hat, 'damit ich auch ja die richtige Geschmacksexplosion erlebe'.
"Also", sage ich und nehme einen Schluck von meinem Kaffee. "Letzte Chance es dir noch anders zu überlegen oder ob du es mir wirklich erzählen möchtest."
Aidens Mundwinkel zuckt kurz. "Ich werde es dir erzählen."
Ich nicke und sehe ihn wartend an.
"Okay." Er atmet aus und fährt sich einmal durch die Haare. "Eigentlich ist das gar nicht so spektakulär. Ich kenne jemanden, der mal eine längere Zeit im Krankenhaus war und diese Person hab ich über einen gewissen Zeitraum fast täglich besucht und ihr als Beruhigung meine Geschichten vorgelesen. Irgendwann hat mich ein Arzt angesprochen, ob ich so etwas nicht für die Leute machen könnte, die auch schwer krank sind, weil meine Geschichten eine extrem gute Auswirkung auf den Kranken hatten. Zwar nicht körperlich, aber seelisch. Das ist ungefähr zwei Jahre her und heute können wir dafür die Kirche mieten, weil - wie die Ärzte sagen - das ein sehr gläubiges Hospital ist und die Menschen, die dort eingewiesen sind, sich in einer Kirche beschützt fühlen."
"Ist das nicht auch eine Belastung für dich all diese kranken Menschen sterben zu sehen?"
Aiden nickt und sieht auf seine Kaffeetasse. "Es ist definitiv nicht einfach, das ist klar, aber es sterben auch nicht alle. Ich habe auch schon Leuten vorgelesen, die ihre Krankheit besiegen konnten. So was passiert nur leider sehr selten."
"Wissen Aby und so davon?"
Aiden schüttelt den Kopf. "Nein, ich möchte auch nicht, dass sie es wissen."
"Ach so. Ich werde es für mich behalten." Ich freue mich, dass Aiden mir so vertraut, obwohl wir uns nicht annähernd so lange kennen wie die anderen und er. "Tammy meinte, dass Elizabeth sterben wird", sage ich vorsichtig.
Aiden atmet tief ein. "Ja... wird sie. Sie hat einen Gehirntumor."
Ihm scheint das sehr nahe zu gehen, denn er wirkt auf einmal niedergeschlagen.
Ich würde ihn gerne fragen, ob er Elizabeth sehr nahe steht und es ihn deshalb so belastet. Vielleicht kannte er sie schon vor der Krankheit.
"Sie kam letzten Sommer in die Gruppe. Damals konnte sie noch normal reden, laufen, denken. Ich habe mich unheimlich gut mit ihr verstanden, denn sie war ebenfalls Schriftstellerin. Elizabeth hat mir früher oft geholfen, die Geschichten zu schreiben."
Ich halte mir entsetzt die Hand vor den Mund. Diese alte, gebrochene Frau in der Kirche war mal eine Schriftstellerin. Und innerhalb von einem Jahr ist aus ihr...so etwas geworden.
"Und", ich traue mich kaum zu fragen und weiß auch nicht, ob ich die Antwort wissen möchte, "Tammy?"
Aiden wischt sich einmal mit der Hand durch das Gesicht und sieht mich an. So wie jetzt habe ich ihn noch nie gesehen. Er sieht heute das erste Mal richtig traurig aus. "Sie hat Krebs."
Mir bleibt die Luft weg. "Was?" Dieses kleine Mädchen... Krebs...
Er nickt und spannt seinen Kiefer an. "Leukämie. Sie ist 5 Jahre alt und hat diese beschissene Krankheit." Ungläubig schüttelt er mit dem Kopf.
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter und krächze: "Hat sie denn noch irgendeine Chance?"
Eigentlich weiß ich die Antwort schon, aber ich will, dass er sagt, dass sie überleben wird.
"Nein... Die Ärzte sagen, dass sie wahrscheinlich nicht mal mehr ihren sechsten Geburtstag erleben wird."
Mein Herz zerbricht gerade in tausend kleine Teile.
"Oh mein Gott... Sie ist so jung." Der Kloß in meinem Hals wird immer größer.
"Und Tammy ist ganz allein. Sie ist ein Waisenkind und hat niemanden. Deswegen wollte sie vorhin unbedingt bei mir bleiben... ich bin ihre einzige Familie und besuche sie zusätzlich noch jedes Wochenende."
Ich kann meinen Ohren kaum trauen. Ich kann kaum glauben, was Aiden für dieses kleine Mädchen tut. Was er allgemein für diese Menschen tut. Er spielt so eine wichtige Rolle in deren Leben und trägt eine riesige Verantwortung. Aiden sieht so viel Leid und Schmerz und hört trotzdem nicht auf damit.
