. Seine Stimme klingt irgendwie belegt. „Ich habe jetzt einen Benz!“

      Der Bruder lacht. „Tatsächlich? Du alter Spießer!“

      Plötzlich geschieht etwas Seltsames. Das widerliche Zeug schmeckt Mistie mit jedem Schluck besser. Er beginnt sich mit seinem Bruder darum zu kabbeln, entfaltet einen ungeahnten Kampfgeist und erwischt um einiges mehr.

      Eine frische Brise Nachtluft weht zwischen den Bäumen hindurch und streift über die Wiese. Mistie sieht das Gras hin- und her wogen, hin und her, hin und her... Wie von fern dringt ihm das Gelächter seines Bruders in die Ohren. Was hat der bloß? Was ist denn so lustig? Mistie will sich nach ihm umdrehen, verliert das Gleichgewicht und – hoppla – landet auf dem Rücken.

      „Ha, ha, ha!“ Big Brother kugelt sich vor Lachen. Auch von fern, aus dem Dunkel zwischen den Bäumen, scheint spöttisches Gelächter auf die Lichtung zu dringen.

      Mistie kann nicht mehr klar denken. Wurde er hereingelegt?Allmählich wird ihm das alles zu viel. Er will weg hier, nur weg, stolpert über die Lichtung und hin zu den Bäumen. Bums – da kracht er auch schon gegen einen Stamm, rappelt sich wieder auf und torkelt weiter.

      „Autsch! Pass doch auf, du Blödmann!“, schimpft eine Blindschleiche. Die wäre ein leckerer Happen, aber in seinem gegenwärtigen Zustand erbeutet Mistie nicht mal eine Schnecke. Irgendwie schafft er es tatsächlich, an der richtigen Stelle aus dem Wald herauszukommen und sogar seinen Benz zu finden. Dass der Motor kalt ist, fällt ihm gar nicht auf, denn er meint, innerlich zu kochen. Dabei war er noch nie im Leben so müde, so unendlich müde.

      Zentnerschwer sind Misties Lider, und noch beim Einschlafen scheint sich alles um ihn herum zu drehen.

      4

      Durch die Ritzen im Rollo fällt nur ein graues Licht ins Schlafzimmer. Zwar schläft Lady selten durch, aber so oft wie in dieser Nacht ist sie noch nie aufgewacht. Besorgt verfolgt sie, wie der dämmrige Lichtschein allmählich über Sophias Kinn hinwegwandert. Gleich erwischt er ihre ohnehin schon zuckenden Lider.

      Soll Lady ihren Platz zwischen den beiden Turteltäubchen verlassen? Ihr bleibt wohl nichts anderes übrig, wenn sie verhindern will, dass Sophia aufwacht, und das will sie auf jeden Fall!

      Zitternd vor lauter Vorsicht, steigt sie über Sophias linken Arm hinweg, der auf Antons Bauch liegt, und positioniert sich direkt zwischen dem Fenster und Sophias Gesicht auf dem Kopfkissen. Sanft bläst ihr der Atem der Schlafenden in den Rücken. Nur gut, denkt Lady, dass ich mir mein angestammtes Recht, im Bett zu schlafen, zurückerobert habe. Sonst wäre ich jetzt machtlos. Kaum hat sie sich zusammengerollt und die Nase zwischen den Fransen ihres Schwänzchens versenkt, da fällt es ihr siedend heiß ein: der Wecker, wenn sie den Wecker gestellt haben... Normalerweise vermeiden sie das, denn zu einer der wenigen Gemeinsamkeiten von Sophia und Anton gehört die Abneigung gegen Weckgeräusche. Heute jedoch wollen sie auf gar keinen Fall verschlafen und die Abfahrt ihres Luxusliners verpassen. Argwöhnisch schielt Lady zu ihrem Feind auf dem Nachttisch. Wie kann sie ihn bloß unschädlich machen?

      Ganz langsam lässt sich Lady aus dem Bett gleiten, stellt sich auf die Hinterbeine und nimmt den Wecker zwischen die Zähne. Zum Glück passt er gerade noch in ihre Schnauze. Dann trippelt sie damit aus dem Zimmer, zum Wintergarten am anderen Ende der Villa, und verbuddelt ihn im tiefsten