"Das ist bewundernswert", schniefe ich leise, "Du bist bewundernswert. Was du tust ist so selbstlos und doch so gut. Diese Menschen da... in der Kirche, sie lieben dich, das hat man von der ersten Sekunde an gemerkt. Ich glaube, du spielst eine wichtigere Rolle in deren Leben, als du dir vorstellen kannst. Vor allem Tammy..."
Aiden lächelt leicht, "Danke, Raven."
Ich nicke hektisch und atme tief ein, "Oh, man, du musst denken, dass ich eine totale Heulsuse bin. Ich heul schon wieder", lache ich und wische mir eine Träne aus dem Auge.
Aiden sieht mich einfach nur lächelnd an. Es kommt so rüber, als hätte er nicht einmal verstanden, was ich gerade gesagt habe. Als würde er mit seinen Gedanken ganz woanders sein, bei etwas Gutem, denn sein Lächeln ist so liebevoll.
Ich sehe ihn fragend an, "Bist du noch da?"
Aidens Grinsen wird breiter und er nickt, "Ja, ich bin noch da. Ich war nur gerade kurz in Gedanken."
"Okay", schmunzle ich und sehe, dass die Kellnerin mit unserem bestellten Essen kommt. Übrigens kannte diese Kellnerin Aiden natürlich auch, nur mal so.
"Sieht das nicht absolut traumhaft aus?", schwärmt Aiden und starrt auf seinen Teller voll mit Speck, Rührei, Gemüse und Gebäck.
"Das ist auf jeden Fall extrem viel", staune ich und picke in meinem Speck herum, "Und ich muss sagen, dass ich Vegetarierin bin."
Aiden runzelt die Stirn und sieht mich inbrünstig an, "Tatsächlich?"
Ich zucke mit den Schultern, "Ja."
"Na ja, okay, bleibt mehr für mich". Aiden nimmt seine Gabel und greift mir den Speck vom Teller und schiebt ihn auf seinen. "Du hast ja keine Ahnung was du verpasst."
Ich lache leise und nehme eine Gabel von dem Ei. Es schmeckt unglaublich gut, selbst wenn es nur Ei ist. "Wow, das ist gut", staune ich und nehme gleich noch eine Gabel.
"Sag ich doch", meint Aiden und isst ein Stück Speck.
Einige Augenblicke schweigen wir und essen. Ich muss ständig an Tammy denken und wie schwer krank sie ist. Zu wissen, dass sie nie erwachsen werden wird, sich nie verlieben wird, nie Auto fahren wird und auch nie Kinder bekommen wird, zerreißt mir das Herz. Sie hat so viel Freude ausgestrahlt und sah so glücklich aus, als sie bei Aiden saß.
Ich wünschte, ich könnte etwas dazu beisteuern, dass Tammy - auch wenn es nur für die nächsten Monate ist - glücklicher ist, als je zuvor. Sie hat es einfach nicht verdient, so jung zu sterben. Niemand hat das.
Auch Elizabeths Anblick tat beim Zusehen weh. Aiden meinte, sie sei eine Schriftstellerin gewesen und sie hat ihm bei seinen Geschichten geholfen. Sie war bestimmt eine ausgezeichnete Schreiberin. Hat sie ihm auch bei dem Buch geholfen, das er veröffentlicht hat? Es ist schrecklich zu sehen, dass Menschen so schnell aus ihrem alltäglichen Leben gerissen werden können nur durch eine einzige Krankheit.
Wenn man Aiden so sieht, könnte man sich nie vorstellen, dass er so oft mit dem Tod und Leid konfrontiert wird. Er sieht immer fröhlich und glücklich aus. Ich weiß nicht, ob ich so oft lachen könnte, wenn ich so viele Menschen an irgendwelchen Krankheiten krepieren sehen würde.
Aiden ist so ein starker Mann und ich denke, dass er das nicht mal selbst weiß. Denn auf irgendeine Art und Weise zeigt seine Selbstlosigkeit, auch eine gewisse Selbstverachtung. Wieso tut Aiden all diese Dinge? Ich wünschte, ich wüsste was Aiden alles leid tut und was ihn am meisten bedeutet. Ich will alles von ihm wissen.
Aiden und ich verlassen das Restaurant nach einer Stunde.
"Scheiße, es regnet wie aus Eimern", bemerkt Aiden, als wir gerade aus der Tür herausgehen.
Ich sehe in den Himmel und es regnet wirklich Wasserfälle. Das ist dann wohl das allbekannte Londoner Wetter. Wir stehen noch unter einem Dach vor dem Restaurant.